Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich auch sind, so haben sie andrerseits doch auch die Idee des Vaterlandes
aus langem Schlummer wieder zum Leben erweckt. Als besonders bemerkens¬
werth möchte ich hier nur noch hervorheben, daß sowohl Dante wie Petrarca,
die man in gewissem Sinne als die beiden ersten italienischen Patrioten be¬
zeichnen kann, Ghibelinen, treue Anhänger des Kaiserthums sind. Der
hierin liegende Widerspruch ist indessen nur scheinbar. Sie sind kaiserlich im
Gegensatze zum Papstthum, das seinen nationalitätenfeindlichen Charakter
auch dann nicht verleugnen mag, wo es sich gelegentlich in diesem oder jenem
Volke einen Verbündeten gegen den Kaiser sucht. Die Begründung starker
Nationalstaaten ist niemals das Ziel der geistlichen Gewalt gewesen; in ihren
Vortheilen lag es vielmehr im Allgemeinen -- zahlreiche Ausnahmen kamen
natürlich vor, da die Kurie es stets verstanden hat, mit zeitweiliger Hinten-
ansetzung der Pricipien nach den Umständen zu handeln -- in den einzelnen
Ländern die centrifugalen Elemente zu Pflegen. Vor Allem aber stand die
Idee des Nationalstaats mit ihrem Princip im Widerspruch. Mögen einzelne
politisch bedeutende Päpste, die ein größeres Gewicht auf ihre weltliche, als
auf ihre universalmonarchische geistliche Stellung legten, daran gedacht haben,
Italien unter der päpstlichen Hegemonie zu einigen, im Ganzen war das
Papstthum der Idee des italienischen Nationalstaats feindlich; und daher ist
es erklärlich, daß das Guelsenthum seine Stütze in dem Widerstreit der ita¬
lienischen Fürsten und Städte suchte. Diesen sich in beständigen Kämpfen zer¬
fleischenden Elementen gegenüber erschien der Kaiser als Friedensstifter, als
Einiger und somit mittelbar als Förderer der Nationalidee. Und hieraus eben
erklärt sich die Hinneigung der italienischen Patrioten zum Ghibellinismus.

Es ist dies eine der merkwürdigsten, hier nur kurz anzudeutenden That¬
sachen, daß der Einfluß der humanistischen Studien auch auf die nationale
Idee belebend und befruchtend wirkte, obwohl der Humanismus seinem
Princip nach vielmehr weltbürgerlich als patriotisch war. Aber die Einkehr
in eine Zeit, welcher der Staat das höchste gesellschaftliche Princip war,
mußte politische Ideen zeitigen, die in der Zeit des großen weltgeschicht¬
lichen Kampfes zwischen der geistlichen und weltlichen Gewalt erblaßt und
fast aus dem Bewußtsein der Menschheit entschwunden waren. Darin lag
aber zum großen Theil die weltbewegende Kraft des Humanismus, daß unter
seinem mächtigen Einflüsse die Völker wieder anfingen, sich auf sich selbst zu
besinnen und aus ihrer Eigenart die Antriebe zu anderem neuem selbständigem
Dasein zu schöpfen. Lag es an sich in dem Wesen des Humanismus, das
Individuum aus den Fesseln einer verknöcherten Ueberlieferung zu befreien
und dem Einzelnen eine von den ihrer schöpferischen Kraft beraubten Mächten,
welche bis dahin dem Denken, wie dem Handeln ihre Gesetze vorgeschrieben
hatten, unabhängige Entwickelung zu sichern und die Verantwortlichkeit für


sich auch sind, so haben sie andrerseits doch auch die Idee des Vaterlandes
aus langem Schlummer wieder zum Leben erweckt. Als besonders bemerkens¬
werth möchte ich hier nur noch hervorheben, daß sowohl Dante wie Petrarca,
die man in gewissem Sinne als die beiden ersten italienischen Patrioten be¬
zeichnen kann, Ghibelinen, treue Anhänger des Kaiserthums sind. Der
hierin liegende Widerspruch ist indessen nur scheinbar. Sie sind kaiserlich im
Gegensatze zum Papstthum, das seinen nationalitätenfeindlichen Charakter
auch dann nicht verleugnen mag, wo es sich gelegentlich in diesem oder jenem
Volke einen Verbündeten gegen den Kaiser sucht. Die Begründung starker
Nationalstaaten ist niemals das Ziel der geistlichen Gewalt gewesen; in ihren
Vortheilen lag es vielmehr im Allgemeinen — zahlreiche Ausnahmen kamen
natürlich vor, da die Kurie es stets verstanden hat, mit zeitweiliger Hinten-
ansetzung der Pricipien nach den Umständen zu handeln — in den einzelnen
Ländern die centrifugalen Elemente zu Pflegen. Vor Allem aber stand die
Idee des Nationalstaats mit ihrem Princip im Widerspruch. Mögen einzelne
politisch bedeutende Päpste, die ein größeres Gewicht auf ihre weltliche, als
auf ihre universalmonarchische geistliche Stellung legten, daran gedacht haben,
Italien unter der päpstlichen Hegemonie zu einigen, im Ganzen war das
Papstthum der Idee des italienischen Nationalstaats feindlich; und daher ist
es erklärlich, daß das Guelsenthum seine Stütze in dem Widerstreit der ita¬
lienischen Fürsten und Städte suchte. Diesen sich in beständigen Kämpfen zer¬
fleischenden Elementen gegenüber erschien der Kaiser als Friedensstifter, als
Einiger und somit mittelbar als Förderer der Nationalidee. Und hieraus eben
erklärt sich die Hinneigung der italienischen Patrioten zum Ghibellinismus.

