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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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alte, so drängt sich noch das heutige Leben.zusammen auf dem Markusplatz,
(wenn es auch nur die Schatten von damals sind); hier versammeln sich in
sonniger Morgenstunde die Fremden, hier lungern die Ciceroni und an der
Piazzetta die Gondoliere. Verkäufer aller Art drängen sich zwischen den
Stühlen durch, die vor den Cafe's in den offenen Arkaden stehen. Aber der
prunkhafte Glanz tritt doch erst mit der Nacht hervor, wenn aus den erz¬
getriebenen Kandelabern Hunderte von Flammen sprühen, wenn das Gold
hinter den Spiegelscheiben der gioMlisri funkelt und der Klang der rauschenden
Musik über den Platz hin wogt. Dann kommen sie von allen Seiten, die
Nobili mit ihren Frauen, an der Piazzetta drängen sich die Gondeln, und
die Straße Merceria wird zu enge für dies Gewühl. Aber der Markusplatz
scheint fast zu wachsen in dem blauen dehnenden Mondlicht, das in den
Strahlenflimmer hineinlugt und sich schüchtern hinter den Säulen der
Proeurazien birgt. Fast scheint es, als hätte sein Hauch auch das Antlitz
der schönen Frauen gestreift, deren holde Blässe (morbiäe22g.) berühmt ist;
die mit rauschender Schleppe über den Marmorboden wallen, nachlässig in
den Arm des Gatten gelehnt, während die heißen Blicke über den schwarzen
Fächer ins Weite schießen.

Bis tief in die Nacht hinein regt sich der Lärm und die Leidenschaft, die
das öffentliche Leben Italiens durchdringt, dann verstummt allmältg das letzte
heftige Wort der Männer; noch einen verstohlenen Blick senden die schönen
Frauen, und der Glückliche, den sie grüßen, versteht ihr Lebewohl. Um die
Stufen der Piazetta, die ganz von weißem Marmor sind, damit man sie auch
des Nachts nicht verfehle, drängen sich wieder die Gondeln und nach allen
Seiten vertheilt sich ihr Weg durch die dunklen todtesstillen Wasserstraßen.
Auf dem Markusplatze aber werden die großen Kandelaber gelöscht, die Musik
ist abgezogen und an das Kapital der Säulen haben sich schon die Lazzaroni
zum Schlafe hingestreckt. Immer tiefer hinein in die Mitte des Platzes rückt
das lauschende Mondlicht, der letzte hallende Schritt verliert sich in San
Moise und dann ist es lautlos in dem ungeheuern Raum.

Und wieder hören wir es rauschen drüben über dem Ctdo; nun ist Vene¬
dig die Gebieterin des Meeres allein in ihrer ganzen Schönheit und Ver¬
lassenheit. All ihre Kinder sind eingeschlafen, betäubt vom lärmenden Spiel
und frohem Geplauder, sie aber steht wie eine sinnende Witwe die sorgenvoll
über die schaukelnde Wiege hinwegschaut. Was ist das heutige Geschlecht --
es sind die jüngsten ihrer Söhne, die keine Ahnung mehr haben von dem
einstigen Glanz des Hauses, von der Schönheit ihrer Mutter, von der Leiden¬
schaft, die dieß Herz durchwühlt, als noch die Großen der Erde um die Gunst
Venedigs warben! Es sind Kinder, die sich arglos in der zerfallenenen Pracht
ihres Elternhauses tummeln.


alte, so drängt sich noch das heutige Leben.zusammen auf dem Markusplatz,
(wenn es auch nur die Schatten von damals sind); hier versammeln sich in
sonniger Morgenstunde die Fremden, hier lungern die Ciceroni und an der
Piazzetta die Gondoliere. Verkäufer aller Art drängen sich zwischen den
Stühlen durch, die vor den Cafe's in den offenen Arkaden stehen. Aber der
prunkhafte Glanz tritt doch erst mit der Nacht hervor, wenn aus den erz¬
getriebenen Kandelabern Hunderte von Flammen sprühen, wenn das Gold
hinter den Spiegelscheiben der gioMlisri funkelt und der Klang der rauschenden
Musik über den Platz hin wogt. Dann kommen sie von allen Seiten, die
Nobili mit ihren Frauen, an der Piazzetta drängen sich die Gondeln, und
die Straße Merceria wird zu enge für dies Gewühl. Aber der Markusplatz
scheint fast zu wachsen in dem blauen dehnenden Mondlicht, das in den
Strahlenflimmer hineinlugt und sich schüchtern hinter den Säulen der
Proeurazien birgt. Fast scheint es, als hätte sein Hauch auch das Antlitz
der schönen Frauen gestreift, deren holde Blässe (morbiäe22g.) berühmt ist;
die mit rauschender Schleppe über den Marmorboden wallen, nachlässig in
den Arm des Gatten gelehnt, während die heißen Blicke über den schwarzen
Fächer ins Weite schießen.

