Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Im April 1662 that Carlos den unglücklichen Fall in Alcala, der ihn an
den Rand des Grabes brachte, so daß die Rettung vom Tode nur wie ein
Wunder von den damaligen Menschen angesehen wurde. Aus Deutschland
erfolgte im nächsten Jahre wiederum ein Antrag und ein Gesuch an Philipp,
sich jetzt über Carlos' Ehe zu entscheiden. Eingehende Erörterungen fanden
darauf am spanischen Hofe Statt: es war auch von der schottischen Seite
das Projekt der Maria Stuart aufs neue angeregt worden. Die Entschei¬
dung ging dahin, einmal daß wegen der Beschaffenheit des Prinzen und weil
die gewünschten Resultate seines Auftretens in Schottland für die katholische
Sache nicht zu erwarten wären, die schottische Möglichkeit fallen zu lassen sei,
und daß man wegen der deutschen Ehe durch einen besonderen Gesandten
König Maximilian von der zustimmenden Absicht Philipp's und von der Be¬
schaffenheit des Prinzen unterrichten sollte. *) So erhielt Guzman im No¬
vember 1663 nur einen dilatorischen Bescheid; bis in den September 1664
zog sich die neue Gesandtschaft hin, die aber nichts neues mitzutheilen hatte.
Ueberhaupt verblieb Philipp bei einer Wiederholung seiner früheren Worte;
er bezog sich auf das, was er schon früher gesagt; er bedauerte keine Aen¬
derung constatiren zu können; er vertröstete die österreichischen Werber immer
nur aus die Zukunft.

Inzwischen waren im Frühjahr 1664 die beiden Erzherzoge in Spanien
angelangt, begleitet und geführt durch den Freiherrn von Dietrich se ein,
dem es noch besonders aufgetragen war, die schwebende Ehefrage endlich ins
Reine zu bringen. Gerade in seinen Berichten hat Schmidt Anlaß und Ma¬
terial gefunden, die höfischen Mittheilungen über Carlos der Lüge und syste¬
matischen Verdächtigung zu zeihen. Es wird nöthig sein, daß wir die be¬
treffenden Aussagen Dietrichstein's prüfen.**) Freilich halte ich, um das von
vornherein zu sagen, für unerlaubt, einzelne Worte aus dem Zusammen¬
hange zu reißen; man muß die Reihe der Depeschen ganz lesen; man darf
nicht vergessen, daß derjenige, der als Empfänger die einzelnen Briefe liest,
die vorhergehenden Briefe schon kennt, ebenso wie der Schreiber sich dessen be¬
wußt bleibt, was er selbst schon früher geschrieben hat. Noch ehe Dietrich¬
stein selbst den Prinzen gesehen, erfuhr er vielerlei über denselben; er entwarf
nach diesen Mittheilungen in der Depesche vom 22. April 1564 ein Bild
von ihm, das wenig erfreuliche Züge verrieth -- körperlich mißgestaltet und
kränklich, kindisch und urtheilslos soll er gewesen sein. Nachdem Dietrich¬
stein daraus ihn selbst gesehen und mit ihm gesprochen, sah er sich veranlaßt
M einigen Modifikationen; "man stelle seine Fehler größer dar, als sie wirt-




*) Dies Aktenstück habe ich 1864 zuerst aus dem Archiv von Simcmccis publicirt, in der
Historischen Zeitschrift XI. 206.
") Koch, Quellen zur Geschichte Max it. (1860).

Im April 1662 that Carlos den unglücklichen Fall in Alcala, der ihn an
den Rand des Grabes brachte, so daß die Rettung vom Tode nur wie ein
Wunder von den damaligen Menschen angesehen wurde. Aus Deutschland
erfolgte im nächsten Jahre wiederum ein Antrag und ein Gesuch an Philipp,
sich jetzt über Carlos' Ehe zu entscheiden. Eingehende Erörterungen fanden
darauf am spanischen Hofe Statt: es war auch von der schottischen Seite
das Projekt der Maria Stuart aufs neue angeregt worden. Die Entschei¬
dung ging dahin, einmal daß wegen der Beschaffenheit des Prinzen und weil
die gewünschten Resultate seines Auftretens in Schottland für die katholische
Sache nicht zu erwarten wären, die schottische Möglichkeit fallen zu lassen sei,
und daß man wegen der deutschen Ehe durch einen besonderen Gesandten
König Maximilian von der zustimmenden Absicht Philipp's und von der Be¬
schaffenheit des Prinzen unterrichten sollte. *) So erhielt Guzman im No¬
vember 1663 nur einen dilatorischen Bescheid; bis in den September 1664
zog sich die neue Gesandtschaft hin, die aber nichts neues mitzutheilen hatte.
Ueberhaupt verblieb Philipp bei einer Wiederholung seiner früheren Worte;
er bezog sich auf das, was er schon früher gesagt; er bedauerte keine Aen¬
derung constatiren zu können; er vertröstete die österreichischen Werber immer
nur aus die Zukunft.

