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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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besonders von den Benetianern berichtet wurden. Viel Werth ist darauf
nicht zu legen: ein unbändiges wildes Temperament verrathen sie fast alle.
Nur ein Umstand verdient Beachtung. Ein Vertrauter der Habsburgischen
Kaiserfamilie, der 1548 mit Erzherzog Max nach Spanien gekommen, Gamiz
schilderte den fünfjährigen Knaben in einem confidentiellen Berichte als
körperlich gutes versprechend, aber von della genswerther Heftigkeit; er hielt
für einen Fehler, daß der Prinz nicht genug von Männern regiert wurde,
die ihn zu bändigen wüßten, und sah nichts gutes voraus, wenn man nicht
einschreite.*) Als aus dem fünfjährigen ein dreizehnjähriger geworden, sprach
sein eigener Hofmeister, Honorars Juan, es aus, daß seine Unterweisung
nicht rechte Früchte trage, daß er bei seiner Erziehung auf Schwierigkeiten
im Prinzen stoße, die er nicht überwinden könne: nur von der persönlichen
Mitwirkung des Vaters hoffte er eine bessere Wendung. Diese sehr inhalts¬
schwere Meldung des Erziehers ist nun freilich in einer Ausdrucksweise ab¬
gefaßt, die es absichtlich umgeht deutlich zu reden: "Philipp werde selbst
sehen", damit ist unsere Einsicht heute wenig gefördert. Wir erfahren eben
nur so viel, daß Grund zu bedenklicher Auffassung der Zukunft des Prinzen
vorhanden war, daß man den abwesenden Vater vorbereitete aus irgend¬
welche unerfreulichen Dinge in Don Carlos, -- deutlicher redete man nicht.

Nun ist hier gleich der Punkt gegeben, in dem allerlei Vermuthungen
w die Geschichte Eingang sich zu erzwingen suchen. Was das Mißfallen
der Erzieher hervorgerufen, was des Baders Bedenken sofort damals
erregt hat, das soll nichts anderes gewesen fein als der Anfang einer prin¬
cipiellen Abwendung des Sohnes von dem politischen und kirchlichen Systeme
des Vaters. Entgegen den erwähnten üblen Auffassungen des Prinzen bringt
Schmidt eine Anzahl zeitgenössischer Stimmen herbei, welche gute Hoffnungen
von dem jungen Prinzen bezeugen. Da möchte ich doch fragen: ist das ein
Mit den Grundsätzen kritischer Forschung übereinstimmendes Verfahren, wenn
ich Berichte von Diplomaten, die in den eingeweihten Hofkreisen leben, und
wenn ich vertrauliche, nicht für den Markt der Oeffentlichkeit bestimmte Er-
Öffnungen betheiligter Persönlichkeiten widerlegen oder schlagen oder discredi-
tiren will durch gelegentliche Lobesphrasen von Literaten, die gar nicht über
die Sache besonders genau unterrichtet sind und die vielleicht Hunderte von
teilen weit von dem Hofe entfernt sitzen, über den sie reden; auch das
Zeugniß des trefflichen Melanchthon, der in seinem Wittenberg den Stuben ten
über das ferne Spanien und die Gerüchte aus Spanien gelegentlich etwas
^Zählte, kann in dieser Frage schwerlich etwas beweisen. Was etwa heut¬
zutage ein braver Pastor oder Schulmeister in Deutschland von Hörensagen



') Bericht des Gamiz an König Ferdinand, vom April 1550, den ich dem Wiener Archive
entnommen und in der Historischen Zeitschrift abgedruckt habe, XXXII., 233.

besonders von den Benetianern berichtet wurden. Viel Werth ist darauf
nicht zu legen: ein unbändiges wildes Temperament verrathen sie fast alle.
Nur ein Umstand verdient Beachtung. Ein Vertrauter der Habsburgischen
Kaiserfamilie, der 1548 mit Erzherzog Max nach Spanien gekommen, Gamiz
schilderte den fünfjährigen Knaben in einem confidentiellen Berichte als
körperlich gutes versprechend, aber von della genswerther Heftigkeit; er hielt
für einen Fehler, daß der Prinz nicht genug von Männern regiert wurde,
die ihn zu bändigen wüßten, und sah nichts gutes voraus, wenn man nicht
einschreite.*) Als aus dem fünfjährigen ein dreizehnjähriger geworden, sprach
sein eigener Hofmeister, Honorars Juan, es aus, daß seine Unterweisung
nicht rechte Früchte trage, daß er bei seiner Erziehung auf Schwierigkeiten
im Prinzen stoße, die er nicht überwinden könne: nur von der persönlichen
Mitwirkung des Vaters hoffte er eine bessere Wendung. Diese sehr inhalts¬
schwere Meldung des Erziehers ist nun freilich in einer Ausdrucksweise ab¬
gefaßt, die es absichtlich umgeht deutlich zu reden: „Philipp werde selbst
sehen", damit ist unsere Einsicht heute wenig gefördert. Wir erfahren eben
nur so viel, daß Grund zu bedenklicher Auffassung der Zukunft des Prinzen
vorhanden war, daß man den abwesenden Vater vorbereitete aus irgend¬
welche unerfreulichen Dinge in Don Carlos, — deutlicher redete man nicht.

Nun ist hier gleich der Punkt gegeben, in dem allerlei Vermuthungen
w die Geschichte Eingang sich zu erzwingen suchen. Was das Mißfallen
der Erzieher hervorgerufen, was des Baders Bedenken sofort damals
erregt hat, das soll nichts anderes gewesen fein als der Anfang einer prin¬
cipiellen Abwendung des Sohnes von dem politischen und kirchlichen Systeme
des Vaters. Entgegen den erwähnten üblen Auffassungen des Prinzen bringt
Schmidt eine Anzahl zeitgenössischer Stimmen herbei, welche gute Hoffnungen
von dem jungen Prinzen bezeugen. Da möchte ich doch fragen: ist das ein
Mit den Grundsätzen kritischer Forschung übereinstimmendes Verfahren, wenn
ich Berichte von Diplomaten, die in den eingeweihten Hofkreisen leben, und
wenn ich vertrauliche, nicht für den Markt der Oeffentlichkeit bestimmte Er-
Öffnungen betheiligter Persönlichkeiten widerlegen oder schlagen oder discredi-
tiren will durch gelegentliche Lobesphrasen von Literaten, die gar nicht über
die Sache besonders genau unterrichtet sind und die vielleicht Hunderte von
teilen weit von dem Hofe entfernt sitzen, über den sie reden; auch das
Zeugniß des trefflichen Melanchthon, der in seinem Wittenberg den Stuben ten
über das ferne Spanien und die Gerüchte aus Spanien gelegentlich etwas
^Zählte, kann in dieser Frage schwerlich etwas beweisen. Was etwa heut¬
zutage ein braver Pastor oder Schulmeister in Deutschland von Hörensagen



') Bericht des Gamiz an König Ferdinand, vom April 1550, den ich dem Wiener Archive
entnommen und in der Historischen Zeitschrift abgedruckt habe, XXXII., 233.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/251>, abgerufen am 28.07.2024.