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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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aller Melodien scheint, die Voltaire sein Leben lang angestimmt hat, so ver¬
wandt ist er der besten Erkenntniß, welche der Historiker Voltaire zu Tage
gefördert hat, so wenig hat er den Dichter gehindert, ein vollendeter Geschichts¬
schreiber zu werden. Denn dieser Haß war nur die Vorstufe des vollen Ein¬
dringens in die große Wahrheit seines Lebens, die Voltaire seinen historischen
Studien dankt: die Duldsamkeit, welche ja überhaupt der historischen Objek¬
tivität so nahe ist. Der Klerus war der absolute Gegner jeder Duldsamkeit,
jeder Objectivität in Glaubenssachen, im Verhältniß der Kirche zum Staate.
Den Klerus trifft daher Voltaire's Haß auch dann noch unvermindert, als er
für sich selbst längst die volle historische Objectivität gewonnen hat. Wir
sind damit Grimm's Darstellung vorausgeeilt. Er beschreibt einen größeren
Umweg, um uns Voltaire's Bedeutung als Historiker in das volle Licht zu
setzen. Er sucht, ganz im Allgemeinen zu zeigen, in welchen Grenzen die
"drei Mittel" wirken, "die Menschheit wissen zu lassen, was geschieht und
geschehen ist: bildende Kunst, Dichtung und Geschichtsschreibung". Er unter¬
sucht, wie z. B. Homer als Geschichtsschreiber den trojanischen Krieg beschrie¬
ben haben würde, wie verschiedene Zeiten nur die eine oder andere dieser Er¬
kenntnißgattungen ertragen. Das ist meisterhaft geschrieben und gehört zu
dem besten der ganzen Sammlung. Aber es muß Wort für Wort im Ori¬
ginal gelesen werden. Ein Auszug läßt sich nicht geben. Grimm kehrt am
Schlüsse dieses Excurses zu der These zurück, von der er ausgeht: "Voltaire
war geborener Geschichtsschreiber. Es zwang ihn, wie Machiavelli, ein Na¬
turtrieb, die Begebenheiten, von denen er Kunde erhielt, mit mechanischer Par-
teilosigkeit niederzuschreiben. Aber nicht jede Zeit zeitigt jedes. Es gibt
Epochen, denen die Geschichtsschreibung allein übrig bleibt, denen versagt ist,
Gesänge vorzubringen. Voltaire suchte sich vergebens den Anschein zu geben,
als sei er ein Stück Prometheus, der Menschen formte nach seinem Bilde.
Als Geschichtsschreiber dagegen hat er geleistet, was kein anderer besser gethan
hätte neben ihm. Er war ein schöpferischer Genius als Historiker. Er beur¬
theilte mit durchbohrendem Blicke die Thätigkeit derer, welche, längst dem
Tode anheimgefallen, die Geschicke seines Vaterlandes ruhmvoll leiteten, und
besaß die Kraft, die Schattenbilder vergangener Tage, als in lebendiger indi¬
vidueller Bewegung begriffen, uns vorzutäuschen. Sein Finger ging den
Schritten der Menschen und Begebenheiten nach, und nur diese Linie vielleicht,
die er gezogen, wird nachkommende Jahrhunderte einst bewegen, sich näher
um das zu kümmern, was zwischen 1680 und 1700 in Frankreich vorfiel."
Voltaire, führt Grimm weiter aus, ist in seinem großen Werke über das
Liöele ni<z I^uis XIV. keineswegs ein Panegyriker des Königs, dessen Namen
das Jahrhundert trägt. Er redet von dem Glanz der Zeit überhaupt nur
in<z2W voce, da er sein Publikum, das französische und sonstige nicht zu


aller Melodien scheint, die Voltaire sein Leben lang angestimmt hat, so ver¬
wandt ist er der besten Erkenntniß, welche der Historiker Voltaire zu Tage
gefördert hat, so wenig hat er den Dichter gehindert, ein vollendeter Geschichts¬
schreiber zu werden. Denn dieser Haß war nur die Vorstufe des vollen Ein¬
dringens in die große Wahrheit seines Lebens, die Voltaire seinen historischen
Studien dankt: die Duldsamkeit, welche ja überhaupt der historischen Objek¬
tivität so nahe ist. Der Klerus war der absolute Gegner jeder Duldsamkeit,
jeder Objectivität in Glaubenssachen, im Verhältniß der Kirche zum Staate.
Den Klerus trifft daher Voltaire's Haß auch dann noch unvermindert, als er
für sich selbst längst die volle historische Objectivität gewonnen hat. Wir
sind damit Grimm's Darstellung vorausgeeilt. Er beschreibt einen größeren
Umweg, um uns Voltaire's Bedeutung als Historiker in das volle Licht zu
setzen. Er sucht, ganz im Allgemeinen zu zeigen, in welchen Grenzen die
„drei Mittel" wirken, „die Menschheit wissen zu lassen, was geschieht und
geschehen ist: bildende Kunst, Dichtung und Geschichtsschreibung". Er unter¬
sucht, wie z. B. Homer als Geschichtsschreiber den trojanischen Krieg beschrie¬
ben haben würde, wie verschiedene Zeiten nur die eine oder andere dieser Er¬
kenntnißgattungen ertragen. Das ist meisterhaft geschrieben und gehört zu
dem besten der ganzen Sammlung. Aber es muß Wort für Wort im Ori¬
ginal gelesen werden. Ein Auszug läßt sich nicht geben. Grimm kehrt am
Schlüsse dieses Excurses zu der These zurück, von der er ausgeht: „Voltaire
war geborener Geschichtsschreiber. Es zwang ihn, wie Machiavelli, ein Na¬
turtrieb, die Begebenheiten, von denen er Kunde erhielt, mit mechanischer Par-
teilosigkeit niederzuschreiben. Aber nicht jede Zeit zeitigt jedes. Es gibt
Epochen, denen die Geschichtsschreibung allein übrig bleibt, denen versagt ist,
Gesänge vorzubringen. Voltaire suchte sich vergebens den Anschein zu geben,
als sei er ein Stück Prometheus, der Menschen formte nach seinem Bilde.
Als Geschichtsschreiber dagegen hat er geleistet, was kein anderer besser gethan
hätte neben ihm. Er war ein schöpferischer Genius als Historiker. Er beur¬
theilte mit durchbohrendem Blicke die Thätigkeit derer, welche, längst dem
Tode anheimgefallen, die Geschicke seines Vaterlandes ruhmvoll leiteten, und
besaß die Kraft, die Schattenbilder vergangener Tage, als in lebendiger indi¬
vidueller Bewegung begriffen, uns vorzutäuschen. Sein Finger ging den
Schritten der Menschen und Begebenheiten nach, und nur diese Linie vielleicht,
die er gezogen, wird nachkommende Jahrhunderte einst bewegen, sich näher
um das zu kümmern, was zwischen 1680 und 1700 in Frankreich vorfiel."
Voltaire, führt Grimm weiter aus, ist in seinem großen Werke über das
Liöele ni<z I^uis XIV. keineswegs ein Panegyriker des Königs, dessen Namen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/16>, abgerufen am 27.07.2024.