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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Vater bisher verhindert ihn zu verheirathen; der Gesandte überliefert diese
Mittheilung des Ministers, ohne anzudeuten, daß er eine andre Meinung von
Carlos habe; hatte er sie, so war es nöthig sie hier kund zu geben.
Im Juni 1564 lesen wir in dem Berichte desselben Gesandten, daß man in
Spanien eine Ehe des Prinzen mit seiner Tante wünsche, im Hinblick auf
seinen Schwachsinn (a, causs ass yualitss asssx lind6eiI1eL 1u^), der in
den trefflichen Eigenschaften der Dame eine Ergänzung finden würde; zu¬
gleich erwähnt derselbe Bericht, daß der Prinz anfange gegen seinen Vater
und dessen Befehle widerspänstig zu werden. Wie von einer durch ihn
nicht bezweifelten Thatsache redet also auch der Franzose von dem Schwach¬
sinn des Prinzen. Ja, er hatte auch das Urtheil schon niedergeschrieben, daß
Don Carlos' Eigenschaften ihn nicht zur Uebernahme schwieriger Ausgaben, wie
etwa in Schottland sie ihm bevorstehen würden, befähigten; ein Urtheil, das
nachher sein Nachfolger in der Gesandtschaft zu bestätigen mehrmals sich ver¬
anlaßt gesehen. Aus der Lektüre der französischen Depeschen habe ich nichts
weniger als den Eindruck gewonnen, daß sie in der Schilderung und im Ur¬
theile über Don Carlos von dem sonst bekannten abweichen.

Am Madrider Hofe war aber kein Fremder in so günstiger Lage über
Carlos sich zu erkundigen, als grade die österreichischen Gesandten.
Ich wies neulich schon auf ihre Stellung zwischen den beiden Höfen hin: es
kam hinzu, daß seit der ernstlichen Behandlung des Eheprojektes durch den
Wiener Hof sie das größte Interesse hatten, von dem wirklichen Zustande
desjenigen, den die Erzherzogin heirathen sollte, Kenntniß zu erhalten. Wenn
man bedenkt, wie große Verantwortlichkeit jedes Wort und jeder Wink des
Gesandten gerade in dieser Situation haben mußte, wird man sich eine Vor¬
stellung von der Sorgfalt machen können, mit der sie Erkundigungen ein¬
zogen, von der zaubernden Vorsicht und stets nach allen Seiten hin sich um¬
schauender Bedenklichkeit, mit der sie ihre Berichte abfaßten, von der Scheu
ein Urtheil bestimmt auszusprechen; dann aber wird man auch das Schwanken
in ihrem Urtheile selbst richtig zu veranschlagen geneigt sein.

Jener Martin de Guzman, dem man im März 1562 ziemlich unver¬
blümt den Sachverhalt eröffnet hatte, kannte selbst den Prinzen recht wohl;
er sprach sofort mit dem Nachdruck vollster Ueberzeugung eines gut und au¬
thentisch unterrichteten Zeugen es aus, diese Eröffnung über Don Carlos
enthalte nichts ersonnenes, sondern so sei es in Wirklichkeit (no es tmgicw
suo Mös, g,8z? en realiäaä cis vkrüaä); seine eigene Ansicht war, selbst wenn
Carlos gesunder ^werden sollte, würde die Heirath nicht möglich sein. So
blieb also den deutschen Verwandten nichts übrig als zu warten, ob vielleicht
eine Aenderung im Wesen des Prinzen eintreten würde.

Zunächst erfolgte eine Verschlimmerung seines körperlichen Zustandes-


Vater bisher verhindert ihn zu verheirathen; der Gesandte überliefert diese
Mittheilung des Ministers, ohne anzudeuten, daß er eine andre Meinung von
Carlos habe; hatte er sie, so war es nöthig sie hier kund zu geben.
Im Juni 1564 lesen wir in dem Berichte desselben Gesandten, daß man in
Spanien eine Ehe des Prinzen mit seiner Tante wünsche, im Hinblick auf
seinen Schwachsinn (a, causs ass yualitss asssx lind6eiI1eL 1u^), der in
den trefflichen Eigenschaften der Dame eine Ergänzung finden würde; zu¬
gleich erwähnt derselbe Bericht, daß der Prinz anfange gegen seinen Vater
und dessen Befehle widerspänstig zu werden. Wie von einer durch ihn
nicht bezweifelten Thatsache redet also auch der Franzose von dem Schwach¬
sinn des Prinzen. Ja, er hatte auch das Urtheil schon niedergeschrieben, daß
Don Carlos' Eigenschaften ihn nicht zur Uebernahme schwieriger Ausgaben, wie
etwa in Schottland sie ihm bevorstehen würden, befähigten; ein Urtheil, das
nachher sein Nachfolger in der Gesandtschaft zu bestätigen mehrmals sich ver¬
anlaßt gesehen. Aus der Lektüre der französischen Depeschen habe ich nichts
weniger als den Eindruck gewonnen, daß sie in der Schilderung und im Ur¬
theile über Don Carlos von dem sonst bekannten abweichen.