Inzwischen waren im Frühjahr 1664 die beiden Erzherzoge in Spanien
angelangt, begleitet und geführt durch den Freiherrn von Dietrich se ein,
dem es noch besonders aufgetragen war, die schwebende Ehefrage endlich ins
Reine zu bringen. Gerade in seinen Berichten hat Schmidt Anlaß und Ma¬
terial gefunden, die höfischen Mittheilungen über Carlos der Lüge und syste¬
matischen Verdächtigung zu zeihen. Es wird nöthig sein, daß wir die be¬
treffenden Aussagen Dietrichstein's prüfen.**) Freilich halte ich, um das von
vornherein zu sagen, für unerlaubt, einzelne Worte aus dem Zusammen¬
hange zu reißen; man muß die Reihe der Depeschen ganz lesen; man darf
nicht vergessen, daß derjenige, der als Empfänger die einzelnen Briefe liest,
die vorhergehenden Briefe schon kennt, ebenso wie der Schreiber sich dessen be¬
wußt bleibt, was er selbst schon früher geschrieben hat. Noch ehe Dietrich¬
stein selbst den Prinzen gesehen, erfuhr er vielerlei über denselben; er entwarf
nach diesen Mittheilungen in der Depesche vom 22. April 1564 ein Bild
von ihm, das wenig erfreuliche Züge verrieth — körperlich mißgestaltet und
kränklich, kindisch und urtheilslos soll er gewesen sein. Nachdem Dietrich¬
stein daraus ihn selbst gesehen und mit ihm gesprochen, sah er sich veranlaßt
M einigen Modifikationen; „man stelle seine Fehler größer dar, als sie wirt-




