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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Auskunftsmitteln wird nur der greifen, dem es undenkbar ist, daß allein wegen
seiner nicht gehörig geförderten Entwicklung und Ausbildung Philipp von
der Gewohnheit des Habsburgischen Hauses abwich. Wie einst Karl V. seinen
Bruder und seine Schwestern, seine Frau und Kinder, den Sohn wie die
Töchter und den Neffen, auch in jungen Jahren nominell an die Spitze
einer Landesverwaltung gesetzt, so verfuhr auch Philipp, wie bekannt, ohne
jeden Anstand mit seinen beiden Halbgeschwistern. Auch von der Verwendung
des Don Carlos war 1559 schon die Rede und oft trug man sich auch trotz
seiner mit den Jahren zunehmenden Charakterverschlechterung noch wieder mit
dem Projekte, ihn zu verwerthen bei der politischen Arbeit der Monarchie;
nicht Mißtrauen in seine Richtung, wohl aber Mißtrauen in seine Fähigkeit
hat jedesmal die Ausführung gehindert. Freilich, daß Statthalterposten, an
Bierzehnjährige oder sechszehnjährige verliehen, keine wirkliche Bedeutung
haben können und selbst bei Zwanzigjährigen noch nicht viel besagen, liegt
auf der Hand, aber es wird wie es scheint gern vergessen.

Recht drastisch ist es ferner, wenn man meint, eine religiöse Entfremdung
habe damals ihren Anfang genommen -- im vierzehnjährigen Knaben! Man
kann sich dies zu lebhaftem Effektbilde ausdenken. Gezwungen dem Autodafe'
am 21. Mai 1559 beizuwohnen, in auffallend unverschämter Weise genöthigt
on einem Eide, den katholischen Glauben schützen zu wollen, sei es nicht zu
verwundern, führt Schmidt aus, wenn Carlos zu einem Gegner der Inquisi¬
tion und der kirchlichen Regierungsmaximen Philipp's heranwuchs. So leitet
Schmidt von der abschreckenden Einwirkung der Inquisition die Motivirung
des kirchlichen Gegensatzes im Prinzen her. Ich würde der Letzte sein, der
jemanden das Recht zu subjektiven Gefühlsäußerungen bestreiten möchte.
Ebenso wie ich selbst vor Kurzem eine Erörterung über die Inquisition an¬
gestellt habe *), welche eine rein historische und möglichst objektive Charakteristik
dieses seltsamen Institutes erstrebte ohne Beimischung irgend welcher apologe¬
tischen oder polemischen Absicht, ebenso sicher hat Schmidt die vollste Berech¬
nung seine entschiedene sittliche Entrüstung über die Gräuel der Inquisition
^ut zu geben; er darf versichert sein, daß bei der heutigen Stimmung der
Menschen seine Worte lebhaften Widerhall finden werden. Aber ein Anderes
^es er nicht, -- von seiner Gemüthsstimmung einen Salto mortale in die
Gedankenwelt des spanischen Knaben zu machen, das ist ihm nicht gestattet.
Was er von Carlos' damals, 1559. erregten Gefühlen, über die man sich nicht
Wundern könne, erzählt, hat er die Pflicht aus gleichzeitigen Quellen zu be¬
weisen; und von dieser Pflicht wird ihn das eigene sittlich erregte Pathos
^iber die Gräuel der Inquisition nicht befreien können. Es sind aber, wie



") Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit (Leipzig, F. W. Grunow 1874).
". 16 -- 21.
Grenzboten IV. 1874. 32

Auskunftsmitteln wird nur der greifen, dem es undenkbar ist, daß allein wegen
seiner nicht gehörig geförderten Entwicklung und Ausbildung Philipp von
der Gewohnheit des Habsburgischen Hauses abwich. Wie einst Karl V. seinen
Bruder und seine Schwestern, seine Frau und Kinder, den Sohn wie die
Töchter und den Neffen, auch in jungen Jahren nominell an die Spitze
einer Landesverwaltung gesetzt, so verfuhr auch Philipp, wie bekannt, ohne
jeden Anstand mit seinen beiden Halbgeschwistern. Auch von der Verwendung
des Don Carlos war 1559 schon die Rede und oft trug man sich auch trotz
seiner mit den Jahren zunehmenden Charakterverschlechterung noch wieder mit
dem Projekte, ihn zu verwerthen bei der politischen Arbeit der Monarchie;
nicht Mißtrauen in seine Richtung, wohl aber Mißtrauen in seine Fähigkeit
hat jedesmal die Ausführung gehindert. Freilich, daß Statthalterposten, an
Bierzehnjährige oder sechszehnjährige verliehen, keine wirkliche Bedeutung
haben können und selbst bei Zwanzigjährigen noch nicht viel besagen, liegt
auf der Hand, aber es wird wie es scheint gern vergessen.

