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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Beute von Acri, die ehernen Flügelthüren waren einst in der Sophienkirche
zu Stcimbul, die Marmorsäulen, die rechts und links am Hauptportale stehen,
sollen aus dem Tempel von Jerusalem genommen sein. Die breiten Quadern
aber, auf denen wir stehen,-- drei rothe Marmorsteine -- erzählen uns noch,
wie Barbarossa einst vor Papst Alexander zu Boden sank, halb von Begeiste¬
rung gebeugt und halb vom Stolze emporgehoben: "Avr tibi 8sa?etro" --
,M ?otro et midi."

Wenn wir die Mosaiken betrachten, die das Deckengewölbe füllen, so
stehen wir mitten im alten Testamente vor Formen, die bei aller Härte doch
etwas inniges und bei aller byzantinischen Steifheit doch einen würdevollen
Ernst besitzen. Das Paradies -- die erste Seligkeit und die ersten Schmerzen
der Menschheit sind ihr Gegenstand.

Dann aber eilen wir durch das Portal ins Innere, in dessen Dämme¬
rung die tiefere Farbe vorherrscht. Alles ist mit Mosaiken bedeckt und mit
dunklem Marmor verkleidet, auf der Brüstung, die den Chor und das Schiff
der Kirche trennt, stehen schwarze eherne Apostel, und über dem Hochaltar,
wo die Gebeine des si. Markus ruhen, wölbt sich ein Baldachin auf ge¬
wundenen Säulen. Wie wunderbar wirkt das zusammen, wenn nun der
Sonnenstrahl sich durch die Fenster drängt, wenn der rauschende Orgelton
den letzten Winkel erfüllt, mit seinen unsichtbaren fluchenden Wellen, wenn
die Inbrunst all der Geschlechter lebendig wird, die hier auf den Knien lagen
-- mit ihren Bitten und ihrem Dank, so ganz von anderem Geist getragen,
aber im Herzen so ganz wie unser Herz.

Was San Marco für die Verherrlichung des religiösen Geistes bedeutet,
das ist der Dogenpallast für die weltliche Macht Venedigs, er hat in Italien
selbst kaum seines Gleichen. So wie er heute vor uns steht, ward der Dogen¬
pallast im 14. Jahrhundert begonnen und im Z5. vollendet; denn der frühere
Bau, der schon in die Zeit der Karolinger fiel, wurde ein Raub der
Flammen.

Zwei gewaltige Säulenreihen, die übereinanderliegen, tragen den breiten
massigen Oberbau: eine ungeheuere hellgehaltene Fläche, deren ruhige Einheit
nur durch die gothischen Bogenfenster unterbrochen wird, die das Licht in
die herrlichen Säle leiten.

Hier ist jede Linie klassisch. Schon die Lage allein, die den Palast
gleichsam in ideale Verbindung mit der Markuskirche setzt, die mit der einen
Front gebieterisch auf die Piazzetta hinaustritt und mit der andern gegen das
Meer, weist auf die innere Bedeutung des Baues hin -- es ist der Grund¬
stein, der Eckstein aller venezianischen Herrlichkeit.

Selbst der Hof. in den die ?ortg. äellg. (Area führt, entfaltet sich fürst-
lich und hat etwas Gigantisches, längst ehe wir die Leala, 6i OiMuti sahen,


Beute von Acri, die ehernen Flügelthüren waren einst in der Sophienkirche
zu Stcimbul, die Marmorsäulen, die rechts und links am Hauptportale stehen,
sollen aus dem Tempel von Jerusalem genommen sein. Die breiten Quadern
aber, auf denen wir stehen,— drei rothe Marmorsteine — erzählen uns noch,
wie Barbarossa einst vor Papst Alexander zu Boden sank, halb von Begeiste¬
rung gebeugt und halb vom Stolze emporgehoben: „Avr tibi 8sa?etro" —
,M ?otro et midi."

Wenn wir die Mosaiken betrachten, die das Deckengewölbe füllen, so
stehen wir mitten im alten Testamente vor Formen, die bei aller Härte doch
etwas inniges und bei aller byzantinischen Steifheit doch einen würdevollen
Ernst besitzen. Das Paradies — die erste Seligkeit und die ersten Schmerzen
der Menschheit sind ihr Gegenstand.

Dann aber eilen wir durch das Portal ins Innere, in dessen Dämme¬
rung die tiefere Farbe vorherrscht. Alles ist mit Mosaiken bedeckt und mit
dunklem Marmor verkleidet, auf der Brüstung, die den Chor und das Schiff
der Kirche trennt, stehen schwarze eherne Apostel, und über dem Hochaltar,
wo die Gebeine des si. Markus ruhen, wölbt sich ein Baldachin auf ge¬
wundenen Säulen. Wie wunderbar wirkt das zusammen, wenn nun der
Sonnenstrahl sich durch die Fenster drängt, wenn der rauschende Orgelton
den letzten Winkel erfüllt, mit seinen unsichtbaren fluchenden Wellen, wenn
die Inbrunst all der Geschlechter lebendig wird, die hier auf den Knien lagen
— mit ihren Bitten und ihrem Dank, so ganz von anderem Geist getragen,
aber im Herzen so ganz wie unser Herz.

