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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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leistet, ist das' Folgende. Weil einige Dilettanten der Politik und der Finanz¬
wissenschaft die Meinung in Umlauf gebracht haben, die schnelle Abzahlung
der Milliarden durch Frankreich habe eigentlich Deutschland Schaden gebracht,
so beeilt sich die Phantasie des Grafen, dem Publikum zu berichten, der
Träger dieser Phantasie sei von jeher für eine langsame Abzahlung der Milli¬
arden gewesen. Dieselbe Geschmeidigkeit läßt den Grafen sich einbilden
in Wirklichkeit wäre er trotz seines sanguinischen Urtheils eines solchen Vor-
schlags nicht fähig gewesen -- er habe vorgeschlagen, Deutschland solle
sich das Recht reserviren, ohne Kriegserklärung Frankreich bis zur"
Meere zu besetzen, wenn die französische Regierung sich mit den Zahlungen
säumig zeigen sollte. Es ist schade, daß der Graf diesen Vorschlag erst
seiner nachträglichen Einbildung gemacht hat. Hätte er ihn amtlich der"
Kanzler unterbreitet, so hätte dieser einen Grund gehabt, schon damals die
Stellung des Grafen zur Disposition wegen augenfälliger Unfähigkeit
verlangen. -- Den 24. Mai 1873, den Sturz der Präsidentschaft Thiers,
übergeht der Graf in seinem Bericht mit völligem Stillschweigen, und doch
liegt in diesem Ereigniß die Hauptanklage gegen den Grafen, daß er die
Politik des vorgesetzten Staatsmanns durchkreuzt hat.

Wenn nachgerade im Ausland wie im Inland die Meinung immer
mehr Boden gewinnt, der Graf habe geglaubt, die Politik besser zu versteht
als sein Chef, und habe die Anknüpfungen gesucht, um durch Verbreitung
dieser Meinung den Fürsten Bismarck zu verdrängen, so liefern den nicht'
eingeweihten Kreisen die vom Grafen selbst inspirirter Aeußerungen unzwetf^'
haft Anlaß zur Bestärkung dieser Ansicht.

Lassen wir aber die außerhalb der Oeffentlichkeit liegenden Vorgänge
aus dem Spiel. Was konnte wohl Fürst Bismarck thun, wenn ein Bot'
Schafter, der wegen Unzufriedenheit des Chefs zur Disposition gestellt worde"-
wichtige Aktenstücke an sich nimmt und auf die Aufforderung zur Heraus'
gäbe kurzweg erwiedert: Ihr habt mir nichts mehr zu sagen!

In diesem Fall, so scheint uns, bleibt dem leitenden Staatsmann ri^
Eins von beiden übrig. Entweder er muß dem Kaiser sagen: Dieser Bot'
Schafter a. D. ist so mächtig, daß er ungestraft einen Akt der äußersten 3"'
subordination begehen kann; ich kann nicht mehr der erste Beamte sein, roe^
das arbeitende Personal mir nach Belieben den Gehorsam aufkündigt!
Wenn der Fürst nicht in der Lage war, so zu sprechen, so konnte er nur dle
Genehmigung des Kaisers zum Anrufen der Gerichte gegen einen rebellisch^'
vielleicht bis zur Gefährdung der Staatsinteressen rebellischen Staatsdiene'
O--r. verlangen.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von A. L. Hervig in Leipzig. -- Druck von Hüthel ", Legler er Leipzig.

leistet, ist das' Folgende. Weil einige Dilettanten der Politik und der Finanz¬
wissenschaft die Meinung in Umlauf gebracht haben, die schnelle Abzahlung
der Milliarden durch Frankreich habe eigentlich Deutschland Schaden gebracht,
so beeilt sich die Phantasie des Grafen, dem Publikum zu berichten, der
Träger dieser Phantasie sei von jeher für eine langsame Abzahlung der Milli¬
arden gewesen. Dieselbe Geschmeidigkeit läßt den Grafen sich einbilden
in Wirklichkeit wäre er trotz seines sanguinischen Urtheils eines solchen Vor-
schlags nicht fähig gewesen — er habe vorgeschlagen, Deutschland solle
sich das Recht reserviren, ohne Kriegserklärung Frankreich bis zur»
Meere zu besetzen, wenn die französische Regierung sich mit den Zahlungen
säumig zeigen sollte. Es ist schade, daß der Graf diesen Vorschlag erst
seiner nachträglichen Einbildung gemacht hat. Hätte er ihn amtlich der»
Kanzler unterbreitet, so hätte dieser einen Grund gehabt, schon damals die
Stellung des Grafen zur Disposition wegen augenfälliger Unfähigkeit
verlangen. — Den 24. Mai 1873, den Sturz der Präsidentschaft Thiers,
übergeht der Graf in seinem Bericht mit völligem Stillschweigen, und doch
liegt in diesem Ereigniß die Hauptanklage gegen den Grafen, daß er die
Politik des vorgesetzten Staatsmanns durchkreuzt hat.