Recht drastisch ist es ferner, wenn man meint, eine religiöse Entfremdung
habe damals ihren Anfang genommen — im vierzehnjährigen Knaben! Man
kann sich dies zu lebhaftem Effektbilde ausdenken. Gezwungen dem Autodafe'
am 21. Mai 1559 beizuwohnen, in auffallend unverschämter Weise genöthigt
on einem Eide, den katholischen Glauben schützen zu wollen, sei es nicht zu
verwundern, führt Schmidt aus, wenn Carlos zu einem Gegner der Inquisi¬
tion und der kirchlichen Regierungsmaximen Philipp's heranwuchs. So leitet
Schmidt von der abschreckenden Einwirkung der Inquisition die Motivirung
des kirchlichen Gegensatzes im Prinzen her. Ich würde der Letzte sein, der
jemanden das Recht zu subjektiven Gefühlsäußerungen bestreiten möchte.
Ebenso wie ich selbst vor Kurzem eine Erörterung über die Inquisition an¬
gestellt habe *), welche eine rein historische und möglichst objektive Charakteristik
dieses seltsamen Institutes erstrebte ohne Beimischung irgend welcher apologe¬
tischen oder polemischen Absicht, ebenso sicher hat Schmidt die vollste Berech¬
nung seine entschiedene sittliche Entrüstung über die Gräuel der Inquisition
^ut zu geben; er darf versichert sein, daß bei der heutigen Stimmung der
Menschen seine Worte lebhaften Widerhall finden werden. Aber ein Anderes
^es er nicht, — von seiner Gemüthsstimmung einen Salto mortale in die
Gedankenwelt des spanischen Knaben zu machen, das ist ihm nicht gestattet.
Was er von Carlos' damals, 1559. erregten Gefühlen, über die man sich nicht
Wundern könne, erzählt, hat er die Pflicht aus gleichzeitigen Quellen zu be¬
weisen; und von dieser Pflicht wird ihn das eigene sittlich erregte Pathos
^iber die Gräuel der Inquisition nicht befreien können. Es sind aber, wie



") Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit (Leipzig, F. W. Grunow 1874).
«. 16 — 21.
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[0253] Auskunftsmitteln wird nur der greifen, dem es undenkbar ist, daß allein wegen seiner nicht gehörig geförderten Entwicklung und Ausbildung Philipp von der Gewohnheit des Habsburgischen Hauses abwich. Wie einst Karl V. seinen Bruder und seine Schwestern, seine Frau und Kinder, den Sohn wie die Töchter und den Neffen, auch in jungen Jahren nominell an die Spitze einer Landesverwaltung gesetzt, so verfuhr auch Philipp, wie bekannt, ohne jeden Anstand mit seinen beiden Halbgeschwistern. Auch von der Verwendung des Don Carlos war 1559 schon die Rede und oft trug man sich auch trotz seiner mit den Jahren zunehmenden Charakterverschlechterung noch wieder mit dem Projekte, ihn zu verwerthen bei der politischen Arbeit der Monarchie; nicht Mißtrauen in seine Richtung, wohl aber Mißtrauen in seine Fähigkeit hat jedesmal die Ausführung gehindert. Freilich, daß Statthalterposten, an Bierzehnjährige oder sechszehnjährige verliehen, keine wirkliche Bedeutung haben können und selbst bei Zwanzigjährigen noch nicht viel besagen, liegt auf der Hand, aber es wird wie es scheint gern vergessen. Recht drastisch ist es ferner, wenn man meint, eine religiöse Entfremdung habe damals ihren Anfang genommen — im vierzehnjährigen Knaben! Man kann sich dies zu lebhaftem Effektbilde ausdenken. Gezwungen dem Autodafe' am 21. Mai 1559 beizuwohnen, in auffallend unverschämter Weise genöthigt on einem Eide, den katholischen Glauben schützen zu wollen, sei es nicht zu verwundern, führt Schmidt aus, wenn Carlos zu einem Gegner der Inquisi¬ tion und der kirchlichen Regierungsmaximen Philipp's heranwuchs. So leitet Schmidt von der abschreckenden Einwirkung der Inquisition die Motivirung des kirchlichen Gegensatzes im Prinzen her. Ich würde der Letzte sein, der jemanden das Recht zu subjektiven Gefühlsäußerungen bestreiten möchte. Ebenso wie ich selbst vor Kurzem eine Erörterung über die Inquisition an¬ gestellt habe *), welche eine rein historische und möglichst objektive Charakteristik dieses seltsamen Institutes erstrebte ohne Beimischung irgend welcher apologe¬ tischen oder polemischen Absicht, ebenso sicher hat Schmidt die vollste Berech¬ nung seine entschiedene sittliche Entrüstung über die Gräuel der Inquisition ^ut zu geben; er darf versichert sein, daß bei der heutigen Stimmung der Menschen seine Worte lebhaften Widerhall finden werden. Aber ein Anderes ^es er nicht, — von seiner Gemüthsstimmung einen Salto mortale in die Gedankenwelt des spanischen Knaben zu machen, das ist ihm nicht gestattet. Was er von Carlos' damals, 1559. erregten Gefühlen, über die man sich nicht Wundern könne, erzählt, hat er die Pflicht aus gleichzeitigen Quellen zu be¬ weisen; und von dieser Pflicht wird ihn das eigene sittlich erregte Pathos ^iber die Gräuel der Inquisition nicht befreien können. Es sind aber, wie ") Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit (Leipzig, F. W. Grunow 1874). «. 16 — 21. Grenzboten IV. 1874. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/253>, abgerufen am 28.07.2024.