Was San Marco für die Verherrlichung des religiösen Geistes bedeutet,
das ist der Dogenpallast für die weltliche Macht Venedigs, er hat in Italien
selbst kaum seines Gleichen. So wie er heute vor uns steht, ward der Dogen¬
pallast im 14. Jahrhundert begonnen und im Z5. vollendet; denn der frühere
Bau, der schon in die Zeit der Karolinger fiel, wurde ein Raub der
Flammen.

Zwei gewaltige Säulenreihen, die übereinanderliegen, tragen den breiten
massigen Oberbau: eine ungeheuere hellgehaltene Fläche, deren ruhige Einheit
nur durch die gothischen Bogenfenster unterbrochen wird, die das Licht in
die herrlichen Säle leiten.

Hier ist jede Linie klassisch. Schon die Lage allein, die den Palast
gleichsam in ideale Verbindung mit der Markuskirche setzt, die mit der einen
Front gebieterisch auf die Piazzetta hinaustritt und mit der andern gegen das
Meer, weist auf die innere Bedeutung des Baues hin — es ist der Grund¬
stein, der Eckstein aller venezianischen Herrlichkeit.

Selbst der Hof. in den die ?ortg. äellg. (Area führt, entfaltet sich fürst-
lich und hat etwas Gigantisches, längst ehe wir die Leala, 6i OiMuti sahen,


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[0054] Beute von Acri, die ehernen Flügelthüren waren einst in der Sophienkirche zu Stcimbul, die Marmorsäulen, die rechts und links am Hauptportale stehen, sollen aus dem Tempel von Jerusalem genommen sein. Die breiten Quadern aber, auf denen wir stehen,— drei rothe Marmorsteine — erzählen uns noch, wie Barbarossa einst vor Papst Alexander zu Boden sank, halb von Begeiste¬ rung gebeugt und halb vom Stolze emporgehoben: „Avr tibi 8sa?etro" — ,M ?otro et midi." Wenn wir die Mosaiken betrachten, die das Deckengewölbe füllen, so stehen wir mitten im alten Testamente vor Formen, die bei aller Härte doch etwas inniges und bei aller byzantinischen Steifheit doch einen würdevollen Ernst besitzen. Das Paradies — die erste Seligkeit und die ersten Schmerzen der Menschheit sind ihr Gegenstand. Dann aber eilen wir durch das Portal ins Innere, in dessen Dämme¬ rung die tiefere Farbe vorherrscht. Alles ist mit Mosaiken bedeckt und mit dunklem Marmor verkleidet, auf der Brüstung, die den Chor und das Schiff der Kirche trennt, stehen schwarze eherne Apostel, und über dem Hochaltar, wo die Gebeine des si. Markus ruhen, wölbt sich ein Baldachin auf ge¬ wundenen Säulen. Wie wunderbar wirkt das zusammen, wenn nun der Sonnenstrahl sich durch die Fenster drängt, wenn der rauschende Orgelton den letzten Winkel erfüllt, mit seinen unsichtbaren fluchenden Wellen, wenn die Inbrunst all der Geschlechter lebendig wird, die hier auf den Knien lagen — mit ihren Bitten und ihrem Dank, so ganz von anderem Geist getragen, aber im Herzen so ganz wie unser Herz. Was San Marco für die Verherrlichung des religiösen Geistes bedeutet, das ist der Dogenpallast für die weltliche Macht Venedigs, er hat in Italien selbst kaum seines Gleichen. So wie er heute vor uns steht, ward der Dogen¬ pallast im 14. Jahrhundert begonnen und im Z5. vollendet; denn der frühere Bau, der schon in die Zeit der Karolinger fiel, wurde ein Raub der Flammen. Zwei gewaltige Säulenreihen, die übereinanderliegen, tragen den breiten massigen Oberbau: eine ungeheuere hellgehaltene Fläche, deren ruhige Einheit nur durch die gothischen Bogenfenster unterbrochen wird, die das Licht in die herrlichen Säle leiten. Hier ist jede Linie klassisch. Schon die Lage allein, die den Palast gleichsam in ideale Verbindung mit der Markuskirche setzt, die mit der einen Front gebieterisch auf die Piazzetta hinaustritt und mit der andern gegen das Meer, weist auf die innere Bedeutung des Baues hin — es ist der Grund¬ stein, der Eckstein aller venezianischen Herrlichkeit. Selbst der Hof. in den die ?ortg. äellg. (Area führt, entfaltet sich fürst- lich und hat etwas Gigantisches, längst ehe wir die Leala, 6i OiMuti sahen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/54>, abgerufen am 22.07.2024.