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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Dom deutschen Keich und Keichstllg.

Zum 29. Oktober ist der Reichstag einberufen. Die drei großen Gesetze
über die Bildung der Rechtsorgane und des Verfahrens derselben, nämlich:
das Gesetz über die Gerichtsverfassung, die Civilprozeßordnung und die Straf¬
prozeßordnung, werden nach allgemeiner Uebereinstimmung während dieser
Session den Reichstag nur in der Art beschäftigen, daß letzterer eine Com¬
mission zur Vorberathung dieser Gesetze ernennt und mit der Befugniß aus¬
stattet, ihre Thätigkeit über die Session hinaus zu erstrecken. Denn innerhalb
einer Session und zumal einer kurz bemessenen, wie die bevorstehende, kann
auch nicht einmal die Vorberathung so umfassender und dabei vielbestrittene
Fragen ordnender Gesetze von einer Commission erledigt werden. Damit die
Commission nach dem Schluß der Session fortarbeiten und ihr Ergebniß dem
Reichstag in einer späteren Session vorlegen darf, wird es indeß einer reichs¬
gesetzlichen Vollmacht bedürfen. Denn bis jetzt wird auf Seiten des Reichs¬
tags und der öffentlichen Meinung überwiegend an dem Grundsatz der
sogenannten Discontinuität der Sessionen, als einer nur ausnahmsweise zu
verlassenden Regel, festgehalten, obgleich dieser Grundsatz in der Reichsverfassung
nirgend ausgesprochen und nicht einmal eine Anspielung darauf gemacht ist.
Man behandelt denselben jedoch als einen Bestandtheil, um mich so auszu¬
drücken, des gemeinen parlamentarischen Rechtes. Auf die richtige Hand¬
habung dieses Grundsatzes in der deutschen Reichsverfassung wird sich Gelegen¬
heit finden zurückzukommen, wenn das Vollmachtsgesetz berathen wird. Da
letzteres eine zeitraubende Verhandlung kaum herbeiführen wird, so bleiben
dem Reichstag als Hauptgeschäfte der diesmaligen Session der Reichshaushalt,
in welchem zum erstenmal die specialisirten Militärausgaben sich finden, und
das Bankgesetz. Beide Gegenstände sind ohne Zweifel bedeutungsvoll und
wiederstreitenden Auffassungen ausgesetzt. Aber es wird möglich sein, diese
Arbeiten in der, durch den diesmal unüberschreitbaren Markstein des Weihnachts¬
festes kurz bemessenen Session zu beendigen. Daß die Thronrede unerwartet
noch eine größere Gesetzvorlage ankündigen sollte, ist nicht wahrscheinlich.

Das deutsche Volk und seine großen regierenden Körperschaften können
diesmal, wie es scheint, in einem ruhigeren Augenblick, als seit lange, an die
Arbeiten der inneren Fortbildung gehen und diesen ihre Aufmerksamkeit
widmen. Die Aufmerksamkeit wird jedoch auf allen Seiten zum großen
Theile durch eine andere Angelegenheit absorbirt, die allerdings dem Reiche
nicht fremd ist. Wir meinen die gegen einen ehemaligen Botschafter des
deutschen Reiches schwebende gerichtliche Untersuchung. Daß in Preußen ein


Dom deutschen Keich und Keichstllg.

Zum 29. Oktober ist der Reichstag einberufen. Die drei großen Gesetze
über die Bildung der Rechtsorgane und des Verfahrens derselben, nämlich:
das Gesetz über die Gerichtsverfassung, die Civilprozeßordnung und die Straf¬
prozeßordnung, werden nach allgemeiner Uebereinstimmung während dieser
Session den Reichstag nur in der Art beschäftigen, daß letzterer eine Com¬
mission zur Vorberathung dieser Gesetze ernennt und mit der Befugniß aus¬
stattet, ihre Thätigkeit über die Session hinaus zu erstrecken. Denn innerhalb
einer Session und zumal einer kurz bemessenen, wie die bevorstehende, kann
auch nicht einmal die Vorberathung so umfassender und dabei vielbestrittene
Fragen ordnender Gesetze von einer Commission erledigt werden. Damit die
Commission nach dem Schluß der Session fortarbeiten und ihr Ergebniß dem
Reichstag in einer späteren Session vorlegen darf, wird es indeß einer reichs¬
gesetzlichen Vollmacht bedürfen. Denn bis jetzt wird auf Seiten des Reichs¬
tags und der öffentlichen Meinung überwiegend an dem Grundsatz der
sogenannten Discontinuität der Sessionen, als einer nur ausnahmsweise zu
verlassenden Regel, festgehalten, obgleich dieser Grundsatz in der Reichsverfassung
nirgend ausgesprochen und nicht einmal eine Anspielung darauf gemacht ist.
Man behandelt denselben jedoch als einen Bestandtheil, um mich so auszu¬
drücken, des gemeinen parlamentarischen Rechtes. Auf die richtige Hand¬
habung dieses Grundsatzes in der deutschen Reichsverfassung wird sich Gelegen¬
heit finden zurückzukommen, wenn das Vollmachtsgesetz berathen wird. Da
letzteres eine zeitraubende Verhandlung kaum herbeiführen wird, so bleiben
dem Reichstag als Hauptgeschäfte der diesmaligen Session der Reichshaushalt,
in welchem zum erstenmal die specialisirten Militärausgaben sich finden, und
das Bankgesetz. Beide Gegenstände sind ohne Zweifel bedeutungsvoll und
wiederstreitenden Auffassungen ausgesetzt. Aber es wird möglich sein, diese
Arbeiten in der, durch den diesmal unüberschreitbaren Markstein des Weihnachts¬
festes kurz bemessenen Session zu beendigen. Daß die Thronrede unerwartet
noch eine größere Gesetzvorlage ankündigen sollte, ist nicht wahrscheinlich.

