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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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hervorrufen würde. Es war eine durchaus abgeschmackte Prahlerei, wenn
die Republikaner sich ein Verdienst an dem Scheitern der Restauration zu-
schrieben. Nicht die republikanische Gesinnung des Landes, nicht die Politik
der Linken brachte die Entwürfe der Fufionisten zu Fall, sondern lediglich der
gewissenhafte Eigensinn des ehrlichen aber beschränkten Romantikers, der sein
Recht auf die Krone für zu heilig hielt, um dasselbe durch Anwendung
irdischer Mittel, ohne die sich doch nun einmal der Weg vom Recht zum
thatsächlichen Besitz nicht zurücklegen läßt, beflecken und entweihen zu lassen-
Die einzige Gefahr, die der Wiederherstellung gedroht, hatte in der Eigen¬
thümlichkeit dessen gelegen, den man zum Könige pressen wollte. Man hätte
nun glauben sollen, daß die Republikaner ihre Vorbereitungen für den Fall
einer Ablehnung der von dem royalistischen Ausschuß gestellten Bedingungen
von Seiten des Grafen von Chambord treffen würden, um die Augenblicke
der ersten Verwirrung zu einer raschen That zu benutzen. In der That aber
zeigte sich, daß sie auf Nichts vorbereitet waren; sie ließen sich durch ein
Ereigniß, um dessen Möglichkeit seit Wochen sich alle Erörterungen der
Presse drehten, vollständig überraschen; sie standen wie betäubt, als der Brief
des Grafen sie von der furchtbarsten Gefahr befreit hatte. Das Glück hatte
ihnen freigebig Macht und Herrschaft geboten, aber an den Unentschlossenen
und Ungeschickten sind alle Gaben des Glückes nutzlos verschwendet. Als sie
sich gesammelt hatten, war es zu spät. Die Conservativen hatten den Fall
des Mißlingens während der Verhandlungen mit dem Grasen von Chambord
niemals aus den Augen gesetzt; ihre Niederlage traf sie daher nicht unvor¬
bereitet. Als sie sahen, daß sie ihren Plan aufgeben mußten, war der Ausweg
aus der gefährlichen Lage bereits gefunden: die Verlängerung der Vollmachten
des Marschalls Mac Mahon bot sich als einziges Rettungsmittel, und in
dem raschen Ergreifen desselben bewährte die Mehrheit dieselbe Entschlossenheit
und Energie, die ihr in dem Kampf gegen Herrn Thiers den Sieg ver¬
schafft hatte.

Aber freilich, sobald es sich um die Einzelheiten der Vollmachtsverlängerung
handelte, gingen die Ansichten der verschiedenen Gruppen weit auseinander,
und bis zum Augenblicke der Entscheidung blieb es durchaus zweifelhaft, ob
es gelingen würde, eine Mehrheit aus eine bestimmte Formel zu vereinigen.
Man wußte sehr wohl, daß Mac Mahon sich mit der einfachen Erklärung,
daß er die bisher ausgeübte Gewalt zunächst ohne Bestimmung einer gewissen
Zeitdauer unter den alten Bedingungen weiter führen sollte, nicht würde zu¬
frieden stellen lassen. Für den Marschall, der sich des Vortheils, der für
seine Stellung aus der allgemeinen Verwirrung hervorging, sehr wohl bewußt
war, hatte die einfache Verlängerung des Loos <me> gar keinen Werth.
Wie gering man auch über seine politischen Fähigkeiten denken mochte, er


hervorrufen würde. Es war eine durchaus abgeschmackte Prahlerei, wenn
die Republikaner sich ein Verdienst an dem Scheitern der Restauration zu-
schrieben. Nicht die republikanische Gesinnung des Landes, nicht die Politik
der Linken brachte die Entwürfe der Fufionisten zu Fall, sondern lediglich der
gewissenhafte Eigensinn des ehrlichen aber beschränkten Romantikers, der sein
Recht auf die Krone für zu heilig hielt, um dasselbe durch Anwendung
irdischer Mittel, ohne die sich doch nun einmal der Weg vom Recht zum
thatsächlichen Besitz nicht zurücklegen läßt, beflecken und entweihen zu lassen-
Die einzige Gefahr, die der Wiederherstellung gedroht, hatte in der Eigen¬
thümlichkeit dessen gelegen, den man zum Könige pressen wollte. Man hätte
nun glauben sollen, daß die Republikaner ihre Vorbereitungen für den Fall
einer Ablehnung der von dem royalistischen Ausschuß gestellten Bedingungen
von Seiten des Grafen von Chambord treffen würden, um die Augenblicke
der ersten Verwirrung zu einer raschen That zu benutzen. In der That aber
zeigte sich, daß sie auf Nichts vorbereitet waren; sie ließen sich durch ein
Ereigniß, um dessen Möglichkeit seit Wochen sich alle Erörterungen der
Presse drehten, vollständig überraschen; sie standen wie betäubt, als der Brief
des Grafen sie von der furchtbarsten Gefahr befreit hatte. Das Glück hatte
ihnen freigebig Macht und Herrschaft geboten, aber an den Unentschlossenen
und Ungeschickten sind alle Gaben des Glückes nutzlos verschwendet. Als sie
sich gesammelt hatten, war es zu spät. Die Conservativen hatten den Fall
des Mißlingens während der Verhandlungen mit dem Grasen von Chambord
niemals aus den Augen gesetzt; ihre Niederlage traf sie daher nicht unvor¬
bereitet. Als sie sahen, daß sie ihren Plan aufgeben mußten, war der Ausweg
aus der gefährlichen Lage bereits gefunden: die Verlängerung der Vollmachten
des Marschalls Mac Mahon bot sich als einziges Rettungsmittel, und in
dem raschen Ergreifen desselben bewährte die Mehrheit dieselbe Entschlossenheit
und Energie, die ihr in dem Kampf gegen Herrn Thiers den Sieg ver¬
schafft hatte.

Aber freilich, sobald es sich um die Einzelheiten der Vollmachtsverlängerung
handelte, gingen die Ansichten der verschiedenen Gruppen weit auseinander,
und bis zum Augenblicke der Entscheidung blieb es durchaus zweifelhaft, ob
es gelingen würde, eine Mehrheit aus eine bestimmte Formel zu vereinigen.
Man wußte sehr wohl, daß Mac Mahon sich mit der einfachen Erklärung,
daß er die bisher ausgeübte Gewalt zunächst ohne Bestimmung einer gewissen
Zeitdauer unter den alten Bedingungen weiter führen sollte, nicht würde zu¬
frieden stellen lassen. Für den Marschall, der sich des Vortheils, der für
seine Stellung aus der allgemeinen Verwirrung hervorging, sehr wohl bewußt
war, hatte die einfache Verlängerung des Loos <me> gar keinen Werth.
Wie gering man auch über seine politischen Fähigkeiten denken mochte, er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/300>, abgerufen am 28.07.2024.