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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wunden anerkannten Beschränkung seiner Herrschergewalt auf den Thron
seiner Ahnen berufen werden dürfe. Unter dieser Voraussetzung glaubte man
an der Rückkehr zum erblichen alten Königthum eine Gewähr für die Wieder¬
herstellung fester und geordneter Zustände sehen zu dürfen. Diese Stimmung
war im Lande weit verbreitet und namentlich aus dieser Rücksicht hatten auch
die Orleanisten sich an den Restaurationsbestrebungen betheiligt. Ohne Zweifel
war ihnen der Graf von Chambord keine eben angenehme Persönlichkeit, und
wenn sie ohne Zwischenregiment die Krone auf das Haupt des Grafen vo"
Paris hätten setzen können, so würden sie jede Vereinbarung mit den An'
Hängern der älteren Linie abgewiesen haben. Da sie aber nur im Bunde
mit diesen die Nationalversammlung beherrschten, so blieb ihnen Nichts übrig,
als aus der Noth eine Tugend zu machen, für das Recht des legitime"
Erben einzutreten und sich für ihren Prinzen, zumal derselbe, trotz aller ehr¬
geizigen Wünsche, der Entschlossenheit völlig entbehrte, die zur Durchführung
einer selbständigen Rolle gehört, und dabei den Franzosen eine ganz gleich'
gültige Persönlichkeit war, mit der Anwartschaft auf den Thron kraft des
Erbrechts zu begnügen. Diese Erwägungen hatten ohne Zweifel für den
Entschluß aller Orleanisten den Ausschlag gegeben, und nachdem sie sich einmal
in das Gebot der Nothwendigkeit gefunden hatten, konnten ihnen auch die
Vortheile, die aus der Rückkehr zu dem Grundsatz des reinen Erbrechts fich
ergaben, nicht entgehen. Es war doch nicht gering anzuschlagen, wenn der"
langen Hader der königlichen Parteien durch eine Vereinigung der beide"
Linien ein Ende gemacht, wenn den neuen Staats- und Gesellschaftszustände"
dadurch, daß man sie unter den Schutz des alten Königthums stellte und die
Gegenwart mit den geschichtlichen durch eine Reihe gewaltsamer Umwälzung^
zerrissenen Ueberlieferungen wieder verknüpfte, eine neue und starke Bürgsch^
der Dauer geboten wurde. In diesem Sinne konnte eine Rückkehr zu^
Legitimitätsprincip allen Anhängern des Königthums willkommen sein.
so entschiedener aber mußten sie jeden Verdacht zurückweisen, als ob sie si^
zu dem politischen System bekennten, welches sich mit dem Banner der Leg''
timität deckte, als ob sie den Grundsätzen huldigten, welche von den legitim''
frischen Doktrinären als die einzigen festen Säulen des Königthums gepriest"
wurden. Sie hatten, um sich des Beistandes der Geistlichkeit zu vergewissert
der mächtigen und mit steigendem Selbstvertrauen auftretenden klerikal^
Partei die unwürdigsten Zugeständnisse gemacht; aber zur Herstellung eine
auf den Grundsätzen des Syllabus beruhenden Königthums, wie' es de ^
engen Geiste des Grafen von Chambord als Ideal vorschwebte, eines Kön'S'
thums, das sich für berufen hielt, die äußersten Ansprüche der römisch^
Hierarchie durchzuführen und Europa als Gesetz aufzuzwingen, das die a
solute Macht der altfranzösischen Monarchie dem Vatican zur Verfügung S


wunden anerkannten Beschränkung seiner Herrschergewalt auf den Thron
seiner Ahnen berufen werden dürfe. Unter dieser Voraussetzung glaubte man
an der Rückkehr zum erblichen alten Königthum eine Gewähr für die Wieder¬
herstellung fester und geordneter Zustände sehen zu dürfen. Diese Stimmung
war im Lande weit verbreitet und namentlich aus dieser Rücksicht hatten auch
die Orleanisten sich an den Restaurationsbestrebungen betheiligt. Ohne Zweifel
war ihnen der Graf von Chambord keine eben angenehme Persönlichkeit, und
wenn sie ohne Zwischenregiment die Krone auf das Haupt des Grafen vo»
Paris hätten setzen können, so würden sie jede Vereinbarung mit den An'
Hängern der älteren Linie abgewiesen haben. Da sie aber nur im Bunde
mit diesen die Nationalversammlung beherrschten, so blieb ihnen Nichts übrig,
als aus der Noth eine Tugend zu machen, für das Recht des legitime"
Erben einzutreten und sich für ihren Prinzen, zumal derselbe, trotz aller ehr¬
geizigen Wünsche, der Entschlossenheit völlig entbehrte, die zur Durchführung
einer selbständigen Rolle gehört, und dabei den Franzosen eine ganz gleich'
gültige Persönlichkeit war, mit der Anwartschaft auf den Thron kraft des
Erbrechts zu begnügen. Diese Erwägungen hatten ohne Zweifel für den
Entschluß aller Orleanisten den Ausschlag gegeben, und nachdem sie sich einmal
in das Gebot der Nothwendigkeit gefunden hatten, konnten ihnen auch die
Vortheile, die aus der Rückkehr zu dem Grundsatz des reinen Erbrechts fich
ergaben, nicht entgehen. Es war doch nicht gering anzuschlagen, wenn der«
langen Hader der königlichen Parteien durch eine Vereinigung der beide»
Linien ein Ende gemacht, wenn den neuen Staats- und Gesellschaftszustände"
dadurch, daß man sie unter den Schutz des alten Königthums stellte und die
Gegenwart mit den geschichtlichen durch eine Reihe gewaltsamer Umwälzung^
zerrissenen Ueberlieferungen wieder verknüpfte, eine neue und starke Bürgsch^
der Dauer geboten wurde. In diesem Sinne konnte eine Rückkehr zu^
Legitimitätsprincip allen Anhängern des Königthums willkommen sein.
so entschiedener aber mußten sie jeden Verdacht zurückweisen, als ob sie si^
zu dem politischen System bekennten, welches sich mit dem Banner der Leg''
timität deckte, als ob sie den Grundsätzen huldigten, welche von den legitim''
frischen Doktrinären als die einzigen festen Säulen des Königthums gepriest"
wurden. Sie hatten, um sich des Beistandes der Geistlichkeit zu vergewissert
der mächtigen und mit steigendem Selbstvertrauen auftretenden klerikal^
Partei die unwürdigsten Zugeständnisse gemacht; aber zur Herstellung eine
auf den Grundsätzen des Syllabus beruhenden Königthums, wie' es de ^
engen Geiste des Grafen von Chambord als Ideal vorschwebte, eines Kön'S'
thums, das sich für berufen hielt, die äußersten Ansprüche der römisch^
Hierarchie durchzuführen und Europa als Gesetz aufzuzwingen, das die a
solute Macht der altfranzösischen Monarchie dem Vatican zur Verfügung S


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/298>, abgerufen am 27.07.2024.