Wenn nachgerade im Ausland wie im Inland die Meinung immer
mehr Boden gewinnt, der Graf habe geglaubt, die Politik besser zu versteht
als sein Chef, und habe die Anknüpfungen gesucht, um durch Verbreitung
dieser Meinung den Fürsten Bismarck zu verdrängen, so liefern den nicht'
eingeweihten Kreisen die vom Grafen selbst inspirirter Aeußerungen unzwetf^'
haft Anlaß zur Bestärkung dieser Ansicht.

Lassen wir aber die außerhalb der Oeffentlichkeit liegenden Vorgänge
aus dem Spiel. Was konnte wohl Fürst Bismarck thun, wenn ein Bot'
Schafter, der wegen Unzufriedenheit des Chefs zur Disposition gestellt worde»-
wichtige Aktenstücke an sich nimmt und auf die Aufforderung zur Heraus'
gäbe kurzweg erwiedert: Ihr habt mir nichts mehr zu sagen!

In diesem Fall, so scheint uns, bleibt dem leitenden Staatsmann ri^
Eins von beiden übrig. Entweder er muß dem Kaiser sagen: Dieser Bot'
Schafter a. D. ist so mächtig, daß er ungestraft einen Akt der äußersten 3"'
subordination begehen kann; ich kann nicht mehr der erste Beamte sein, roe^
das arbeitende Personal mir nach Belieben den Gehorsam aufkündigt!
Wenn der Fürst nicht in der Lage war, so zu sprechen, so konnte er nur dle
Genehmigung des Kaisers zum Anrufen der Gerichte gegen einen rebellisch^'
vielleicht bis zur Gefährdung der Staatsinteressen rebellischen Staatsdiene'
O—r. verlangen.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von A. L. Hervig in Leipzig. — Druck von Hüthel », Legler er Leipzig.
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[0204] leistet, ist das' Folgende. Weil einige Dilettanten der Politik und der Finanz¬ wissenschaft die Meinung in Umlauf gebracht haben, die schnelle Abzahlung der Milliarden durch Frankreich habe eigentlich Deutschland Schaden gebracht, so beeilt sich die Phantasie des Grafen, dem Publikum zu berichten, der Träger dieser Phantasie sei von jeher für eine langsame Abzahlung der Milli¬ arden gewesen. Dieselbe Geschmeidigkeit läßt den Grafen sich einbilden in Wirklichkeit wäre er trotz seines sanguinischen Urtheils eines solchen Vor- schlags nicht fähig gewesen — er habe vorgeschlagen, Deutschland solle sich das Recht reserviren, ohne Kriegserklärung Frankreich bis zur» Meere zu besetzen, wenn die französische Regierung sich mit den Zahlungen säumig zeigen sollte. Es ist schade, daß der Graf diesen Vorschlag erst seiner nachträglichen Einbildung gemacht hat. Hätte er ihn amtlich der» Kanzler unterbreitet, so hätte dieser einen Grund gehabt, schon damals die Stellung des Grafen zur Disposition wegen augenfälliger Unfähigkeit verlangen. — Den 24. Mai 1873, den Sturz der Präsidentschaft Thiers, übergeht der Graf in seinem Bericht mit völligem Stillschweigen, und doch liegt in diesem Ereigniß die Hauptanklage gegen den Grafen, daß er die Politik des vorgesetzten Staatsmanns durchkreuzt hat. Wenn nachgerade im Ausland wie im Inland die Meinung immer mehr Boden gewinnt, der Graf habe geglaubt, die Politik besser zu versteht als sein Chef, und habe die Anknüpfungen gesucht, um durch Verbreitung dieser Meinung den Fürsten Bismarck zu verdrängen, so liefern den nicht' eingeweihten Kreisen die vom Grafen selbst inspirirter Aeußerungen unzwetf^' haft Anlaß zur Bestärkung dieser Ansicht. Lassen wir aber die außerhalb der Oeffentlichkeit liegenden Vorgänge aus dem Spiel. Was konnte wohl Fürst Bismarck thun, wenn ein Bot' Schafter, der wegen Unzufriedenheit des Chefs zur Disposition gestellt worde»- wichtige Aktenstücke an sich nimmt und auf die Aufforderung zur Heraus' gäbe kurzweg erwiedert: Ihr habt mir nichts mehr zu sagen! In diesem Fall, so scheint uns, bleibt dem leitenden Staatsmann ri^ Eins von beiden übrig. Entweder er muß dem Kaiser sagen: Dieser Bot' Schafter a. D. ist so mächtig, daß er ungestraft einen Akt der äußersten 3"' subordination begehen kann; ich kann nicht mehr der erste Beamte sein, roe^ das arbeitende Personal mir nach Belieben den Gehorsam aufkündigt! Wenn der Fürst nicht in der Lage war, so zu sprechen, so konnte er nur dle Genehmigung des Kaisers zum Anrufen der Gerichte gegen einen rebellisch^' vielleicht bis zur Gefährdung der Staatsinteressen rebellischen Staatsdiene' O—r. verlangen. Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von A. L. Hervig in Leipzig. — Druck von Hüthel », Legler er Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/204>, abgerufen am 27.07.2024.