Das deutsche Volk und seine großen regierenden Körperschaften können
diesmal, wie es scheint, in einem ruhigeren Augenblick, als seit lange, an die
Arbeiten der inneren Fortbildung gehen und diesen ihre Aufmerksamkeit
widmen. Die Aufmerksamkeit wird jedoch auf allen Seiten zum großen
Theile durch eine andere Angelegenheit absorbirt, die allerdings dem Reiche
nicht fremd ist. Wir meinen die gegen einen ehemaligen Botschafter des
deutschen Reiches schwebende gerichtliche Untersuchung. Daß in Preußen ein


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[0198] Dom deutschen Keich und Keichstllg. Zum 29. Oktober ist der Reichstag einberufen. Die drei großen Gesetze über die Bildung der Rechtsorgane und des Verfahrens derselben, nämlich: das Gesetz über die Gerichtsverfassung, die Civilprozeßordnung und die Straf¬ prozeßordnung, werden nach allgemeiner Uebereinstimmung während dieser Session den Reichstag nur in der Art beschäftigen, daß letzterer eine Com¬ mission zur Vorberathung dieser Gesetze ernennt und mit der Befugniß aus¬ stattet, ihre Thätigkeit über die Session hinaus zu erstrecken. Denn innerhalb einer Session und zumal einer kurz bemessenen, wie die bevorstehende, kann auch nicht einmal die Vorberathung so umfassender und dabei vielbestrittene Fragen ordnender Gesetze von einer Commission erledigt werden. Damit die Commission nach dem Schluß der Session fortarbeiten und ihr Ergebniß dem Reichstag in einer späteren Session vorlegen darf, wird es indeß einer reichs¬ gesetzlichen Vollmacht bedürfen. Denn bis jetzt wird auf Seiten des Reichs¬ tags und der öffentlichen Meinung überwiegend an dem Grundsatz der sogenannten Discontinuität der Sessionen, als einer nur ausnahmsweise zu verlassenden Regel, festgehalten, obgleich dieser Grundsatz in der Reichsverfassung nirgend ausgesprochen und nicht einmal eine Anspielung darauf gemacht ist. Man behandelt denselben jedoch als einen Bestandtheil, um mich so auszu¬ drücken, des gemeinen parlamentarischen Rechtes. Auf die richtige Hand¬ habung dieses Grundsatzes in der deutschen Reichsverfassung wird sich Gelegen¬ heit finden zurückzukommen, wenn das Vollmachtsgesetz berathen wird. Da letzteres eine zeitraubende Verhandlung kaum herbeiführen wird, so bleiben dem Reichstag als Hauptgeschäfte der diesmaligen Session der Reichshaushalt, in welchem zum erstenmal die specialisirten Militärausgaben sich finden, und das Bankgesetz. Beide Gegenstände sind ohne Zweifel bedeutungsvoll und wiederstreitenden Auffassungen ausgesetzt. Aber es wird möglich sein, diese Arbeiten in der, durch den diesmal unüberschreitbaren Markstein des Weihnachts¬ festes kurz bemessenen Session zu beendigen. Daß die Thronrede unerwartet noch eine größere Gesetzvorlage ankündigen sollte, ist nicht wahrscheinlich. Das deutsche Volk und seine großen regierenden Körperschaften können diesmal, wie es scheint, in einem ruhigeren Augenblick, als seit lange, an die Arbeiten der inneren Fortbildung gehen und diesen ihre Aufmerksamkeit widmen. Die Aufmerksamkeit wird jedoch auf allen Seiten zum großen Theile durch eine andere Angelegenheit absorbirt, die allerdings dem Reiche nicht fremd ist. Wir meinen die gegen einen ehemaligen Botschafter des deutschen Reiches schwebende gerichtliche Untersuchung. Daß in Preußen ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/198>, abgerufen am 27.07.2024.