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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Oberlandesgerichtes, den von ihm dazu abgeordneten Mitgliedern ein nennens-
werther Einfluß auf die Rechtsprechung zugestanden werden könnte, abgesehen
von den Unzuträglichkeiten, welche es mit sich bringt, daß der Richter des
größern Staates den Rechtsnormen und -Gewohnheiten des kleinern theil¬
weise fremd gegenübersteht und sich denselben schwerlich se mit Wärme zu¬
wenden wird.

2. Vereinigung mehrerer Kleinstaaten zur Bildung eines Oberlandes¬
gerichts unter analoger Anwendung der für die Gerichtsgemeinschaft rücksicht¬
lich einiger Gerichtshöfe höchster Instanz bestehenden Einrichtungen. Diese
Verbindung soll nach der Ansicht Einiger, unbeschadet der Selbständigkeit der
Einzelstaaten in Ansehung der Amtsgerichte und Landgerichte, eintreten, jedoch
mit der Ausnahme, daß gemeinschaftliche Landgerichte da gebildet werden
können, wo die geographische Lage oder die geringe Bevölkerungszahl eines
Landes dies unbedingt nöthig macht.

Ein anderer Vorschlag von überraschender Kühnheit, welchen die Blätter
für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt bringen, macht in Bezug auf die
Thüringischen Länder diese Ausnahme zur Regel. Ausgehend davon, daß der
geringe Umfang einzelner dieser Staaten, die eigenthümliche Zersplitterung
des Thüringischen Landes unter verschiedener Landeshoheit der Gerichtsorga-
nisation ganz besondere Schwierigkeiten bereitet, gelangt er zur Bildung von
durchweg gemeinschaftlichen Landgerichten -- deren eines, zugleich als Han¬
delsgerichtssprengel, Gebtetstheile von sämmtlichen acht Ländern umfassen soll
und zur Bildung gemeinschaftlicher Amtsgerichte.

Falls, wie wir voraussetzen, dieser Vorschlag bei den betreffenden Landes¬
regierungen keine freundliche Aufnahme gefunden hat, so ließe sich das auch
ohne Rücksicht auf die daraus entstehende Grenzverwirrung in den Souverä¬
nitätsrechten erklären. Die praktische Durchführung würde so erhebliche
Schwierigkeiten, besonders finanzielle, ergeben, die Justizverwaltung und Auf¬
sicht eine so vielköpfige und complicirte sein, daß auf ein zufriedenstellendes
Ergebniß kaum zu rechnen wäre.

3. Uebertragung der Rechtspflege auf das Reich dergestalt, daß eine
"Centralstelle für Justizangelegenheiten in Thüringen" als besondere Abthei¬
lung des Reichskanzleramtes zu bilden wäre, welche statt der Justizministerien
der acht einzelnen Staaten die gesammten persönlichen Angelegenheiten zu
leiten, die Gerichtsbezirke abzugrenzen und die Justizverwaltung und oberste
Aufsicht über das Gerichtswesen u. s. w. zu übernehmen hätte.

Unbekümmert um den Widerspruch, welchen er vom Standpunkt des
Particularismus gefunden hat, stehen wir nicht an, diesem Vorschlag , wenn
auch mit einigen Modificationen, beizustimmen. Berechtigt wäre nach unserer
Meinung der Widerspruch, wenn er von Staaten ausginge, die im Stande


Grenzboten Hi. 1874. 63

Oberlandesgerichtes, den von ihm dazu abgeordneten Mitgliedern ein nennens-
werther Einfluß auf die Rechtsprechung zugestanden werden könnte, abgesehen
von den Unzuträglichkeiten, welche es mit sich bringt, daß der Richter des
größern Staates den Rechtsnormen und -Gewohnheiten des kleinern theil¬
weise fremd gegenübersteht und sich denselben schwerlich se mit Wärme zu¬
wenden wird.

2. Vereinigung mehrerer Kleinstaaten zur Bildung eines Oberlandes¬
gerichts unter analoger Anwendung der für die Gerichtsgemeinschaft rücksicht¬
lich einiger Gerichtshöfe höchster Instanz bestehenden Einrichtungen. Diese
Verbindung soll nach der Ansicht Einiger, unbeschadet der Selbständigkeit der
Einzelstaaten in Ansehung der Amtsgerichte und Landgerichte, eintreten, jedoch
mit der Ausnahme, daß gemeinschaftliche Landgerichte da gebildet werden
können, wo die geographische Lage oder die geringe Bevölkerungszahl eines
Landes dies unbedingt nöthig macht.