Bis tief in die Nacht hinein regt sich der Lärm und die Leidenschaft, die
das öffentliche Leben Italiens durchdringt, dann verstummt allmältg das letzte
heftige Wort der Männer; noch einen verstohlenen Blick senden die schönen
Frauen, und der Glückliche, den sie grüßen, versteht ihr Lebewohl. Um die
Stufen der Piazetta, die ganz von weißem Marmor sind, damit man sie auch
des Nachts nicht verfehle, drängen sich wieder die Gondeln und nach allen
Seiten vertheilt sich ihr Weg durch die dunklen todtesstillen Wasserstraßen.
Auf dem Markusplatze aber werden die großen Kandelaber gelöscht, die Musik
ist abgezogen und an das Kapital der Säulen haben sich schon die Lazzaroni
zum Schlafe hingestreckt. Immer tiefer hinein in die Mitte des Platzes rückt
das lauschende Mondlicht, der letzte hallende Schritt verliert sich in San
Moise und dann ist es lautlos in dem ungeheuern Raum.

Und wieder hören wir es rauschen drüben über dem Ctdo; nun ist Vene¬
dig die Gebieterin des Meeres allein in ihrer ganzen Schönheit und Ver¬
lassenheit. All ihre Kinder sind eingeschlafen, betäubt vom lärmenden Spiel
und frohem Geplauder, sie aber steht wie eine sinnende Witwe die sorgenvoll
über die schaukelnde Wiege hinwegschaut. Was ist das heutige Geschlecht —
es sind die jüngsten ihrer Söhne, die keine Ahnung mehr haben von dem
einstigen Glanz des Hauses, von der Schönheit ihrer Mutter, von der Leiden¬
schaft, die dieß Herz durchwühlt, als noch die Großen der Erde um die Gunst
Venedigs warben! Es sind Kinder, die sich arglos in der zerfallenenen Pracht
ihres Elternhauses tummeln.


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[0052] alte, so drängt sich noch das heutige Leben.zusammen auf dem Markusplatz, (wenn es auch nur die Schatten von damals sind); hier versammeln sich in sonniger Morgenstunde die Fremden, hier lungern die Ciceroni und an der Piazzetta die Gondoliere. Verkäufer aller Art drängen sich zwischen den Stühlen durch, die vor den Cafe's in den offenen Arkaden stehen. Aber der prunkhafte Glanz tritt doch erst mit der Nacht hervor, wenn aus den erz¬ getriebenen Kandelabern Hunderte von Flammen sprühen, wenn das Gold hinter den Spiegelscheiben der gioMlisri funkelt und der Klang der rauschenden Musik über den Platz hin wogt. Dann kommen sie von allen Seiten, die Nobili mit ihren Frauen, an der Piazzetta drängen sich die Gondeln, und die Straße Merceria wird zu enge für dies Gewühl. Aber der Markusplatz scheint fast zu wachsen in dem blauen dehnenden Mondlicht, das in den Strahlenflimmer hineinlugt und sich schüchtern hinter den Säulen der Proeurazien birgt. Fast scheint es, als hätte sein Hauch auch das Antlitz der schönen Frauen gestreift, deren holde Blässe (morbiäe22g.) berühmt ist; die mit rauschender Schleppe über den Marmorboden wallen, nachlässig in den Arm des Gatten gelehnt, während die heißen Blicke über den schwarzen Fächer ins Weite schießen. Bis tief in die Nacht hinein regt sich der Lärm und die Leidenschaft, die das öffentliche Leben Italiens durchdringt, dann verstummt allmältg das letzte heftige Wort der Männer; noch einen verstohlenen Blick senden die schönen Frauen, und der Glückliche, den sie grüßen, versteht ihr Lebewohl. Um die Stufen der Piazetta, die ganz von weißem Marmor sind, damit man sie auch des Nachts nicht verfehle, drängen sich wieder die Gondeln und nach allen Seiten vertheilt sich ihr Weg durch die dunklen todtesstillen Wasserstraßen. Auf dem Markusplatze aber werden die großen Kandelaber gelöscht, die Musik ist abgezogen und an das Kapital der Säulen haben sich schon die Lazzaroni zum Schlafe hingestreckt. Immer tiefer hinein in die Mitte des Platzes rückt das lauschende Mondlicht, der letzte hallende Schritt verliert sich in San Moise und dann ist es lautlos in dem ungeheuern Raum. Und wieder hören wir es rauschen drüben über dem Ctdo; nun ist Vene¬ dig die Gebieterin des Meeres allein in ihrer ganzen Schönheit und Ver¬ lassenheit. All ihre Kinder sind eingeschlafen, betäubt vom lärmenden Spiel und frohem Geplauder, sie aber steht wie eine sinnende Witwe die sorgenvoll über die schaukelnde Wiege hinwegschaut. Was ist das heutige Geschlecht — es sind die jüngsten ihrer Söhne, die keine Ahnung mehr haben von dem einstigen Glanz des Hauses, von der Schönheit ihrer Mutter, von der Leiden¬ schaft, die dieß Herz durchwühlt, als noch die Großen der Erde um die Gunst Venedigs warben! Es sind Kinder, die sich arglos in der zerfallenenen Pracht ihres Elternhauses tummeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/52>, abgerufen am 22.07.2024.