Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.vor der Ehrwürdigkeit der Gottesaussprüche noch herrschte, der natürlich noch Betrachten wir nun noch in kurzen Zügen die bedeutendsten Orakelan¬ Eines der ältesten Orakel Griechenlands war zu Dodona, einem Orte Grenzboten lV. 1874. 22
vor der Ehrwürdigkeit der Gottesaussprüche noch herrschte, der natürlich noch Betrachten wir nun noch in kurzen Zügen die bedeutendsten Orakelan¬ Eines der ältesten Orakel Griechenlands war zu Dodona, einem Orte Grenzboten lV. 1874. 22
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132395"/> <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> vor der Ehrwürdigkeit der Gottesaussprüche noch herrschte, der natürlich noch<lb/> sich erhöhte und für lange Zeit aufs Neue fest gegründet war, wenn einmal<lb/> ein Spruch zufällig in Erfüllung ging: so kann es uns nicht mehr befremden,<lb/> daß diese Orakelanstalten noch in Ansehen und Blüthe standen zu einer Zeit,<lb/> da die Weltgeschichte längst über sie zur Tagesordnung übergegangen war.<lb/> Auf die Dauer freilich konnten sie dem Geiste der Zeit, der mehr und mehr<lb/> sich geltend machenden Selbständigkeit des Denkens, der weiter sich verbrei¬<lb/> tenden Aufklärung und Bildung nicht mehr Widerstand leisten und mußten<lb/> fallen, wie Alles fällt, ob's auch noch so sicher und prunkend dasteht, was<lb/> auf den Sand kindlichen Wesens, thörichten Aberglaubens und menschlichen<lb/> Eigennutzes gebaut ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_570"> Betrachten wir nun noch in kurzen Zügen die bedeutendsten Orakelan¬<lb/> stalten Griechenlands in ihren besondern Eigenthümlichkeiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_571" next="#ID_572"> Eines der ältesten Orakel Griechenlands war zu Dodona, einem Orte<lb/> in Epirus. Die Sage über die Entstehung desselben ist folgende. Zwei<lb/> Tauben, welche der Thebe, einer Tochter des Zeus, gehörten und die Gabe<lb/> menschlicher Sprache hatten, flogen von Theben in Aegypten aus. Die eine<lb/> kam nach Libyen und stiftete dort das Ammonische Orakel, die andere nach<lb/> Epirus und ließ sich dort auf einem Eichbaum nieder, von dem aus sie die<lb/> Einwohner, welche Sellen genannt wurden, (Soph. Trans. V. 1139) auf¬<lb/> forderte, dem Zeus zu Ehren an eben der Stelle ein Orakel zu stiften. Da<lb/> nach Strabo die ägyptischen Priester behaupteten, daß zwei Priesterinnen ihren<lb/> Cultus nach Libyen und Epirus verpflanzt hätten, und da ferner in der<lb/> Sprache der alten Völker von Epirus dasselbe Wort Tauben und alte Weiber<lb/> bedeutet, so wird es wahrscheinlich, daß hier eine Verwechselung vorliegt und<lb/> der Sinn jener Fabel der ist, daß das Dodonische Orakel zuerst durch ägyp¬<lb/> tische Priesterinnen' gestiftet sei, die in dem heiligen Haine bei Dodona ihre<lb/> Weissagungen ertheilten. Aus letzterem Umstände bildete sich dann die fernere<lb/> Sage, die Eichbäume jenes Haines könnten reden, wie denn auch behauptet<lb/> wird, das Schiff der Argonauten, welches aus Eichstämmen jenes Haines<lb/> gezimmert war, habe die Gabe zu reden und zu weissagen gehabt. Die<lb/> Priesterinnen des Zeus, welche in dem Haine, den später ein Tempel zierte.<lb/> Weissagten, suchten den Willen ihres Gottes auf sehr verschiedene Weise zu<lb/> erforschen. Bald horchten sie auf das Gesäusel des Windes, der die Wipfel<lb/> der Eichbäume bewegte, bald auf das Gemurmel der Quelle, die aus dem<lb/> Boden hervorsprudelte, bald auf das Geräusch, das durch das Zusammen¬<lb/> schlagen mehrerer um den Tempel hängender kupferner Becken entstand, bald<lb/> "uf die Töne, die eine Figur dadurch hervorbrachte, daß eine aus drei Metall¬<lb/> ketten bestehende und mit Metallknöpfen besetzte Peitsche, die sie in der Hand<lb/> hielt, wenn sie vom Winde bewegt wurde, an ein daneben stehendes ehernes</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten lV. 1874. 22</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
vor der Ehrwürdigkeit der Gottesaussprüche noch herrschte, der natürlich noch
sich erhöhte und für lange Zeit aufs Neue fest gegründet war, wenn einmal
ein Spruch zufällig in Erfüllung ging: so kann es uns nicht mehr befremden,
daß diese Orakelanstalten noch in Ansehen und Blüthe standen zu einer Zeit,
da die Weltgeschichte längst über sie zur Tagesordnung übergegangen war.
