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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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jene Marmortreppe mit den Riesengestalten des Mars und Neptun, auf
deren oberster Stufe die Dogen die Krone nahmen.

Und nun empor -- zur scala öl'vio, zu den hallenden, goldbelasteten
Sälen, wo der "Große Rath" seine Sitzungen hielt, wo die Statuen der
großen Männer stehen, die aus der Republik hervorgegangen und die Bilder
der Dogen, die sie beherrscht. Aber immer noch streift über den Glanz ein
leichter Schatten und an das Entzücken ein leises Grauen; denn an den Hän¬
den Venedigs klebt Blut, viel edles Blut, das sie der Leidenschaft geopfert.
Da war die Looea 6i Isone, wo der Neid seine heimlichen Anklagen nieder¬
legte, wir gehen an der Thüre vorüber, die zu den Kerkern und zur Seufzer¬
brücke führt, wir sehen in der Reihe der Dogen die schwarze Stelle, wo
Marino Falieri's Bild getilgt ward, als sein Haupt unter dem Beil des
Henkers fiel.

In der Laka ack NaMioi' LovsigUo hielt der große Rath seine Versamm¬
lungen, Alle waren in Scharlach gekleidet, hier fielen die Würfel über Krieg
und Frieden, über Schmach und Ehre, und der Stolz, der damals die Herzen
hob, ist gleichsam verkörpert in den Meisterwerken, welche Wand und Decke
schmücken. Ueberall Sieg und Krönung, überall Gott und Götter, ja Binto-
retto, der in diesem Raum das größte Gemälde schuf, welches die Kunst¬
geschichte kennt, nahm keinen geringeren Gegenstand, als die Welt der Seligen!
Venedig träumte nur vom Paradies.

Durch eine lange Reihe von Sälen schreiten wir weiter; hier ward durch
die Nobili der Stadt der Doge gewählt und dort empfing er die Gesandten
ferner Länder; hier war sein Schlafgemach und hier schritten die Garden auf
und nieder, die das Kleinod Venedigs, sein Leben, behüteten. Der Sieges¬
bogen, durch den wir eben getreten sind, ward für Morosini errichtet, für
den Helden, der Morea eroberte, für den Barbaren, dessen Geschosse das
Parthenon zertrümmerten, der Hunderte von Athenern unter dem herrlichsten
Schutt begrub, den jemals die Erde sah. Auch eine kleine Kapelle begegnet
uns auf dem Weg, dort pflegte der Doge'allmorgentlich des Gebetes, vom
Rathe der Zehn begleitet und in dem letzten Saal, den wir jetzt betreten,
hielt dieser Rath sein blutiges Gericht.

cionsislio asi visci, das war der Schreckensname für alle Bürger der
Stadt und was auch die Sorgfalt seiner Vertheidiger dagegen vorbringen
Möge, so frei die Republik in anderen Dingen war, hier hatte sie ein Gericht
geschaffen, das nur in der Allmacht Robespierre's und in dem Blutdurst
Marat's seines Gleichen fand. Alle Verbrechen gegen die Sicherheit des
Staates (und damit alle) waren dem Urtheil dieser Behörde unterworfen,
der Doge selbst stand unter ihrer geheimen Vehme, in tiefster Stille wurden
die Zeugen vernommen, in tiefster Stille das Urtheil vollstreckt. Und, damit


jene Marmortreppe mit den Riesengestalten des Mars und Neptun, auf
deren oberster Stufe die Dogen die Krone nahmen.

Und nun empor — zur scala öl'vio, zu den hallenden, goldbelasteten
Sälen, wo der „Große Rath" seine Sitzungen hielt, wo die Statuen der
großen Männer stehen, die aus der Republik hervorgegangen und die Bilder
der Dogen, die sie beherrscht. Aber immer noch streift über den Glanz ein
leichter Schatten und an das Entzücken ein leises Grauen; denn an den Hän¬
den Venedigs klebt Blut, viel edles Blut, das sie der Leidenschaft geopfert.
Da war die Looea 6i Isone, wo der Neid seine heimlichen Anklagen nieder¬
legte, wir gehen an der Thüre vorüber, die zu den Kerkern und zur Seufzer¬
brücke führt, wir sehen in der Reihe der Dogen die schwarze Stelle, wo
Marino Falieri's Bild getilgt ward, als sein Haupt unter dem Beil des
Henkers fiel.

In der Laka ack NaMioi' LovsigUo hielt der große Rath seine Versamm¬
lungen, Alle waren in Scharlach gekleidet, hier fielen die Würfel über Krieg
und Frieden, über Schmach und Ehre, und der Stolz, der damals die Herzen
hob, ist gleichsam verkörpert in den Meisterwerken, welche Wand und Decke
schmücken. Ueberall Sieg und Krönung, überall Gott und Götter, ja Binto-
retto, der in diesem Raum das größte Gemälde schuf, welches die Kunst¬
geschichte kennt, nahm keinen geringeren Gegenstand, als die Welt der Seligen!
Venedig träumte nur vom Paradies.

Durch eine lange Reihe von Sälen schreiten wir weiter; hier ward durch
die Nobili der Stadt der Doge gewählt und dort empfing er die Gesandten
ferner Länder; hier war sein Schlafgemach und hier schritten die Garden auf
und nieder, die das Kleinod Venedigs, sein Leben, behüteten. Der Sieges¬
bogen, durch den wir eben getreten sind, ward für Morosini errichtet, für
den Helden, der Morea eroberte, für den Barbaren, dessen Geschosse das
Parthenon zertrümmerten, der Hunderte von Athenern unter dem herrlichsten
Schutt begrub, den jemals die Erde sah. Auch eine kleine Kapelle begegnet
uns auf dem Weg, dort pflegte der Doge'allmorgentlich des Gebetes, vom
Rathe der Zehn begleitet und in dem letzten Saal, den wir jetzt betreten,
hielt dieser Rath sein blutiges Gericht.

cionsislio asi visci, das war der Schreckensname für alle Bürger der
Stadt und was auch die Sorgfalt seiner Vertheidiger dagegen vorbringen
Möge, so frei die Republik in anderen Dingen war, hier hatte sie ein Gericht
geschaffen, das nur in der Allmacht Robespierre's und in dem Blutdurst
Marat's seines Gleichen fand. Alle Verbrechen gegen die Sicherheit des
Staates (und damit alle) waren dem Urtheil dieser Behörde unterworfen,
der Doge selbst stand unter ihrer geheimen Vehme, in tiefster Stille wurden
die Zeugen vernommen, in tiefster Stille das Urtheil vollstreckt. Und, damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/55>, abgerufen am 22.07.2024.