Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unter denen die Papier--, Steingut- und Tuchfabriken mit der Lohgerberei die
bedeutendsten waren, bedurften nicht erheblicher Betriebscapitalien und waren
daher auch nicht dazu angethan, große Capitalien ins Land zu ziehen. Das
hier fabrizirte Steingut wurde meistens von den kleinen Krämern und
Hausirern im Lande selbst oder in dessen nächster Nachbarschaft an Ort und
Stelle gekauft, auf kleine Gefärthe, leichte Wagen, Krämerkarren, Schieb¬
karren, ja Hollen, verladen und ringsumher colportirt, manches sogar gegen
alte Lampen, altes Eisen oder sonst gangbare Waare vertauscht. Eine Fabrik
konnte von Glück sagen, wenn sie von Zeit zu Zeit eine tüchtige Sendung
per roulAM, wie wir hier sagten, nach Belgien ausführen konnte. Unsere
Papierfabriken, die sich noch bis in die letzteren Zeiten mit der Handfabrikation
begnügten, konnten schon dadurch zu keiner Bedeutung kommen. Aber wie
sollten wir, so von aller Welt isolirt, zur Maschinenfabrikation kommen?
Wo hätten wir mit einer stärkeren Produktion hin gesollt? Auch unsere
Tuchfabriken waren kaum über die ersten Elemente der Tuchfabrikation
hinausgekommen. Sie fabrizirten aus der einheimischen Wolle ganz tüchtiges/
kreuzbraves Zeug, das vorhielt Generationen und Generationen hindurch,
daß -- wie das noch beim Schreiber dieser Zeilen der Fall war -- der Enkel
im Brautrock des Großvaters zur ersten Communion gehen konnte. Wer
aber die Glieder in dem liniendicken Zeuge kaum bewegen konnte, das waren
die Enkel der Großväter. Daß ein solches Produkt nicht sehr zum Export
nach Ländern hin geeignet sein konnte, die uns in Allem ein halbes Jahr¬
hundert voraus waren, begreift der Leser gewiß ohne große Schwierigkeit.

Wie weit die Eisenindustrie in jener Zeit bei uns vorangeschritten war,
geht wohl zur Genüge daraus hervor, daß ein nicht unbedeutender Hausir'
Handel mit altem, verrosteten Eisen, wobei sogar die alten verrosteten Schuld-
Huf- und andere Nägel nicht verschmäht wurden, durchs ganze Land ge¬
trieben wurde. Viele von diesen Hausirern, meistens Juden, durchtrabten
sogar ihren Bezirk auf Schustersrappen, den schweren Sack mit dem "kost"
baren" Metall auf dem Rücken. Wir besaßen auch wohl damals sah^
einige sogenannte Puddlingswerke, so namentlich das des Herrn Collard in
Dommeldingen ganz in der Nähe der Hauptstadt, aber ach! welch eine klag"
liebe Figur würde heute das ehemalige Dommeldinger Eisenwerk neben den
gewaltigen Hüttenwerken der Gesellschaft Metz Co. machen! Hier setzten
damals die Hausirer ihr altes Eisen ab, wenn sie es nicht vorzogen, es den
einfachen Huf- und Grobschmieden zu verkaufen, die dafür ein paar Helles
mehr zahlten.

So sah es mit unserer Großindustrie vor etwa 30 bis 40 Jahren noch
aus, wenn der Name die Sache nicht noch lächerlicher macht. Die Lebe?
wdustrie stand allen andern voran. Sowohl Häute als Lohe waren ^


unter denen die Papier--, Steingut- und Tuchfabriken mit der Lohgerberei die
bedeutendsten waren, bedurften nicht erheblicher Betriebscapitalien und waren
daher auch nicht dazu angethan, große Capitalien ins Land zu ziehen. Das
hier fabrizirte Steingut wurde meistens von den kleinen Krämern und
Hausirern im Lande selbst oder in dessen nächster Nachbarschaft an Ort und
Stelle gekauft, auf kleine Gefärthe, leichte Wagen, Krämerkarren, Schieb¬
karren, ja Hollen, verladen und ringsumher colportirt, manches sogar gegen
alte Lampen, altes Eisen oder sonst gangbare Waare vertauscht. Eine Fabrik
konnte von Glück sagen, wenn sie von Zeit zu Zeit eine tüchtige Sendung
per roulAM, wie wir hier sagten, nach Belgien ausführen konnte. Unsere
Papierfabriken, die sich noch bis in die letzteren Zeiten mit der Handfabrikation
begnügten, konnten schon dadurch zu keiner Bedeutung kommen. Aber wie
sollten wir, so von aller Welt isolirt, zur Maschinenfabrikation kommen?
Wo hätten wir mit einer stärkeren Produktion hin gesollt? Auch unsere
Tuchfabriken waren kaum über die ersten Elemente der Tuchfabrikation
hinausgekommen. Sie fabrizirten aus der einheimischen Wolle ganz tüchtiges/
kreuzbraves Zeug, das vorhielt Generationen und Generationen hindurch,
daß — wie das noch beim Schreiber dieser Zeilen der Fall war — der Enkel
im Brautrock des Großvaters zur ersten Communion gehen konnte. Wer
aber die Glieder in dem liniendicken Zeuge kaum bewegen konnte, das waren
die Enkel der Großväter. Daß ein solches Produkt nicht sehr zum Export
nach Ländern hin geeignet sein konnte, die uns in Allem ein halbes Jahr¬
hundert voraus waren, begreift der Leser gewiß ohne große Schwierigkeit.