Es ist dies eine der merkwürdigsten, hier nur kurz anzudeutenden That¬
sachen, daß der Einfluß der humanistischen Studien auch auf die nationale
Idee belebend und befruchtend wirkte, obwohl der Humanismus seinem
Princip nach vielmehr weltbürgerlich als patriotisch war. Aber die Einkehr
in eine Zeit, welcher der Staat das höchste gesellschaftliche Princip war,
mußte politische Ideen zeitigen, die in der Zeit des großen weltgeschicht¬
lichen Kampfes zwischen der geistlichen und weltlichen Gewalt erblaßt und
fast aus dem Bewußtsein der Menschheit entschwunden waren. Darin lag
aber zum großen Theil die weltbewegende Kraft des Humanismus, daß unter
seinem mächtigen Einflüsse die Völker wieder anfingen, sich auf sich selbst zu
besinnen und aus ihrer Eigenart die Antriebe zu anderem neuem selbständigem
Dasein zu schöpfen. Lag es an sich in dem Wesen des Humanismus, das
Individuum aus den Fesseln einer verknöcherten Ueberlieferung zu befreien
und dem Einzelnen eine von den ihrer schöpferischen Kraft beraubten Mächten,
welche bis dahin dem Denken, wie dem Handeln ihre Gesetze vorgeschrieben
hatten, unabhängige Entwickelung zu sichern und die Verantwortlichkeit für


