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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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der Portier über die Treppen. Es ist der Pallast der Herzogin von Berry,
jetzt dem Grafen Chambord zu eigen, dessen Spur wir allerwärts begegnen.
Kein anderer Prachtbau Venedigs von den vielen, die ich besucht, zeigt so
tief die Schmerzen des Verfalls, diese Mischung von herrlicher Vergangenheit
und sterbender Gegenwart. Wir schritten hindurch über Gänge und Säle,
vorbei an herrlichen Statuen und verhüllten Gemälden, aber hier war ein
Spiegel zersprungen und dort der gelbe Damast zernagt und der Führer
selbst sah so grollend und verfallen drein, als stürbe ihm selber diese Herr¬
lichkeit.

Auf der goldenen Wiege, an der wir vorübergingen, prangten die Lilien,
und dennoch steht das alte Geschlecht der Besitzer verwaist, allerlei Haus-
geräth liegt in der Capelle, aber keine Glocke tönt und keine Kerze
leuchtet; eine Ohnmacht spricht uns an aus dieser Pracht, die wir mit
Grauen empfinden.

Es wäre thöricht, aus dem Preis der Dinge auf den Werth zu schließen,
allein für den tiefen Verfall, in den Venedig hinabsank, giebt es kaum ein
beredteres Zeichen, als die Ziffern des ?g,Ig22o Vonäramw. Derselbe Pallast
der vor dreihundert Jahren um 60,000 Dukaten verkauft ward, kam vor
wenigen Jahrzehnten um 6000 Dukaten in den Besitz der Herzogin von Berry.

So eilen wir durch die lange Reihe der Palläste dahin, bis an die
Mündung des Larml SraMs, bis zur Insel Santa Chiara, wo die Lagune
sich öffnet und die Einsamkeit des Meeres beginnt. Rothe Tonnen, die den
Schiffen zur Warnung dienen, schaukeln sich auf der Fluth und bis hinüber,
wo die teriÄ Lrmg, in Duft verschwimmt, reichen die Bogen der riesigen
Brücke. Es ist die größte Brücke der Welt, denn sie mißt fast 12.000 Fuß
in der Länge und zählt mehr als 200 Joche; den Gedanken des Xerxes, der
den Hellespont überbrücken wollte, hat die Gegenwart an Venedig erfüllt;
denn auf eisernen Schienen rollen wir über die Fluth hinweg ins Innere
der Stadt.

Fast alle Wege, die wir bisher gegangen, zeigen uns nur die Spuren
todter Größe, fürstliche Bauten, die in geräuschloser Stille verfallen und
fürstliche Geschlechter, die das Schicksal ihrer Palläste theilten, wir gingen
durch eine ausgestorbene Welt, deren Puls seit Menschenaltern erloschen ist,
wo sich das Leben kaum mehr wehrt wider das Sterben.

Ganz anders blickt uns Venedig an, wenn wir uns nun vom Markus¬
platze, der stets den Ausgang bildet, in die Handelsstraßen der Stadt ver¬
tiefen. Man geht durch den "Uhrthurm", der für die nördliche Facade des
Platzes so charakteristisch ist und dessen Schlagwerk zwei eherne Männer
regieren, in die Merceria. die auf den Ponte Rialto führt, dann stehen wir
mitten in der Gegenwart mit ihre" stürmischen Forderungen und ihrer ganzen


der Portier über die Treppen. Es ist der Pallast der Herzogin von Berry,
jetzt dem Grafen Chambord zu eigen, dessen Spur wir allerwärts begegnen.
Kein anderer Prachtbau Venedigs von den vielen, die ich besucht, zeigt so
tief die Schmerzen des Verfalls, diese Mischung von herrlicher Vergangenheit
und sterbender Gegenwart. Wir schritten hindurch über Gänge und Säle,
vorbei an herrlichen Statuen und verhüllten Gemälden, aber hier war ein
Spiegel zersprungen und dort der gelbe Damast zernagt und der Führer
selbst sah so grollend und verfallen drein, als stürbe ihm selber diese Herr¬
lichkeit.

Auf der goldenen Wiege, an der wir vorübergingen, prangten die Lilien,
und dennoch steht das alte Geschlecht der Besitzer verwaist, allerlei Haus-
geräth liegt in der Capelle, aber keine Glocke tönt und keine Kerze
leuchtet; eine Ohnmacht spricht uns an aus dieser Pracht, die wir mit
Grauen empfinden.

Es wäre thöricht, aus dem Preis der Dinge auf den Werth zu schließen,
allein für den tiefen Verfall, in den Venedig hinabsank, giebt es kaum ein
beredteres Zeichen, als die Ziffern des ?g,Ig22o Vonäramw. Derselbe Pallast
der vor dreihundert Jahren um 60,000 Dukaten verkauft ward, kam vor
wenigen Jahrzehnten um 6000 Dukaten in den Besitz der Herzogin von Berry.

