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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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"eines unstäten harten Gemüthes und eigensinnig sei", als daß er sonst an
Vernunft einen Mangel hätte: deßhalb hoffte der Beichtvater auch, die jetzige
Strafe würde zur eorreetio morum ihm dienen (Depesche v. 22. April 1368).
Wir sehen also, der Beichtvater des Prinzen äußerte sich damals in einem
weit milderen, weit optimistischeren Sinne, als wir es sonst von den Staats¬
männern und Hofleuten Philipp's und von den fremden Diplomaten gewohnt
sind. Schmidt hat gerade auf diese Aeußerung großen Werth gelegt; er will
in ihr eine ganz unbefangene Aussage sehen, welche die anderen Partei¬
zeugnisse vollständig aufwiegen und widerlegen soll. Ich glaube nicht, daß
sie eine solche Tragweite haben kann. Wenn der Beichtvater es -- natürlich
auf Wunsch des Königes -- unternommen hatte, den Prinzen beichten und
communiciren zu lassen, dann war es für ihn, sobald man ihn danach fragte,
ein Gebot der Nothwendigkeit die Geistesstörung seines Beichtkindes abzu¬
schwächen und in möglichst geringem Umfange hinzustellen: wie hätte er
einem seiner Sinne beraubten Menschen das Sacrament reichen dürfen! Nach
meiner Auffassung läugnet er nur die völlige Vernunftlosigkeit, -- Mängel
im geistigen Zustande des Prinzen giebt er ja selbst zu. Diese Aussage ist
also lange nicht durchgreifend genug, um in dem Sinne Schmidt's verwerthet
werden zu können; sie ist aber ein erfreulicher und wohlthuender Beweis von
der Barmherzigkeit und dem Mitgefühl, mit welchen dieser Mönch aus Carlos'
Umgebung seinen Schützling behandelt und betrachtet hat. Entscheidend für
mich aber ist es zu beobachten, welchen Einfluß Dietrichstein dieser Aeußerung
des von ihm hochgeachteten Geistlichen auf sein eigenes Urtheil eingeräumt
hat. Ich finde nicht, daß sie ihn, den genau unterrichteten und sehr gewissen¬
haft und vorsichtig seine Meinung formulirenden Diplomaten zu einer Aen¬
derung seines Gutachtens bewogen hat. So meinte er kurz nachher, arte
8. Mai 1568, der Kaiser werde jetzr wohl die Ursachen der Gefangennahme
kennen, -- "daß sie aus keinem Zorn oder Unwillen des Königs, viel
weniger zu einer Bestrafung geschehen, sondern allein zum Nutzen des Prinzen,
wegen seiner Eigenschaft und natürlichen Condicion und Gebrechen"; aus eine
Besserung, setzte er hinzu, dürfe man kaum noch rechnen. Am 19. Mai endlich
urtheilte er, bei Carlos' Eigenschaft, Thun, Wesen und Haltung gebe es
Niemanden, der nicht seinem Vater ein längeres Leben als ihm prognosticire,
außerdem daß er in Wahrheit eine seltsame Eigenschaft und eonäieiov
gehabt habe." Wir sind nach allem diesem wohl zu dem Schlüsse berechtigt-
wenn die günstige Aussage des Beichtvaters einen .so wohl unterrichteten
Mann wie Dietrichstein nicht von der Wiederholung seiner früheren Urtheile
zurückhalten konnte, so dürfen auch wir uns in dem Ergebniß unserer Unter¬
suchung durch dieselbe nicht beirren lassen.-

Ueberblicken wir noch einmal die Entwickelung des Prinzen.


„eines unstäten harten Gemüthes und eigensinnig sei", als daß er sonst an
Vernunft einen Mangel hätte: deßhalb hoffte der Beichtvater auch, die jetzige
Strafe würde zur eorreetio morum ihm dienen (Depesche v. 22. April 1368).
Wir sehen also, der Beichtvater des Prinzen äußerte sich damals in einem
weit milderen, weit optimistischeren Sinne, als wir es sonst von den Staats¬
männern und Hofleuten Philipp's und von den fremden Diplomaten gewohnt
sind. Schmidt hat gerade auf diese Aeußerung großen Werth gelegt; er will
in ihr eine ganz unbefangene Aussage sehen, welche die anderen Partei¬
zeugnisse vollständig aufwiegen und widerlegen soll. Ich glaube nicht, daß
sie eine solche Tragweite haben kann. Wenn der Beichtvater es — natürlich
auf Wunsch des Königes — unternommen hatte, den Prinzen beichten und
communiciren zu lassen, dann war es für ihn, sobald man ihn danach fragte,
ein Gebot der Nothwendigkeit die Geistesstörung seines Beichtkindes abzu¬
schwächen und in möglichst geringem Umfange hinzustellen: wie hätte er
einem seiner Sinne beraubten Menschen das Sacrament reichen dürfen! Nach
meiner Auffassung läugnet er nur die völlige Vernunftlosigkeit, — Mängel
im geistigen Zustande des Prinzen giebt er ja selbst zu. Diese Aussage ist
also lange nicht durchgreifend genug, um in dem Sinne Schmidt's verwerthet
werden zu können; sie ist aber ein erfreulicher und wohlthuender Beweis von
der Barmherzigkeit und dem Mitgefühl, mit welchen dieser Mönch aus Carlos'
Umgebung seinen Schützling behandelt und betrachtet hat. Entscheidend für
mich aber ist es zu beobachten, welchen Einfluß Dietrichstein dieser Aeußerung
des von ihm hochgeachteten Geistlichen auf sein eigenes Urtheil eingeräumt
hat. Ich finde nicht, daß sie ihn, den genau unterrichteten und sehr gewissen¬
haft und vorsichtig seine Meinung formulirenden Diplomaten zu einer Aen¬
derung seines Gutachtens bewogen hat. So meinte er kurz nachher, arte
8. Mai 1568, der Kaiser werde jetzr wohl die Ursachen der Gefangennahme
kennen, — „daß sie aus keinem Zorn oder Unwillen des Königs, viel
weniger zu einer Bestrafung geschehen, sondern allein zum Nutzen des Prinzen,
wegen seiner Eigenschaft und natürlichen Condicion und Gebrechen"; aus eine
Besserung, setzte er hinzu, dürfe man kaum noch rechnen. Am 19. Mai endlich
urtheilte er, bei Carlos' Eigenschaft, Thun, Wesen und Haltung gebe es
Niemanden, der nicht seinem Vater ein längeres Leben als ihm prognosticire,
außerdem daß er in Wahrheit eine seltsame Eigenschaft und eonäieiov
gehabt habe." Wir sind nach allem diesem wohl zu dem Schlüsse berechtigt-
wenn die günstige Aussage des Beichtvaters einen .so wohl unterrichteten
Mann wie Dietrichstein nicht von der Wiederholung seiner früheren Urtheile
zurückhalten konnte, so dürfen auch wir uns in dem Ergebniß unserer Unter¬
suchung durch dieselbe nicht beirren lassen.-