Am Madrider Hofe war aber kein Fremder in so günstiger Lage über
Carlos sich zu erkundigen, als grade die österreichischen Gesandten.
Ich wies neulich schon auf ihre Stellung zwischen den beiden Höfen hin: es
kam hinzu, daß seit der ernstlichen Behandlung des Eheprojektes durch den
Wiener Hof sie das größte Interesse hatten, von dem wirklichen Zustande
desjenigen, den die Erzherzogin heirathen sollte, Kenntniß zu erhalten. Wenn
man bedenkt, wie große Verantwortlichkeit jedes Wort und jeder Wink des
Gesandten gerade in dieser Situation haben mußte, wird man sich eine Vor¬
stellung von der Sorgfalt machen können, mit der sie Erkundigungen ein¬
zogen, von der zaubernden Vorsicht und stets nach allen Seiten hin sich um¬
schauender Bedenklichkeit, mit der sie ihre Berichte abfaßten, von der Scheu
ein Urtheil bestimmt auszusprechen; dann aber wird man auch das Schwanken
in ihrem Urtheile selbst richtig zu veranschlagen geneigt sein.

Jener Martin de Guzman, dem man im März 1562 ziemlich unver¬
blümt den Sachverhalt eröffnet hatte, kannte selbst den Prinzen recht wohl;
er sprach sofort mit dem Nachdruck vollster Ueberzeugung eines gut und au¬
thentisch unterrichteten Zeugen es aus, diese Eröffnung über Don Carlos
enthalte nichts ersonnenes, sondern so sei es in Wirklichkeit (no es tmgicw
suo Mös, g,8z? en realiäaä cis vkrüaä); seine eigene Ansicht war, selbst wenn
Carlos gesunder ^werden sollte, würde die Heirath nicht möglich sein. So
blieb also den deutschen Verwandten nichts übrig als zu warten, ob vielleicht
eine Aenderung im Wesen des Prinzen eintreten würde.

Zunächst erfolgte eine Verschlimmerung seines körperlichen Zustandes-


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[0288] Vater bisher verhindert ihn zu verheirathen; der Gesandte überliefert diese Mittheilung des Ministers, ohne anzudeuten, daß er eine andre Meinung von Carlos habe; hatte er sie, so war es nöthig sie hier kund zu geben. Im Juni 1564 lesen wir in dem Berichte desselben Gesandten, daß man in Spanien eine Ehe des Prinzen mit seiner Tante wünsche, im Hinblick auf seinen Schwachsinn (a, causs ass yualitss asssx lind6eiI1eL 1u^), der in den trefflichen Eigenschaften der Dame eine Ergänzung finden würde; zu¬ gleich erwähnt derselbe Bericht, daß der Prinz anfange gegen seinen Vater und dessen Befehle widerspänstig zu werden. Wie von einer durch ihn nicht bezweifelten Thatsache redet also auch der Franzose von dem Schwach¬ sinn des Prinzen. Ja, er hatte auch das Urtheil schon niedergeschrieben, daß Don Carlos' Eigenschaften ihn nicht zur Uebernahme schwieriger Ausgaben, wie etwa in Schottland sie ihm bevorstehen würden, befähigten; ein Urtheil, das nachher sein Nachfolger in der Gesandtschaft zu bestätigen mehrmals sich ver¬ anlaßt gesehen. Aus der Lektüre der französischen Depeschen habe ich nichts weniger als den Eindruck gewonnen, daß sie in der Schilderung und im Ur¬ theile über Don Carlos von dem sonst bekannten abweichen. Am Madrider Hofe war aber kein Fremder in so günstiger Lage über Carlos sich zu erkundigen, als grade die österreichischen Gesandten. Ich wies neulich schon auf ihre Stellung zwischen den beiden Höfen hin: es kam hinzu, daß seit der ernstlichen Behandlung des Eheprojektes durch den Wiener Hof sie das größte Interesse hatten, von dem wirklichen Zustande desjenigen, den die Erzherzogin heirathen sollte, Kenntniß zu erhalten. Wenn man bedenkt, wie große Verantwortlichkeit jedes Wort und jeder Wink des Gesandten gerade in dieser Situation haben mußte, wird man sich eine Vor¬ stellung von der Sorgfalt machen können, mit der sie Erkundigungen ein¬ zogen, von der zaubernden Vorsicht und stets nach allen Seiten hin sich um¬ schauender Bedenklichkeit, mit der sie ihre Berichte abfaßten, von der Scheu ein Urtheil bestimmt auszusprechen; dann aber wird man auch das Schwanken in ihrem Urtheile selbst richtig zu veranschlagen geneigt sein. Jener Martin de Guzman, dem man im März 1562 ziemlich unver¬ blümt den Sachverhalt eröffnet hatte, kannte selbst den Prinzen recht wohl; er sprach sofort mit dem Nachdruck vollster Ueberzeugung eines gut und au¬ thentisch unterrichteten Zeugen es aus, diese Eröffnung über Don Carlos enthalte nichts ersonnenes, sondern so sei es in Wirklichkeit (no es tmgicw suo Mös, g,8z? en realiäaä cis vkrüaä); seine eigene Ansicht war, selbst wenn Carlos gesunder ^werden sollte, würde die Heirath nicht möglich sein. So blieb also den deutschen Verwandten nichts übrig als zu warten, ob vielleicht eine Aenderung im Wesen des Prinzen eintreten würde. Zunächst erfolgte eine Verschlimmerung seines körperlichen Zustandes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/288>, abgerufen am 28.07.2024.