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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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La Tremouille von der Vereinigung mit dem Könige zurückzuhalten, schlug fehl;
denn sobald sich das kaiserliche Heer aus der Umgegend von Mailand entfernt
hatte, brach La Tremouille auf, ließ nur 2000 Mann unter Theodor Trt-
vulzio in Mailand zurück und stieß mit seiner Hauptmacht zu dem vor Pavia
lagernden Heere.

Die Kaiserlichen erschienen am 3. Februar vor der französischen Stellung. *)
Sie kündeten der Besatzung von Pavia die nahe Hilfe durch eine Generalsalve
aus allen Geschützen und Gewehren an, der aus der Stadt sogleich durch
Salutschüsse und Glockengeläute freudig geantwortet wurde."") -- Einige leichte
Reiterschaaren der Franzosen recognoscirten, ließen sich jedoch auf kein Ge¬
fecht ein, und da der Abend sank, schlug der Vicekönig das Lager auf und
zwar so nahe den französischen Linien, daß die vordersten Wachtposten mit
einander sprechen mochten und die Kanonenkugeln beider Theile die Zeltposten
des Gegners erreichen konnten.***) Die Front der Kaiserlichen folgte nahezu
dem Laufe der Vernaeula von ihrer Mündung aufwärts und wandte sich
dann etwas nordöstlich auf Casa della Terra; sie wurde sofort befestigt und
der Tessin östlich der Vernaeulamündung überbrückt.

Wenn man bedenkt, wie es für die Kaiserlichen auf schnelle Entscheidung
ankam, wie das Heer bei der Mittellosigkeit seiner Führer mit jedem ver¬
lorenen Tage an innerem Halt einbüßen mußte, wie das abscheuliche Winter¬
wetter den Ausenthalt in der öden, holzarmen Gegend, in der die Franzosen
schon jeden Obstbaum und jede Rebe verbrannt, widerwärtig machte, so erstaunt
man über die Art, in welcher die kaiserliche Generalität d. h. der sie leitende
Pescara, die Dinge angriff. Die berechnende Vorsicht seines, ja des spanischen
Charakters überhaupt spricht sich' deutlich in diesem Vorgehn aus. Zuerst
versuchte er den König durch alle möglichen Mittel zu reizen, aus seinem
festen Lager hervor zu kommen. Das waren jedoch vergebliche Anstrengungen
obgleich einzelne Camisaden glückten. 1-) Franz dachte nicht daran, die starke
und bequeme Stellung zu verlassen; man hatte sich da ganz behaglich einge¬
richtet, gebot über eine Menge von Lebensmitteln, und gerade der König
der als Angegriffener bei Marignano so glänzend gesiegt hatte, während bald,
darauf den Seinen die Offensive so übel ausgeschlagen war, der mußte wohl
eine natürliche Vorliebe für die Vertheidigung haben. -- Beinahe drei Wochen
währten die lebhaften Schaarmützel fort und die Garnison von Pavia machte
zugleich zahlreiche Ausfälle. Die Kaiserlichen strengten sich an, festen Fuß






") Paulus Jovius und Guiccardini a. a. O.
-) Sandoval: Nistoria Lmxsraaor Carlos V." ub. XII.
Edda.
5) d. h. Ueberfave, von ^falsa- -- Hemd, das bei solchen Unternehmungen als Er¬
kennungszeichen über den Harnisch gezogen wurde.

La Tremouille von der Vereinigung mit dem Könige zurückzuhalten, schlug fehl;
denn sobald sich das kaiserliche Heer aus der Umgegend von Mailand entfernt
hatte, brach La Tremouille auf, ließ nur 2000 Mann unter Theodor Trt-
vulzio in Mailand zurück und stieß mit seiner Hauptmacht zu dem vor Pavia
lagernden Heere.

Die Kaiserlichen erschienen am 3. Februar vor der französischen Stellung. *)
Sie kündeten der Besatzung von Pavia die nahe Hilfe durch eine Generalsalve
aus allen Geschützen und Gewehren an, der aus der Stadt sogleich durch
Salutschüsse und Glockengeläute freudig geantwortet wurde."") — Einige leichte
Reiterschaaren der Franzosen recognoscirten, ließen sich jedoch auf kein Ge¬
fecht ein, und da der Abend sank, schlug der Vicekönig das Lager auf und
zwar so nahe den französischen Linien, daß die vordersten Wachtposten mit
einander sprechen mochten und die Kanonenkugeln beider Theile die Zeltposten
des Gegners erreichen konnten.***) Die Front der Kaiserlichen folgte nahezu
dem Laufe der Vernaeula von ihrer Mündung aufwärts und wandte sich
dann etwas nordöstlich auf Casa della Terra; sie wurde sofort befestigt und
der Tessin östlich der Vernaeulamündung überbrückt.

Wenn man bedenkt, wie es für die Kaiserlichen auf schnelle Entscheidung
ankam, wie das Heer bei der Mittellosigkeit seiner Führer mit jedem ver¬
lorenen Tage an innerem Halt einbüßen mußte, wie das abscheuliche Winter¬
wetter den Ausenthalt in der öden, holzarmen Gegend, in der die Franzosen
schon jeden Obstbaum und jede Rebe verbrannt, widerwärtig machte, so erstaunt
man über die Art, in welcher die kaiserliche Generalität d. h. der sie leitende
Pescara, die Dinge angriff. Die berechnende Vorsicht seines, ja des spanischen
Charakters überhaupt spricht sich' deutlich in diesem Vorgehn aus. Zuerst
versuchte er den König durch alle möglichen Mittel zu reizen, aus seinem
festen Lager hervor zu kommen. Das waren jedoch vergebliche Anstrengungen
obgleich einzelne Camisaden glückten. 1-) Franz dachte nicht daran, die starke
und bequeme Stellung zu verlassen; man hatte sich da ganz behaglich einge¬
richtet, gebot über eine Menge von Lebensmitteln, und gerade der König
der als Angegriffener bei Marignano so glänzend gesiegt hatte, während bald,
darauf den Seinen die Offensive so übel ausgeschlagen war, der mußte wohl
eine natürliche Vorliebe für die Vertheidigung haben. — Beinahe drei Wochen
währten die lebhaften Schaarmützel fort und die Garnison von Pavia machte
zugleich zahlreiche Ausfälle. Die Kaiserlichen strengten sich an, festen Fuß






") Paulus Jovius und Guiccardini a. a. O.
-) Sandoval: Nistoria Lmxsraaor Carlos V.» ub. XII.
Edda.
5) d. h. Ueberfave, von ^falsa- — Hemd, das bei solchen Unternehmungen als Er¬
kennungszeichen über den Harnisch gezogen wurde.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/71>, abgerufen am 22.07.2024.