Ueberblicken wir noch einmal die Entwickelung des Prinzen.


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[0294] „eines unstäten harten Gemüthes und eigensinnig sei", als daß er sonst an Vernunft einen Mangel hätte: deßhalb hoffte der Beichtvater auch, die jetzige Strafe würde zur eorreetio morum ihm dienen (Depesche v. 22. April 1368). Wir sehen also, der Beichtvater des Prinzen äußerte sich damals in einem weit milderen, weit optimistischeren Sinne, als wir es sonst von den Staats¬ männern und Hofleuten Philipp's und von den fremden Diplomaten gewohnt sind. Schmidt hat gerade auf diese Aeußerung großen Werth gelegt; er will in ihr eine ganz unbefangene Aussage sehen, welche die anderen Partei¬ zeugnisse vollständig aufwiegen und widerlegen soll. Ich glaube nicht, daß sie eine solche Tragweite haben kann. Wenn der Beichtvater es — natürlich auf Wunsch des Königes — unternommen hatte, den Prinzen beichten und communiciren zu lassen, dann war es für ihn, sobald man ihn danach fragte, ein Gebot der Nothwendigkeit die Geistesstörung seines Beichtkindes abzu¬ schwächen und in möglichst geringem Umfange hinzustellen: wie hätte er einem seiner Sinne beraubten Menschen das Sacrament reichen dürfen! Nach meiner Auffassung läugnet er nur die völlige Vernunftlosigkeit, — Mängel im geistigen Zustande des Prinzen giebt er ja selbst zu. Diese Aussage ist also lange nicht durchgreifend genug, um in dem Sinne Schmidt's verwerthet werden zu können; sie ist aber ein erfreulicher und wohlthuender Beweis von der Barmherzigkeit und dem Mitgefühl, mit welchen dieser Mönch aus Carlos' Umgebung seinen Schützling behandelt und betrachtet hat. Entscheidend für mich aber ist es zu beobachten, welchen Einfluß Dietrichstein dieser Aeußerung des von ihm hochgeachteten Geistlichen auf sein eigenes Urtheil eingeräumt hat. Ich finde nicht, daß sie ihn, den genau unterrichteten und sehr gewissen¬ haft und vorsichtig seine Meinung formulirenden Diplomaten zu einer Aen¬ derung seines Gutachtens bewogen hat. So meinte er kurz nachher, arte 8. Mai 1568, der Kaiser werde jetzr wohl die Ursachen der Gefangennahme kennen, — „daß sie aus keinem Zorn oder Unwillen des Königs, viel weniger zu einer Bestrafung geschehen, sondern allein zum Nutzen des Prinzen, wegen seiner Eigenschaft und natürlichen Condicion und Gebrechen"; aus eine Besserung, setzte er hinzu, dürfe man kaum noch rechnen. Am 19. Mai endlich urtheilte er, bei Carlos' Eigenschaft, Thun, Wesen und Haltung gebe es Niemanden, der nicht seinem Vater ein längeres Leben als ihm prognosticire, außerdem daß er in Wahrheit eine seltsame Eigenschaft und eonäieiov gehabt habe." Wir sind nach allem diesem wohl zu dem Schlüsse berechtigt- wenn die günstige Aussage des Beichtvaters einen .so wohl unterrichteten Mann wie Dietrichstein nicht von der Wiederholung seiner früheren Urtheile zurückhalten konnte, so dürfen auch wir uns in dem Ergebniß unserer Unter¬ suchung durch dieselbe nicht beirren lassen.- Ueberblicken wir noch einmal die Entwickelung des Prinzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/294>, abgerufen am 28.07.2024.