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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Ruder in der Linken, die Rechte zu leichtem Gruß erhoben, empfängt uns der
Gondolier, aus dem blauen Gewand, das mit rothem Gürtel umschlungen
ist. schaut die offene Brust hervor, und offen blickt uns das wettergebräunte
Gesicht entgegen. Nur einen Augenblick, dann ist die schöne sehnige Gestalt
in voller Bewegung, tief in die Fluth hinab taucht sich das Ruder und wie
ein Pfeil schießt die Barke über den og-nat eiranäe.

Es ist die größte jener 400 Wasserstraßen, welche Venedig durchziehen,
fast eine Stunde lang zieht sich der breite Strom von Santa Chiara bis
zum Oanal äolla 6incl6ec!i, hier stehen die herrlichsten Palläste jener alten
großen Familien, die im "goldenen Buche" der Republik verzeichnet waren,
in jenem Buche, das 1797 auf offenem Markte verbrannt ward, als die
Sturmfluth von Westen auch über Venedig hereinbrach. Es war ein Orkan,
wie ihn selbst die Kinder des Meeres noch nicht gesehen -- sein Name war:
"Egalite'".

Auf dem spitzen Landstrich der zur Linken vorspringt und der uns von
den Stufen der Piazzettä schräg gegenüberliegt, liegt die voMna al Naro,
und das Seminar des Patriarchen, beide hoch überragt von der herrlichen
Kirche Kg.ria äellg. Salute. Sie wurde zur Zeit der Pest von den Venezianern
votirt, nachdem mehr als 40,000 Menschen der Seuche zum Opfer gefallen
und ist beinahe ein Wahrzeichen der Stadt geworden, mit ihrer riesigen
Kuppel und ihren weißen Massen, die im Morgendufte verschwimmen. Fast
auf allen Bildern Venedigs steht N^ria etoit-i Liüuw. Wir fahren vorüber
bis wir zum Palazzo Contarini Fasan gekommen, dort hält der Führer das
Ruder ein. Es ist eine der herrlichsten Facaden, die Venedig besitzt, schlank
wie aus dem edelsten Metall gefeilt sind die Marmorbalkone, schmal und
hoch die Bogenfenster mit ihren Säulen, durch die man hinaustritt auf den
offenen Altan und dennoch in all dieser Anmuth eine Kraft, die uns glauben
läßt, daß eine mächtige Zeit und mächtige Menschen hier walteten!

Nun drängen sich die großen Namen, hier steht Palazzo Comer und
dort das Haus der Foseari, der Balbi und Mocenigo, Grimani und Coredan.
Ueberall vor dem herrlichen Thor die weißen Marmorstufen, die tief hinab
ins Wasser reichen, und die mächtigen schwarzen Pfähle, die den Gondeln zur
Landung dienen, es fehlt nur eines, um dies Leben der Blüthe aufzuwecken
-- die Menschen jener Zeit. Aber diese sind entschwunden für ewig.

Die Fahrt geht weiter; ein mächtiger Bogen setzt plötzlich über den
o-mal KraiM: das ist die Rialto-Brücke, lange Zeit die einzige und noch heute
die interessanteste, die Venedig jemals besaß. Fluchendes Leben drängt sich
dort zusammen, es ist der Mittelpunkt für den kleinen Handel, hier sitzen die
Fischer zu Markt, hier wurden die Gesetze der alten Republik veröffentlicht
an einer Säule, die den Namen 6obbo 6i Rialto trägt, und auf der Brücke


Grenzboten in. 1874. 7

Ruder in der Linken, die Rechte zu leichtem Gruß erhoben, empfängt uns der
Gondolier, aus dem blauen Gewand, das mit rothem Gürtel umschlungen
ist. schaut die offene Brust hervor, und offen blickt uns das wettergebräunte
Gesicht entgegen. Nur einen Augenblick, dann ist die schöne sehnige Gestalt
in voller Bewegung, tief in die Fluth hinab taucht sich das Ruder und wie
ein Pfeil schießt die Barke über den og-nat eiranäe.

Es ist die größte jener 400 Wasserstraßen, welche Venedig durchziehen,
fast eine Stunde lang zieht sich der breite Strom von Santa Chiara bis
zum Oanal äolla 6incl6ec!i, hier stehen die herrlichsten Palläste jener alten
großen Familien, die im „goldenen Buche" der Republik verzeichnet waren,
in jenem Buche, das 1797 auf offenem Markte verbrannt ward, als die
Sturmfluth von Westen auch über Venedig hereinbrach. Es war ein Orkan,
wie ihn selbst die Kinder des Meeres noch nicht gesehen — sein Name war:
„Egalite'".

Auf dem spitzen Landstrich der zur Linken vorspringt und der uns von
den Stufen der Piazzettä schräg gegenüberliegt, liegt die voMna al Naro,
und das Seminar des Patriarchen, beide hoch überragt von der herrlichen
Kirche Kg.ria äellg. Salute. Sie wurde zur Zeit der Pest von den Venezianern
votirt, nachdem mehr als 40,000 Menschen der Seuche zum Opfer gefallen
und ist beinahe ein Wahrzeichen der Stadt geworden, mit ihrer riesigen
Kuppel und ihren weißen Massen, die im Morgendufte verschwimmen. Fast
auf allen Bildern Venedigs steht N^ria etoit-i Liüuw. Wir fahren vorüber
bis wir zum Palazzo Contarini Fasan gekommen, dort hält der Führer das
Ruder ein. Es ist eine der herrlichsten Facaden, die Venedig besitzt, schlank
wie aus dem edelsten Metall gefeilt sind die Marmorbalkone, schmal und
hoch die Bogenfenster mit ihren Säulen, durch die man hinaustritt auf den
offenen Altan und dennoch in all dieser Anmuth eine Kraft, die uns glauben
läßt, daß eine mächtige Zeit und mächtige Menschen hier walteten!

Nun drängen sich die großen Namen, hier steht Palazzo Comer und
dort das Haus der Foseari, der Balbi und Mocenigo, Grimani und Coredan.
Ueberall vor dem herrlichen Thor die weißen Marmorstufen, die tief hinab
ins Wasser reichen, und die mächtigen schwarzen Pfähle, die den Gondeln zur
Landung dienen, es fehlt nur eines, um dies Leben der Blüthe aufzuwecken
— die Menschen jener Zeit. Aber diese sind entschwunden für ewig.

Die Fahrt geht weiter; ein mächtiger Bogen setzt plötzlich über den
o-mal KraiM: das ist die Rialto-Brücke, lange Zeit die einzige und noch heute
die interessanteste, die Venedig jemals besaß. Fluchendes Leben drängt sich
dort zusammen, es ist der Mittelpunkt für den kleinen Handel, hier sitzen die
Fischer zu Markt, hier wurden die Gesetze der alten Republik veröffentlicht
an einer Säule, die den Namen 6obbo 6i Rialto trägt, und auf der Brücke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/57>, abgerufen am 22.07.2024.