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131790"/>
          <p xml:id="ID_365" prev="#ID_364"> sich auch sind, so haben sie andrerseits doch auch die Idee des Vaterlandes<lb/>
aus langem Schlummer wieder zum Leben erweckt. Als besonders bemerkens¬<lb/>
werth möchte ich hier nur noch hervorheben, daß sowohl Dante wie Petrarca,<lb/>
die man in gewissem Sinne als die beiden ersten italienischen Patrioten be¬<lb/>
zeichnen kann, Ghibelinen, treue Anhänger des Kaiserthums sind. Der<lb/>
hierin liegende Widerspruch ist indessen nur scheinbar. Sie sind kaiserlich im<lb/>
Gegensatze zum Papstthum, das seinen nationalitätenfeindlichen Charakter<lb/>
auch dann nicht verleugnen mag, wo es sich gelegentlich in diesem oder jenem<lb/>
Volke einen Verbündeten gegen den Kaiser sucht. Die Begründung starker<lb/>
Nationalstaaten ist niemals das Ziel der geistlichen Gewalt gewesen; in ihren<lb/>
Vortheilen lag es vielmehr im Allgemeinen &#x2014; zahlreiche Ausnahmen kamen<lb/>
natürlich vor, da die Kurie es stets verstanden hat, mit zeitweiliger Hinten-<lb/>
ansetzung der Pricipien nach den Umständen zu handeln &#x2014; in den einzelnen<lb/>
Ländern die centrifugalen Elemente zu Pflegen. Vor Allem aber stand die<lb/>
Idee des Nationalstaats mit ihrem Princip im Widerspruch. Mögen einzelne<lb/>
politisch bedeutende Päpste, die ein größeres Gewicht auf ihre weltliche, als<lb/>
auf ihre universalmonarchische geistliche Stellung legten, daran gedacht haben,<lb/>
Italien unter der päpstlichen Hegemonie zu einigen, im Ganzen war das<lb/>
Papstthum der Idee des italienischen Nationalstaats feindlich; und daher ist<lb/>
es erklärlich, daß das Guelsenthum seine Stütze in dem Widerstreit der ita¬<lb/>
lienischen Fürsten und Städte suchte. Diesen sich in beständigen Kämpfen zer¬<lb/>
fleischenden Elementen gegenüber erschien der Kaiser als Friedensstifter, als<lb/>
Einiger und somit mittelbar als Förderer der Nationalidee. Und hieraus eben<lb/>
erklärt sich die Hinneigung der italienischen Patrioten zum Ghibellinismus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_366" next="#ID_367"> Es ist dies eine der merkwürdigsten, hier nur kurz anzudeutenden That¬<lb/>
sachen, daß der Einfluß der humanistischen Studien auch auf die nationale<lb/>
Idee belebend und befruchtend wirkte, obwohl der Humanismus seinem<lb/>
Princip nach vielmehr weltbürgerlich als patriotisch war. Aber die Einkehr<lb/>
in eine Zeit, welcher der Staat das höchste gesellschaftliche Princip war,<lb/>
mußte politische Ideen zeitigen, die in der Zeit des großen weltgeschicht¬<lb/>
lichen Kampfes zwischen der geistlichen und weltlichen Gewalt erblaßt und<lb/>
fast aus dem Bewußtsein der Menschheit entschwunden waren. Darin lag<lb/>
aber zum großen Theil die weltbewegende Kraft des Humanismus, daß unter<lb/>
seinem mächtigen Einflüsse die Völker wieder anfingen, sich auf sich selbst zu<lb/>
besinnen und aus ihrer Eigenart die Antriebe zu anderem neuem selbständigem<lb/>
Dasein zu schöpfen. Lag es an sich in dem Wesen des Humanismus, das<lb/>
Individuum aus den Fesseln einer verknöcherten Ueberlieferung zu befreien<lb/>
und dem Einzelnen eine von den ihrer schöpferischen Kraft beraubten Mächten,<lb/>
welche bis dahin dem Denken, wie dem Handeln ihre Gesetze vorgeschrieben<lb/>
hatten, unabhängige Entwickelung zu sichern und die Verantwortlichkeit für</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] sich auch sind, so haben sie andrerseits doch auch die Idee des Vaterlandes aus langem Schlummer wieder zum Leben erweckt. Als besonders bemerkens¬ werth möchte ich hier nur noch hervorheben, daß sowohl Dante wie Petrarca, die man in gewissem Sinne als die beiden ersten italienischen Patrioten be¬ zeichnen kann, Ghibelinen, treue Anhänger des Kaiserthums sind. Der hierin liegende Widerspruch ist indessen nur scheinbar. Sie sind kaiserlich im Gegensatze zum Papstthum, das seinen nationalitätenfeindlichen Charakter auch dann nicht verleugnen mag, wo es sich gelegentlich in diesem oder jenem Volke einen Verbündeten gegen den Kaiser sucht. Die Begründung starker Nationalstaaten ist niemals das Ziel der geistlichen Gewalt gewesen; in ihren Vortheilen lag es vielmehr im Allgemeinen — zahlreiche Ausnahmen kamen natürlich vor, da die Kurie es stets verstanden hat, mit zeitweiliger Hinten- ansetzung der Pricipien nach den Umständen zu handeln — in den einzelnen Ländern die centrifugalen Elemente zu Pflegen. Vor Allem aber stand die Idee des Nationalstaats mit ihrem Princip im Widerspruch. Mögen einzelne politisch bedeutende Päpste, die ein größeres Gewicht auf ihre weltliche, als auf ihre universalmonarchische geistliche Stellung legten, daran gedacht haben, Italien unter der päpstlichen Hegemonie zu einigen, im Ganzen war das Papstthum der Idee des italienischen Nationalstaats feindlich; und daher ist es erklärlich, daß das Guelsenthum seine Stütze in dem Widerstreit der ita¬ lienischen Fürsten und Städte suchte. Diesen sich in beständigen Kämpfen zer¬ fleischenden Elementen gegenüber erschien der Kaiser als Friedensstifter, als Einiger und somit mittelbar als Förderer der Nationalidee. Und hieraus eben erklärt sich die Hinneigung der italienischen Patrioten zum Ghibellinismus. Es ist dies eine der merkwürdigsten, hier nur kurz anzudeutenden That¬ sachen, daß der Einfluß der humanistischen Studien auch auf die nationale Idee belebend und befruchtend wirkte, obwohl der Humanismus seinem Princip nach vielmehr weltbürgerlich als patriotisch war. Aber die Einkehr in eine Zeit, welcher der Staat das höchste gesellschaftliche Princip war, mußte politische Ideen zeitigen, die in der Zeit des großen weltgeschicht¬ lichen Kampfes zwischen der geistlichen und weltlichen Gewalt erblaßt und fast aus dem Bewußtsein der Menschheit entschwunden waren. Darin lag aber zum großen Theil die weltbewegende Kraft des Humanismus, daß unter seinem mächtigen Einflüsse die Völker wieder anfingen, sich auf sich selbst zu besinnen und aus ihrer Eigenart die Antriebe zu anderem neuem selbständigem Dasein zu schöpfen. Lag es an sich in dem Wesen des Humanismus, das Individuum aus den Fesseln einer verknöcherten Ueberlieferung zu befreien und dem Einzelnen eine von den ihrer schöpferischen Kraft beraubten Mächten, welche bis dahin dem Denken, wie dem Handeln ihre Gesetze vorgeschrieben hatten, unabhängige Entwickelung zu sichern und die Verantwortlichkeit für

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/96>, abgerufen am 22.07.2024.