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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Die erste und die letzte Strophe bilden gleichsam den Rahmen zu dem
historischen Nachtbilde, das die sechs inneren Strophen vor unserm geistigen
Auge entfalten; sie verhalten sich etwa zu einander, wie Exposition und Ka¬
tastrophe. Die erste Strophe führt uns die Situation in kurzen Zügen vor:
sie begruben den Helden ohne alle militärischen Ehren. Die folgenden sechs
Strophen bringen die Einzelheiten des Begräbnisses selbst und die sich von
Wehmuth und Schmerz bis zur Erbitterung steigernden und dann wieder in
Wehmuth auflösenden Gefühle der Begrabenden in ergreifender Weise zur An¬
schauung und Nachempfindung: -- das mitternächtliche, nur durch den nebel¬
umhüllten Mond und den trüben Schein der Laterne erhellte Dunkel --
Bayonette dienen als Spaten -- sie hatten weder Sarg noch Leichen¬
tuch -- doch:


Er lag wie ein Krieger sich legt zur Nuh,
Der Soldatenmantel nur barg ihn.

Und dann der Ausdruck des verhaltenen Schmerzes beim Anblick des Ge¬
sichtes, trat was äoaci; noch gestern lebte es und belebte sie alle! -- Und
die Erbitterung über den Feind, der am nächsten Tage, vielleicht unwissent-
lich über seinem Haupte stehend, die Stätte des Todten durch Schmähungen
über den Sieger entweihen wird --:


Doch was kümmert ihn Spott, was kümmert ihn Hohn
In der Gruft, die ihm Briten bestellten!

Aber noch haben sie das schwere Werk nicht vollbracht, da schlägt die
Stunde der Einschiffung, und zugleich hören sie plötzlich ssucläenl^ -- früh
gegen 8 Uhr in der Dunkelheit des Januar-Morgens ein entferntes und
nichtiges Schießen srsnäom Zur -- Fühlungsschuß??^ des Feindes.--
Nun knüpft die letzte Strophe mit ">v<z 1iM Kien av^n" wieder an das "v/e
buriecl Kien" im letzten Verse der ersten und im ersten Berse der zweiten
Strophe an: --sie erfüllen die letzte traurige Pflicht; einen Denkstein können
sie ihm nicht setzen -- so ruht er fernab verlassen, nur der Ruhm ist sein
Genosse! --

Und all das tönt uns entgegen als ein Bericht aus dem Munde der
Soldaten, die das Bayonnett als Spaten des Todtengräbers verwenden!
Der Gefühlsausdruck wird dadurch zum Ausdruck des Gefühls der gesammten
Armee,.welche durch die kleine Schaar repräsentirt wird. Die Kraft, Gedrängt¬
heit und innere Wahrheit der Darstellung ist im hohen Grade, aber im
edelsten Sinne des Wortes -- effectvoll. Es ist alles in Wirklichkeit so ge-
schehen. aber die historische Wirklichkeit ist zur poetischen Wahrheit verklärt
Und erhoben worden.

Und welche Anschaulichkeit erzielt der Dichter durch ein glückliches Er¬
greifen der Naturelemente der Sprache, durch bildliche Worte, wirksame Laut-


Die erste und die letzte Strophe bilden gleichsam den Rahmen zu dem
historischen Nachtbilde, das die sechs inneren Strophen vor unserm geistigen
Auge entfalten; sie verhalten sich etwa zu einander, wie Exposition und Ka¬
tastrophe. Die erste Strophe führt uns die Situation in kurzen Zügen vor:
sie begruben den Helden ohne alle militärischen Ehren. Die folgenden sechs
Strophen bringen die Einzelheiten des Begräbnisses selbst und die sich von
Wehmuth und Schmerz bis zur Erbitterung steigernden und dann wieder in
Wehmuth auflösenden Gefühle der Begrabenden in ergreifender Weise zur An¬
schauung und Nachempfindung: — das mitternächtliche, nur durch den nebel¬
umhüllten Mond und den trüben Schein der Laterne erhellte Dunkel —
Bayonette dienen als Spaten — sie hatten weder Sarg noch Leichen¬
tuch — doch:


Er lag wie ein Krieger sich legt zur Nuh,
Der Soldatenmantel nur barg ihn.

Und dann der Ausdruck des verhaltenen Schmerzes beim Anblick des Ge¬
sichtes, trat was äoaci; noch gestern lebte es und belebte sie alle! — Und
die Erbitterung über den Feind, der am nächsten Tage, vielleicht unwissent-
lich über seinem Haupte stehend, die Stätte des Todten durch Schmähungen
über den Sieger entweihen wird —:


Doch was kümmert ihn Spott, was kümmert ihn Hohn
In der Gruft, die ihm Briten bestellten!