Wie weit die Eisenindustrie in jener Zeit bei uns vorangeschritten war,
geht wohl zur Genüge daraus hervor, daß ein nicht unbedeutender Hausir'
Handel mit altem, verrosteten Eisen, wobei sogar die alten verrosteten Schuld-
Huf- und andere Nägel nicht verschmäht wurden, durchs ganze Land ge¬
trieben wurde. Viele von diesen Hausirern, meistens Juden, durchtrabten
sogar ihren Bezirk auf Schustersrappen, den schweren Sack mit dem „kost"
baren" Metall auf dem Rücken. Wir besaßen auch wohl damals sah^
einige sogenannte Puddlingswerke, so namentlich das des Herrn Collard in
Dommeldingen ganz in der Nähe der Hauptstadt, aber ach! welch eine klag"
liebe Figur würde heute das ehemalige Dommeldinger Eisenwerk neben den
gewaltigen Hüttenwerken der Gesellschaft Metz Co. machen! Hier setzten
damals die Hausirer ihr altes Eisen ab, wenn sie es nicht vorzogen, es den
einfachen Huf- und Grobschmieden zu verkaufen, die dafür ein paar Helles
mehr zahlten.

So sah es mit unserer Großindustrie vor etwa 30 bis 40 Jahren noch
aus, wenn der Name die Sache nicht noch lächerlicher macht. Die Lebe?
wdustrie stand allen andern voran. Sowohl Häute als Lohe waren ^