*) Dies Aktenstück habe ich 1864 zuerst aus dem Archiv von Simcmccis publicirt, in der
Historischen Zeitschrift XI. 206.
") Koch, Quellen zur Geschichte Max it. (1860).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132511"/>
          <p xml:id="ID_905" prev="#ID_904"> Im April 1662 that Carlos den unglücklichen Fall in Alcala, der ihn an<lb/>
den Rand des Grabes brachte, so daß die Rettung vom Tode nur wie ein<lb/>
Wunder von den damaligen Menschen angesehen wurde. Aus Deutschland<lb/>
erfolgte im nächsten Jahre wiederum ein Antrag und ein Gesuch an Philipp,<lb/>
sich jetzt über Carlos' Ehe zu entscheiden. Eingehende Erörterungen fanden<lb/>
darauf am spanischen Hofe Statt: es war auch von der schottischen Seite<lb/>
das Projekt der Maria Stuart aufs neue angeregt worden. Die Entschei¬<lb/>
dung ging dahin, einmal daß wegen der Beschaffenheit des Prinzen und weil<lb/>
die gewünschten Resultate seines Auftretens in Schottland für die katholische<lb/>
Sache nicht zu erwarten wären, die schottische Möglichkeit fallen zu lassen sei,<lb/>
und daß man wegen der deutschen Ehe durch einen besonderen Gesandten<lb/>
König Maximilian von der zustimmenden Absicht Philipp's und von der Be¬<lb/>
schaffenheit des Prinzen unterrichten sollte. *) So erhielt Guzman im No¬<lb/>
vember 1663 nur einen dilatorischen Bescheid; bis in den September 1664<lb/>
zog sich die neue Gesandtschaft hin, die aber nichts neues mitzutheilen hatte.<lb/>
Ueberhaupt verblieb Philipp bei einer Wiederholung seiner früheren Worte;<lb/>
er bezog sich auf das, was er schon früher gesagt; er bedauerte keine Aen¬<lb/>
derung constatiren zu können; er vertröstete die österreichischen Werber immer<lb/>
nur aus die Zukunft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906" next="#ID_907"> Inzwischen waren im Frühjahr 1664 die beiden Erzherzoge in Spanien<lb/>
angelangt, begleitet und geführt durch den Freiherrn von Dietrich se ein,<lb/>
dem es noch besonders aufgetragen war, die schwebende Ehefrage endlich ins<lb/>
Reine zu bringen. Gerade in seinen Berichten hat Schmidt Anlaß und Ma¬<lb/>
terial gefunden, die höfischen Mittheilungen über Carlos der Lüge und syste¬<lb/>
matischen Verdächtigung zu zeihen. Es wird nöthig sein, daß wir die be¬<lb/>
treffenden Aussagen Dietrichstein's prüfen.**) Freilich halte ich, um das von<lb/>
vornherein zu sagen, für unerlaubt, einzelne Worte aus dem Zusammen¬<lb/>
hange zu reißen; man muß die Reihe der Depeschen ganz lesen; man darf<lb/>
nicht vergessen, daß derjenige, der als Empfänger die einzelnen Briefe liest,<lb/>
die vorhergehenden Briefe schon kennt, ebenso wie der Schreiber sich dessen be¬<lb/>
wußt bleibt, was er selbst schon früher geschrieben hat. Noch ehe Dietrich¬<lb/>
stein selbst den Prinzen gesehen, erfuhr er vielerlei über denselben; er entwarf<lb/>
nach diesen Mittheilungen in der Depesche vom 22. April 1564 ein Bild<lb/>
von ihm, das wenig erfreuliche Züge verrieth &#x2014; körperlich mißgestaltet und<lb/>
kränklich, kindisch und urtheilslos soll er gewesen sein. Nachdem Dietrich¬<lb/>
stein daraus ihn selbst gesehen und mit ihm gesprochen, sah er sich veranlaßt<lb/>
M einigen Modifikationen; &#x201E;man stelle seine Fehler größer dar, als sie wirt-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_89" place="foot"> *) Dies Aktenstück habe ich 1864 zuerst aus dem Archiv von Simcmccis publicirt, in der<lb/>
Historischen Zeitschrift XI. 206.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_90" place="foot"> ") Koch, Quellen zur Geschichte Max it. (1860).</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] Im April 1662 that Carlos den unglücklichen Fall in Alcala, der ihn an den Rand des Grabes brachte, so daß die Rettung vom Tode nur wie ein Wunder von den damaligen Menschen angesehen wurde. Aus Deutschland erfolgte im nächsten Jahre wiederum ein Antrag und ein Gesuch an Philipp, sich jetzt über Carlos' Ehe zu entscheiden. Eingehende Erörterungen fanden darauf am spanischen Hofe Statt: es war auch von der schottischen Seite das Projekt der Maria Stuart aufs neue angeregt worden. Die Entschei¬ dung ging dahin, einmal daß wegen der Beschaffenheit des Prinzen und weil die gewünschten Resultate seines Auftretens in Schottland für die katholische Sache nicht zu erwarten wären, die schottische Möglichkeit fallen zu lassen sei, und daß man wegen der deutschen Ehe durch einen besonderen Gesandten König Maximilian von der zustimmenden Absicht Philipp's und von der Be¬ schaffenheit des Prinzen unterrichten sollte. *) So erhielt Guzman im No¬ vember 1663 nur einen dilatorischen Bescheid; bis in den September 1664 zog sich die neue Gesandtschaft hin, die aber nichts neues mitzutheilen hatte. Ueberhaupt verblieb Philipp bei einer Wiederholung seiner früheren Worte; er bezog sich auf das, was er schon früher gesagt; er bedauerte keine Aen¬ derung constatiren zu können; er vertröstete die österreichischen Werber immer nur aus die Zukunft. Inzwischen waren im Frühjahr 1664 die beiden Erzherzoge in Spanien angelangt, begleitet und geführt durch den Freiherrn von Dietrich se ein, dem es noch besonders aufgetragen war, die schwebende Ehefrage endlich ins Reine zu bringen. Gerade in seinen Berichten hat Schmidt Anlaß und Ma¬ terial gefunden, die höfischen Mittheilungen über Carlos der Lüge und syste¬ matischen Verdächtigung zu zeihen. Es wird nöthig sein, daß wir die be¬ treffenden Aussagen Dietrichstein's prüfen.**) Freilich halte ich, um das von vornherein zu sagen, für unerlaubt, einzelne Worte aus dem Zusammen¬ hange zu reißen; man muß die Reihe der Depeschen ganz lesen; man darf nicht vergessen, daß derjenige, der als Empfänger die einzelnen Briefe liest, die vorhergehenden Briefe schon kennt, ebenso wie der Schreiber sich dessen be¬ wußt bleibt, was er selbst schon früher geschrieben hat. Noch ehe Dietrich¬ stein selbst den Prinzen gesehen, erfuhr er vielerlei über denselben; er entwarf nach diesen Mittheilungen in der Depesche vom 22. April 1564 ein Bild von ihm, das wenig erfreuliche Züge verrieth — körperlich mißgestaltet und kränklich, kindisch und urtheilslos soll er gewesen sein. Nachdem Dietrich¬ stein daraus ihn selbst gesehen und mit ihm gesprochen, sah er sich veranlaßt M einigen Modifikationen; „man stelle seine Fehler größer dar, als sie wirt- *) Dies Aktenstück habe ich 1864 zuerst aus dem Archiv von Simcmccis publicirt, in der Historischen Zeitschrift XI. 206. ") Koch, Quellen zur Geschichte Max it. (1860).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/289>, abgerufen am 28.07.2024.