Aber noch haben sie das schwere Werk nicht vollbracht, da schlägt die
Stunde der Einschiffung, und zugleich hören sie plötzlich ssucläenl^ — früh
gegen 8 Uhr in der Dunkelheit des Januar-Morgens ein entferntes und
nichtiges Schießen srsnäom Zur — Fühlungsschuß??^ des Feindes.--
Nun knüpft die letzte Strophe mit „>v<z 1iM Kien av^n" wieder an das „v/e
buriecl Kien" im letzten Verse der ersten und im ersten Berse der zweiten
Strophe an: —sie erfüllen die letzte traurige Pflicht; einen Denkstein können
sie ihm nicht setzen — so ruht er fernab verlassen, nur der Ruhm ist sein
Genosse! —

Und all das tönt uns entgegen als ein Bericht aus dem Munde der
Soldaten, die das Bayonnett als Spaten des Todtengräbers verwenden!
Der Gefühlsausdruck wird dadurch zum Ausdruck des Gefühls der gesammten
Armee,.welche durch die kleine Schaar repräsentirt wird. Die Kraft, Gedrängt¬
heit und innere Wahrheit der Darstellung ist im hohen Grade, aber im
edelsten Sinne des Wortes — effectvoll. Es ist alles in Wirklichkeit so ge-
schehen. aber die historische Wirklichkeit ist zur poetischen Wahrheit verklärt
Und erhoben worden.

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greifen der Naturelemente der Sprache, durch bildliche Worte, wirksame Laut-


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[0143] Die erste und die letzte Strophe bilden gleichsam den Rahmen zu dem historischen Nachtbilde, das die sechs inneren Strophen vor unserm geistigen Auge entfalten; sie verhalten sich etwa zu einander, wie Exposition und Ka¬ tastrophe. Die erste Strophe führt uns die Situation in kurzen Zügen vor: sie begruben den Helden ohne alle militärischen Ehren. Die folgenden sechs Strophen bringen die Einzelheiten des Begräbnisses selbst und die sich von Wehmuth und Schmerz bis zur Erbitterung steigernden und dann wieder in Wehmuth auflösenden Gefühle der Begrabenden in ergreifender Weise zur An¬ schauung und Nachempfindung: — das mitternächtliche, nur durch den nebel¬ umhüllten Mond und den trüben Schein der Laterne erhellte Dunkel — Bayonette dienen als Spaten — sie hatten weder Sarg noch Leichen¬ tuch — doch: Er lag wie ein Krieger sich legt zur Nuh, Der Soldatenmantel nur barg ihn. Und dann der Ausdruck des verhaltenen Schmerzes beim Anblick des Ge¬ sichtes, trat was äoaci; noch gestern lebte es und belebte sie alle! — Und die Erbitterung über den Feind, der am nächsten Tage, vielleicht unwissent- lich über seinem Haupte stehend, die Stätte des Todten durch Schmähungen über den Sieger entweihen wird —: Doch was kümmert ihn Spott, was kümmert ihn Hohn In der Gruft, die ihm Briten bestellten! Aber noch haben sie das schwere Werk nicht vollbracht, da schlägt die Stunde der Einschiffung, und zugleich hören sie plötzlich ssucläenl^ — früh gegen 8 Uhr in der Dunkelheit des Januar-Morgens ein entferntes und nichtiges Schießen srsnäom Zur — Fühlungsschuß??^ des Feindes.-- Nun knüpft die letzte Strophe mit „>v<z 1iM Kien av^n" wieder an das „v/e buriecl Kien" im letzten Verse der ersten und im ersten Berse der zweiten Strophe an: —sie erfüllen die letzte traurige Pflicht; einen Denkstein können sie ihm nicht setzen — so ruht er fernab verlassen, nur der Ruhm ist sein Genosse! — Und all das tönt uns entgegen als ein Bericht aus dem Munde der Soldaten, die das Bayonnett als Spaten des Todtengräbers verwenden! Der Gefühlsausdruck wird dadurch zum Ausdruck des Gefühls der gesammten Armee,.welche durch die kleine Schaar repräsentirt wird. Die Kraft, Gedrängt¬ heit und innere Wahrheit der Darstellung ist im hohen Grade, aber im edelsten Sinne des Wortes — effectvoll. Es ist alles in Wirklichkeit so ge- schehen. aber die historische Wirklichkeit ist zur poetischen Wahrheit verklärt Und erhoben worden. Und welche Anschaulichkeit erzielt der Dichter durch ein glückliches Er¬ greifen der Naturelemente der Sprache, durch bildliche Worte, wirksame Laut-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/143>, abgerufen am 27.07.2024.