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132334"/>
          <p xml:id="ID_328" prev="#ID_327"> unter denen die Papier--, Steingut- und Tuchfabriken mit der Lohgerberei die<lb/>
bedeutendsten waren, bedurften nicht erheblicher Betriebscapitalien und waren<lb/>
daher auch nicht dazu angethan, große Capitalien ins Land zu ziehen. Das<lb/>
hier fabrizirte Steingut wurde meistens von den kleinen Krämern und<lb/>
Hausirern im Lande selbst oder in dessen nächster Nachbarschaft an Ort und<lb/>
Stelle gekauft, auf kleine Gefärthe, leichte Wagen, Krämerkarren, Schieb¬<lb/>
karren, ja Hollen, verladen und ringsumher colportirt, manches sogar gegen<lb/>
alte Lampen, altes Eisen oder sonst gangbare Waare vertauscht. Eine Fabrik<lb/>
konnte von Glück sagen, wenn sie von Zeit zu Zeit eine tüchtige Sendung<lb/>
per roulAM, wie wir hier sagten, nach Belgien ausführen konnte. Unsere<lb/>
Papierfabriken, die sich noch bis in die letzteren Zeiten mit der Handfabrikation<lb/>
begnügten, konnten schon dadurch zu keiner Bedeutung kommen. Aber wie<lb/>
sollten wir, so von aller Welt isolirt, zur Maschinenfabrikation kommen?<lb/>
Wo hätten wir mit einer stärkeren Produktion hin gesollt? Auch unsere<lb/>
Tuchfabriken waren kaum über die ersten Elemente der Tuchfabrikation<lb/>
hinausgekommen. Sie fabrizirten aus der einheimischen Wolle ganz tüchtiges/<lb/>
kreuzbraves Zeug, das vorhielt Generationen und Generationen hindurch,<lb/>
daß &#x2014; wie das noch beim Schreiber dieser Zeilen der Fall war &#x2014; der Enkel<lb/>
im Brautrock des Großvaters zur ersten Communion gehen konnte. Wer<lb/>
aber die Glieder in dem liniendicken Zeuge kaum bewegen konnte, das waren<lb/>
die Enkel der Großväter. Daß ein solches Produkt nicht sehr zum Export<lb/>
nach Ländern hin geeignet sein konnte, die uns in Allem ein halbes Jahr¬<lb/>
hundert voraus waren, begreift der Leser gewiß ohne große Schwierigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_329"> Wie weit die Eisenindustrie in jener Zeit bei uns vorangeschritten war,<lb/>
geht wohl zur Genüge daraus hervor, daß ein nicht unbedeutender Hausir'<lb/>
Handel mit altem, verrosteten Eisen, wobei sogar die alten verrosteten Schuld-<lb/>
Huf- und andere Nägel nicht verschmäht wurden, durchs ganze Land ge¬<lb/>
trieben wurde. Viele von diesen Hausirern, meistens Juden, durchtrabten<lb/>
sogar ihren Bezirk auf Schustersrappen, den schweren Sack mit dem &#x201E;kost"<lb/>
baren" Metall auf dem Rücken. Wir besaßen auch wohl damals sah^<lb/>
einige sogenannte Puddlingswerke, so namentlich das des Herrn Collard in<lb/>
Dommeldingen ganz in der Nähe der Hauptstadt, aber ach! welch eine klag"<lb/>
liebe Figur würde heute das ehemalige Dommeldinger Eisenwerk neben den<lb/>
gewaltigen Hüttenwerken der Gesellschaft Metz Co. machen! Hier setzten<lb/>
damals die Hausirer ihr altes Eisen ab, wenn sie es nicht vorzogen, es den<lb/>
einfachen Huf- und Grobschmieden zu verkaufen, die dafür ein paar Helles<lb/>
mehr zahlten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_330" next="#ID_331"> So sah es mit unserer Großindustrie vor etwa 30 bis 40 Jahren noch<lb/>
aus, wenn der Name die Sache nicht noch lächerlicher macht. Die Lebe?<lb/>
wdustrie stand allen andern voran.  Sowohl Häute als Lohe waren ^</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] unter denen die Papier--, Steingut- und Tuchfabriken mit der Lohgerberei die bedeutendsten waren, bedurften nicht erheblicher Betriebscapitalien und waren daher auch nicht dazu angethan, große Capitalien ins Land zu ziehen. Das hier fabrizirte Steingut wurde meistens von den kleinen Krämern und Hausirern im Lande selbst oder in dessen nächster Nachbarschaft an Ort und Stelle gekauft, auf kleine Gefärthe, leichte Wagen, Krämerkarren, Schieb¬ karren, ja Hollen, verladen und ringsumher colportirt, manches sogar gegen alte Lampen, altes Eisen oder sonst gangbare Waare vertauscht. Eine Fabrik konnte von Glück sagen, wenn sie von Zeit zu Zeit eine tüchtige Sendung per roulAM, wie wir hier sagten, nach Belgien ausführen konnte. Unsere Papierfabriken, die sich noch bis in die letzteren Zeiten mit der Handfabrikation begnügten, konnten schon dadurch zu keiner Bedeutung kommen. Aber wie sollten wir, so von aller Welt isolirt, zur Maschinenfabrikation kommen? Wo hätten wir mit einer stärkeren Produktion hin gesollt? Auch unsere Tuchfabriken waren kaum über die ersten Elemente der Tuchfabrikation hinausgekommen. Sie fabrizirten aus der einheimischen Wolle ganz tüchtiges/ kreuzbraves Zeug, das vorhielt Generationen und Generationen hindurch, daß — wie das noch beim Schreiber dieser Zeilen der Fall war — der Enkel im Brautrock des Großvaters zur ersten Communion gehen konnte. Wer aber die Glieder in dem liniendicken Zeuge kaum bewegen konnte, das waren die Enkel der Großväter. Daß ein solches Produkt nicht sehr zum Export nach Ländern hin geeignet sein konnte, die uns in Allem ein halbes Jahr¬ hundert voraus waren, begreift der Leser gewiß ohne große Schwierigkeit. Wie weit die Eisenindustrie in jener Zeit bei uns vorangeschritten war, geht wohl zur Genüge daraus hervor, daß ein nicht unbedeutender Hausir' Handel mit altem, verrosteten Eisen, wobei sogar die alten verrosteten Schuld- Huf- und andere Nägel nicht verschmäht wurden, durchs ganze Land ge¬ trieben wurde. Viele von diesen Hausirern, meistens Juden, durchtrabten sogar ihren Bezirk auf Schustersrappen, den schweren Sack mit dem „kost" baren" Metall auf dem Rücken. Wir besaßen auch wohl damals sah^ einige sogenannte Puddlingswerke, so namentlich das des Herrn Collard in Dommeldingen ganz in der Nähe der Hauptstadt, aber ach! welch eine klag" liebe Figur würde heute das ehemalige Dommeldinger Eisenwerk neben den gewaltigen Hüttenwerken der Gesellschaft Metz Co. machen! Hier setzten damals die Hausirer ihr altes Eisen ab, wenn sie es nicht vorzogen, es den einfachen Huf- und Grobschmieden zu verkaufen, die dafür ein paar Helles mehr zahlten. So sah es mit unserer Großindustrie vor etwa 30 bis 40 Jahren noch aus, wenn der Name die Sache nicht noch lächerlicher macht. Die Lebe? wdustrie stand allen andern voran. Sowohl Häute als Lohe waren ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/112>, abgerufen am 27.07.2024.