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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Die Cameraden reihen sich zur Escorte für den Sträfling, der natürlich ein
ernstes Gesicht macht, wie es der wichtige Augenblick mit sich bringt. Eben
will der Lieutenant sein: "Marsch!" ertönen lassen, -- da nahet die Droschke.
Wie ein Blitz fährt der Advokat mit Käppi, Ober- und Untergewehr in die
Droschke, ruft: "Nach dem Exercierplatz!" und schlägt die Wagenthüre zu,--
Alles in einer Secunde. -- spornstreichs jagt die Droschke davon, -- und
halt! halt! alle Bürgerwehrmänner in vollem Galopp hinterdrein. Sie
dürfen auf keinen Fall ihren Arrestanten verlieren. Welch' eine Berufstreue!
Sie laufen, daß ihnen der Schweiß von der Stirne rinnt. --

Mitten hinein in dieses tolle Leben, zwischen diese prächtigen Figuren
mit den feierlich ernsten Gesichtern und der lustigen Uniform, mitten hinein
in das steif hölzerne Exercitium, in die heitern Scenen der Wachtstube und
die Großthaten der Parade, mitten in die ganze närrische Welt tönte plötzlich
der Ruf: "Die Bürgerwehr ist aufgelöst!" So ging auch für Rostock dieses
Wort in Erfüllung, das von einer Stadt zur andern, durch ganz Deutsch¬
land gellend dahin flog.

Die Bürgergarde war aufgelöst; die Gewehre hatten richtig ihren Käufer
gefunden. Schade, sollten die 1000 Jnfanteriesäbel nun ungenützt verkommen?
Und die vielen Patrontaschen und alle die schönen Käppis mit dem hohen
Federbusch? So war es eigentlich ein glücklicher Einfall, wenn Jemand vor¬
schlug, die acht Compagnien Bürgergarde nun einfach als "Fahnencorps"
und "Feuerwehr" fortbestehen zu lassen. Und richtig, so geschah es. Wer
als stolzer Bürgergardist ahnungslos Abends zu Bette gegangen war, stand
nun auf ein Mal am andern Morgen als ordinairer Feuermensch wieder auf.
Das gab ein allgemeines Lamento. Nein, so dastehen zu müssen, dicht bei
der Spritze und vor den Wasserkufen, in der alten berühmten Uniform der
Bürgergarde, und in einen Kreis um das Feuer herumzutreten, damit das
Haus sozusagen mit einer gewissen Feierlichkeit Herunterdrennen könne, nein,
das war doch zu viel. Als daher die Fahnencorps zum ersten Male sich
sammeln sollten, waren auf einmal die sämmtlichen Offiziere und Corporale
nicht zu haben. Mit der Auflösung der Bürgergarde hielt sich kein Gardist
mehr, geschweige ein Corporal, Lieutenant, oder gar der Herr Hauptmann zu
diesem Dienst als ordinärer Feuermann verpflichtet.

Erst eine gestrenge Verordnung des Rathes brachte Ordnung in die neuen
Dinge. Jeder angehende Bürger sollte von nun an den Dienst in der Feuer¬
wehr drei volle Jahre hindurch leisten, und seinen Eid als Bürger in Uni¬
form vor dem Magistrate der Stadt schwören, in derselben Uniform, die schon
manchen Professor und Justizrath als Bürgergardist so hübsch gekleidet hatte.
Unglücklicher Weise war aber mit der Auflösung der Bürgerwehr auch die
vorsichtige Rathsverordnung in die Brüche gegangen, wonach jeder angehende


Die Cameraden reihen sich zur Escorte für den Sträfling, der natürlich ein
ernstes Gesicht macht, wie es der wichtige Augenblick mit sich bringt. Eben
will der Lieutenant sein: „Marsch!" ertönen lassen, — da nahet die Droschke.
Wie ein Blitz fährt der Advokat mit Käppi, Ober- und Untergewehr in die
Droschke, ruft: „Nach dem Exercierplatz!" und schlägt die Wagenthüre zu,—
Alles in einer Secunde. — spornstreichs jagt die Droschke davon, — und
halt! halt! alle Bürgerwehrmänner in vollem Galopp hinterdrein. Sie
dürfen auf keinen Fall ihren Arrestanten verlieren. Welch' eine Berufstreue!
Sie laufen, daß ihnen der Schweiß von der Stirne rinnt. —

Mitten hinein in dieses tolle Leben, zwischen diese prächtigen Figuren
mit den feierlich ernsten Gesichtern und der lustigen Uniform, mitten hinein
in das steif hölzerne Exercitium, in die heitern Scenen der Wachtstube und
die Großthaten der Parade, mitten in die ganze närrische Welt tönte plötzlich
der Ruf: „Die Bürgerwehr ist aufgelöst!" So ging auch für Rostock dieses
Wort in Erfüllung, das von einer Stadt zur andern, durch ganz Deutsch¬
land gellend dahin flog.

Die Bürgergarde war aufgelöst; die Gewehre hatten richtig ihren Käufer
gefunden. Schade, sollten die 1000 Jnfanteriesäbel nun ungenützt verkommen?
Und die vielen Patrontaschen und alle die schönen Käppis mit dem hohen
Federbusch? So war es eigentlich ein glücklicher Einfall, wenn Jemand vor¬
schlug, die acht Compagnien Bürgergarde nun einfach als „Fahnencorps"
und „Feuerwehr" fortbestehen zu lassen. Und richtig, so geschah es. Wer
als stolzer Bürgergardist ahnungslos Abends zu Bette gegangen war, stand
nun auf ein Mal am andern Morgen als ordinairer Feuermensch wieder auf.
Das gab ein allgemeines Lamento. Nein, so dastehen zu müssen, dicht bei
der Spritze und vor den Wasserkufen, in der alten berühmten Uniform der
Bürgergarde, und in einen Kreis um das Feuer herumzutreten, damit das
Haus sozusagen mit einer gewissen Feierlichkeit Herunterdrennen könne, nein,
das war doch zu viel. Als daher die Fahnencorps zum ersten Male sich
sammeln sollten, waren auf einmal die sämmtlichen Offiziere und Corporale
nicht zu haben. Mit der Auflösung der Bürgergarde hielt sich kein Gardist
mehr, geschweige ein Corporal, Lieutenant, oder gar der Herr Hauptmann zu
diesem Dienst als ordinärer Feuermann verpflichtet.

Erst eine gestrenge Verordnung des Rathes brachte Ordnung in die neuen
Dinge. Jeder angehende Bürger sollte von nun an den Dienst in der Feuer¬
wehr drei volle Jahre hindurch leisten, und seinen Eid als Bürger in Uni¬
form vor dem Magistrate der Stadt schwören, in derselben Uniform, die schon
manchen Professor und Justizrath als Bürgergardist so hübsch gekleidet hatte.
Unglücklicher Weise war aber mit der Auflösung der Bürgerwehr auch die
vorsichtige Rathsverordnung in die Brüche gegangen, wonach jeder angehende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/271>, abgerufen am 28.07.2024.