Auf die Dauer freilich konnten sie dem Geiste der Zeit, der mehr und mehr
sich geltend machenden Selbständigkeit des Denkens, der weiter sich verbrei¬
tenden Aufklärung und Bildung nicht mehr Widerstand leisten und mußten
fallen, wie Alles fällt, ob's auch noch so sicher und prunkend dasteht, was
auf den Sand kindlichen Wesens, thörichten Aberglaubens und menschlichen
Eigennutzes gebaut ist.
Betrachten wir nun noch in kurzen Zügen die bedeutendsten Orakelan¬
stalten Griechenlands in ihren besondern Eigenthümlichkeiten.
Eines der ältesten Orakel Griechenlands war zu Dodona, einem Orte
in Epirus. Die Sage über die Entstehung desselben ist folgende. Zwei
Tauben, welche der Thebe, einer Tochter des Zeus, gehörten und die Gabe
menschlicher Sprache hatten, flogen von Theben in Aegypten aus. Die eine
kam nach Libyen und stiftete dort das Ammonische Orakel, die andere nach
Epirus und ließ sich dort auf einem Eichbaum nieder, von dem aus sie die
Einwohner, welche Sellen genannt wurden, (Soph. Trans. V. 1139) auf¬
forderte, dem Zeus zu Ehren an eben der Stelle ein Orakel zu stiften. Da
nach Strabo die ägyptischen Priester behaupteten, daß zwei Priesterinnen ihren
Cultus nach Libyen und Epirus verpflanzt hätten, und da ferner in der
Sprache der alten Völker von Epirus dasselbe Wort Tauben und alte Weiber
bedeutet, so wird es wahrscheinlich, daß hier eine Verwechselung vorliegt und
der Sinn jener Fabel der ist, daß das Dodonische Orakel zuerst durch ägyp¬
tische Priesterinnen' gestiftet sei, die in dem heiligen Haine bei Dodona ihre
Weissagungen ertheilten. Aus letzterem Umstände bildete sich dann die fernere
Sage, die Eichbäume jenes Haines könnten reden, wie denn auch behauptet
wird, das Schiff der Argonauten, welches aus Eichstämmen jenes Haines
gezimmert war, habe die Gabe zu reden und zu weissagen gehabt. Die
Priesterinnen des Zeus, welche in dem Haine, den später ein Tempel zierte.
Weissagten, suchten den Willen ihres Gottes auf sehr verschiedene Weise zu
erforschen. Bald horchten sie auf das Gesäusel des Windes, der die Wipfel
der Eichbäume bewegte, bald auf das Gemurmel der Quelle, die aus dem
Boden hervorsprudelte, bald auf das Geräusch, das durch das Zusammen¬
schlagen mehrerer um den Tempel hängender kupferner Becken entstand, bald
"uf die Töne, die eine Figur dadurch hervorbrachte, daß eine aus drei Metall¬
ketten bestehende und mit Metallknöpfen besetzte Peitsche, die sie in der Hand
hielt, wenn sie vom Winde bewegt wurde, an ein daneben stehendes ehernes
Grenzboten lV. 1874. 22
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |