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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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der feindlichen Infanterie, und es hatte also gegenüber der letzteren nur eine
numerische Ueberlegenheit statt.

Die Reiterei bestand zum großen Theil aus der Gensd'armerie, die
zwar die alte Kampfweise (en Kaz^e) noch beibehalten hatte, aber den kaiser¬
lichen Reisigen an Zahl und vielleicht auch an ritterlicher Uebung überlegen
war. Es waren 1600 volle Lanzen, die Blüte der französischen Chevallerie.
Die leichte Reiterei, meist berittene Arkebusiere, unter der Benennung
"Argoulets", war der deutschen und spanischen weder in der Reitfertigkeit
noch im Schießen gleich zu stellen.

Ein ganz entschiedenes Uebergewicht ist der französischen Artillerie
beizumessen, theils wegen ihrer bessern Laffetirung und Bespannung, welcher
sie die größere Beweglichkeit verdankte, theils wegen ihrer vorzüglichern Schie߬
fertigkeit. In beiden genannten Beziehungen war das Meiste schon unter
Karl VIII. veranlaßt und von Louis XII. und Franz I. auf der vorgefundenen
guten Grundlage nur fortgebaut worden. In Folge der Verbesserungen und
Vereinfachungen unter diesen beiden Regierungen befanden sich zur Zeit der
Schlacht bei Pavia in der französischen Artillerie folgende Geschützarten:
grana basilisczuö (80 Pf.), äoubls eg.non (42 Pf.), oanon sorxsntm (24 Pf.),
gi'imäe eouleuvrins (Is Pf.), eoulsuvrms dü-eg-rÄs (7 Pf.), eouleuvrin"?
moz^lire (2 Pf.), tÄueou (I Pf.), kg-ueornie^ux (14 Les.).*)

Wenn eine Armee wie die französische, die ihren Feinden um ein Drittel
an Zahl überlegen ist, die in einer festen, reich mit Geschütz besetzten Stellung
steht und unter ihres Königs unmittelbarem Oberbefehl ficht, von hohem
Selbstvertrauen erfüllt ist, so muß das ganz natürlich erscheinen; ein Zeichen
großer Kühnheit ist es dagegen sicherlich, wenn der schwächere Gegner sie an¬
zugreifen wagt, und zwar mit einem Heer, das eigentlich keinen wahren Ober¬
befehlshaber hat und das fast gar keine Artillerie besitzt. -- Die kaiserlichen
Generale hatten beschlossen, sich auf dem Vormarsche von Marignano her
Mailand zu nähern, indem sie erwarteten, dadurch einen jener Fälle herbei¬
zuführen, die es ermöglichen, unter begünstigenden Umständen zu schlagen.
Sie hofften nämlich, den das Castell belagernden Generallieutenant La Tre-
mouille abzuhalten, mit seinem Corps nach Pavia zu eilen, oder den König
zu verleiten, die Belagerung von Pavia aufzuheben, um Mailand zu Hilfe
zu ziehn -- oder endlich gar zu bewirken, daß Franz seine Hauptmacht theile
und ein Corps vor Pavia stehen lasse, mit dem andern gegen Mailand ziehe.**)
-- Daß die letzteren Eventualitäten nicht eintrafen, hat uns schon der Aus¬
gang der Berathungen im französischen Kriegsrath gezeigt; doch auch die Absicht,




Nach I. v. H. Anleitung zum Studium der Kriegsgeschichte.
"
) Vergl. Major Schels: die Feldzüge der Kaiserlichen in Ober-Italien und Südfrankreich
1.S24 und 1525. (Beiträge zur Kriegsgeschichte, it. Sammlung s. Band. Wien !832.)

der feindlichen Infanterie, und es hatte also gegenüber der letzteren nur eine
numerische Ueberlegenheit statt.

Die Reiterei bestand zum großen Theil aus der Gensd'armerie, die
zwar die alte Kampfweise (en Kaz^e) noch beibehalten hatte, aber den kaiser¬
lichen Reisigen an Zahl und vielleicht auch an ritterlicher Uebung überlegen
war. Es waren 1600 volle Lanzen, die Blüte der französischen Chevallerie.
Die leichte Reiterei, meist berittene Arkebusiere, unter der Benennung
„Argoulets", war der deutschen und spanischen weder in der Reitfertigkeit
noch im Schießen gleich zu stellen.

Ein ganz entschiedenes Uebergewicht ist der französischen Artillerie
beizumessen, theils wegen ihrer bessern Laffetirung und Bespannung, welcher
sie die größere Beweglichkeit verdankte, theils wegen ihrer vorzüglichern Schie߬
fertigkeit. In beiden genannten Beziehungen war das Meiste schon unter
Karl VIII. veranlaßt und von Louis XII. und Franz I. auf der vorgefundenen
guten Grundlage nur fortgebaut worden. In Folge der Verbesserungen und
Vereinfachungen unter diesen beiden Regierungen befanden sich zur Zeit der
Schlacht bei Pavia in der französischen Artillerie folgende Geschützarten:
grana basilisczuö (80 Pf.), äoubls eg.non (42 Pf.), oanon sorxsntm (24 Pf.),
gi'imäe eouleuvrins (Is Pf.), eoulsuvrms dü-eg-rÄs (7 Pf.), eouleuvrin«?
moz^lire (2 Pf.), tÄueou (I Pf.), kg-ueornie^ux (14 Les.).*)

Wenn eine Armee wie die französische, die ihren Feinden um ein Drittel
an Zahl überlegen ist, die in einer festen, reich mit Geschütz besetzten Stellung
steht und unter ihres Königs unmittelbarem Oberbefehl ficht, von hohem
Selbstvertrauen erfüllt ist, so muß das ganz natürlich erscheinen; ein Zeichen
großer Kühnheit ist es dagegen sicherlich, wenn der schwächere Gegner sie an¬
zugreifen wagt, und zwar mit einem Heer, das eigentlich keinen wahren Ober¬
befehlshaber hat und das fast gar keine Artillerie besitzt. — Die kaiserlichen
Generale hatten beschlossen, sich auf dem Vormarsche von Marignano her
Mailand zu nähern, indem sie erwarteten, dadurch einen jener Fälle herbei¬
zuführen, die es ermöglichen, unter begünstigenden Umständen zu schlagen.
Sie hofften nämlich, den das Castell belagernden Generallieutenant La Tre-
mouille abzuhalten, mit seinem Corps nach Pavia zu eilen, oder den König
zu verleiten, die Belagerung von Pavia aufzuheben, um Mailand zu Hilfe
zu ziehn — oder endlich gar zu bewirken, daß Franz seine Hauptmacht theile
und ein Corps vor Pavia stehen lasse, mit dem andern gegen Mailand ziehe.**)
— Daß die letzteren Eventualitäten nicht eintrafen, hat uns schon der Aus¬
gang der Berathungen im französischen Kriegsrath gezeigt; doch auch die Absicht,




Nach I. v. H. Anleitung zum Studium der Kriegsgeschichte.
"
) Vergl. Major Schels: die Feldzüge der Kaiserlichen in Ober-Italien und Südfrankreich
1.S24 und 1525. (Beiträge zur Kriegsgeschichte, it. Sammlung s. Band. Wien !832.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/70>, abgerufen am 25.08.2024.