So eilen wir durch die lange Reihe der Palläste dahin, bis an die
Mündung des Larml SraMs, bis zur Insel Santa Chiara, wo die Lagune
sich öffnet und die Einsamkeit des Meeres beginnt. Rothe Tonnen, die den
Schiffen zur Warnung dienen, schaukeln sich auf der Fluth und bis hinüber,
wo die teriÄ Lrmg, in Duft verschwimmt, reichen die Bogen der riesigen
Brücke. Es ist die größte Brücke der Welt, denn sie mißt fast 12.000 Fuß
in der Länge und zählt mehr als 200 Joche; den Gedanken des Xerxes, der
den Hellespont überbrücken wollte, hat die Gegenwart an Venedig erfüllt;
denn auf eisernen Schienen rollen wir über die Fluth hinweg ins Innere
der Stadt.

Fast alle Wege, die wir bisher gegangen, zeigen uns nur die Spuren
todter Größe, fürstliche Bauten, die in geräuschloser Stille verfallen und
fürstliche Geschlechter, die das Schicksal ihrer Palläste theilten, wir gingen
durch eine ausgestorbene Welt, deren Puls seit Menschenaltern erloschen ist,
wo sich das Leben kaum mehr wehrt wider das Sterben.

Ganz anders blickt uns Venedig an, wenn wir uns nun vom Markus¬
platze, der stets den Ausgang bildet, in die Handelsstraßen der Stadt ver¬
tiefen. Man geht durch den „Uhrthurm", der für die nördliche Facade des
Platzes so charakteristisch ist und dessen Schlagwerk zwei eherne Männer
regieren, in die Merceria. die auf den Ponte Rialto führt, dann stehen wir
mitten in der Gegenwart mit ihre» stürmischen Forderungen und ihrer ganzen


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[0059] der Portier über die Treppen. Es ist der Pallast der Herzogin von Berry, jetzt dem Grafen Chambord zu eigen, dessen Spur wir allerwärts begegnen. Kein anderer Prachtbau Venedigs von den vielen, die ich besucht, zeigt so tief die Schmerzen des Verfalls, diese Mischung von herrlicher Vergangenheit und sterbender Gegenwart. Wir schritten hindurch über Gänge und Säle, vorbei an herrlichen Statuen und verhüllten Gemälden, aber hier war ein Spiegel zersprungen und dort der gelbe Damast zernagt und der Führer selbst sah so grollend und verfallen drein, als stürbe ihm selber diese Herr¬ lichkeit. Auf der goldenen Wiege, an der wir vorübergingen, prangten die Lilien, und dennoch steht das alte Geschlecht der Besitzer verwaist, allerlei Haus- geräth liegt in der Capelle, aber keine Glocke tönt und keine Kerze leuchtet; eine Ohnmacht spricht uns an aus dieser Pracht, die wir mit Grauen empfinden. Es wäre thöricht, aus dem Preis der Dinge auf den Werth zu schließen, allein für den tiefen Verfall, in den Venedig hinabsank, giebt es kaum ein beredteres Zeichen, als die Ziffern des ?g,Ig22o Vonäramw. Derselbe Pallast der vor dreihundert Jahren um 60,000 Dukaten verkauft ward, kam vor wenigen Jahrzehnten um 6000 Dukaten in den Besitz der Herzogin von Berry. So eilen wir durch die lange Reihe der Palläste dahin, bis an die Mündung des Larml SraMs, bis zur Insel Santa Chiara, wo die Lagune sich öffnet und die Einsamkeit des Meeres beginnt. Rothe Tonnen, die den Schiffen zur Warnung dienen, schaukeln sich auf der Fluth und bis hinüber, wo die teriÄ Lrmg, in Duft verschwimmt, reichen die Bogen der riesigen Brücke. Es ist die größte Brücke der Welt, denn sie mißt fast 12.000 Fuß in der Länge und zählt mehr als 200 Joche; den Gedanken des Xerxes, der den Hellespont überbrücken wollte, hat die Gegenwart an Venedig erfüllt; denn auf eisernen Schienen rollen wir über die Fluth hinweg ins Innere der Stadt. Fast alle Wege, die wir bisher gegangen, zeigen uns nur die Spuren todter Größe, fürstliche Bauten, die in geräuschloser Stille verfallen und fürstliche Geschlechter, die das Schicksal ihrer Palläste theilten, wir gingen durch eine ausgestorbene Welt, deren Puls seit Menschenaltern erloschen ist, wo sich das Leben kaum mehr wehrt wider das Sterben. Ganz anders blickt uns Venedig an, wenn wir uns nun vom Markus¬ platze, der stets den Ausgang bildet, in die Handelsstraßen der Stadt ver¬ tiefen. Man geht durch den „Uhrthurm", der für die nördliche Facade des Platzes so charakteristisch ist und dessen Schlagwerk zwei eherne Männer regieren, in die Merceria. die auf den Ponte Rialto führt, dann stehen wir mitten in der Gegenwart mit ihre» stürmischen Forderungen und ihrer ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/59>, abgerufen am 22.07.2024.