Ein anderer Vorschlag von überraschender Kühnheit, welchen die Blätter
für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt bringen, macht in Bezug auf die
Thüringischen Länder diese Ausnahme zur Regel. Ausgehend davon, daß der
geringe Umfang einzelner dieser Staaten, die eigenthümliche Zersplitterung
des Thüringischen Landes unter verschiedener Landeshoheit der Gerichtsorga-
nisation ganz besondere Schwierigkeiten bereitet, gelangt er zur Bildung von
durchweg gemeinschaftlichen Landgerichten — deren eines, zugleich als Han¬
delsgerichtssprengel, Gebtetstheile von sämmtlichen acht Ländern umfassen soll
und zur Bildung gemeinschaftlicher Amtsgerichte.

Falls, wie wir voraussetzen, dieser Vorschlag bei den betreffenden Landes¬
regierungen keine freundliche Aufnahme gefunden hat, so ließe sich das auch
ohne Rücksicht auf die daraus entstehende Grenzverwirrung in den Souverä¬
nitätsrechten erklären. Die praktische Durchführung würde so erhebliche
Schwierigkeiten, besonders finanzielle, ergeben, die Justizverwaltung und Auf¬
sicht eine so vielköpfige und complicirte sein, daß auf ein zufriedenstellendes
Ergebniß kaum zu rechnen wäre.

3. Uebertragung der Rechtspflege auf das Reich dergestalt, daß eine
„Centralstelle für Justizangelegenheiten in Thüringen" als besondere Abthei¬
lung des Reichskanzleramtes zu bilden wäre, welche statt der Justizministerien
der acht einzelnen Staaten die gesammten persönlichen Angelegenheiten zu
leiten, die Gerichtsbezirke abzugrenzen und die Justizverwaltung und oberste
Aufsicht über das Gerichtswesen u. s. w. zu übernehmen hätte.

Unbekümmert um den Widerspruch, welchen er vom Standpunkt des
Particularismus gefunden hat, stehen wir nicht an, diesem Vorschlag , wenn
auch mit einigen Modificationen, beizustimmen. Berechtigt wäre nach unserer
Meinung der Widerspruch, wenn er von Staaten ausginge, die im Stande


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[0505] Oberlandesgerichtes, den von ihm dazu abgeordneten Mitgliedern ein nennens- werther Einfluß auf die Rechtsprechung zugestanden werden könnte, abgesehen von den Unzuträglichkeiten, welche es mit sich bringt, daß der Richter des größern Staates den Rechtsnormen und -Gewohnheiten des kleinern theil¬ weise fremd gegenübersteht und sich denselben schwerlich se mit Wärme zu¬ wenden wird. 2. Vereinigung mehrerer Kleinstaaten zur Bildung eines Oberlandes¬ gerichts unter analoger Anwendung der für die Gerichtsgemeinschaft rücksicht¬ lich einiger Gerichtshöfe höchster Instanz bestehenden Einrichtungen. Diese Verbindung soll nach der Ansicht Einiger, unbeschadet der Selbständigkeit der Einzelstaaten in Ansehung der Amtsgerichte und Landgerichte, eintreten, jedoch mit der Ausnahme, daß gemeinschaftliche Landgerichte da gebildet werden können, wo die geographische Lage oder die geringe Bevölkerungszahl eines Landes dies unbedingt nöthig macht. Ein anderer Vorschlag von überraschender Kühnheit, welchen die Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt bringen, macht in Bezug auf die Thüringischen Länder diese Ausnahme zur Regel. Ausgehend davon, daß der geringe Umfang einzelner dieser Staaten, die eigenthümliche Zersplitterung des Thüringischen Landes unter verschiedener Landeshoheit der Gerichtsorga- nisation ganz besondere Schwierigkeiten bereitet, gelangt er zur Bildung von durchweg gemeinschaftlichen Landgerichten — deren eines, zugleich als Han¬ delsgerichtssprengel, Gebtetstheile von sämmtlichen acht Ländern umfassen soll und zur Bildung gemeinschaftlicher Amtsgerichte. Falls, wie wir voraussetzen, dieser Vorschlag bei den betreffenden Landes¬ regierungen keine freundliche Aufnahme gefunden hat, so ließe sich das auch ohne Rücksicht auf die daraus entstehende Grenzverwirrung in den Souverä¬ nitätsrechten erklären. Die praktische Durchführung würde so erhebliche Schwierigkeiten, besonders finanzielle, ergeben, die Justizverwaltung und Auf¬ sicht eine so vielköpfige und complicirte sein, daß auf ein zufriedenstellendes Ergebniß kaum zu rechnen wäre. 3. Uebertragung der Rechtspflege auf das Reich dergestalt, daß eine „Centralstelle für Justizangelegenheiten in Thüringen" als besondere Abthei¬ lung des Reichskanzleramtes zu bilden wäre, welche statt der Justizministerien der acht einzelnen Staaten die gesammten persönlichen Angelegenheiten zu leiten, die Gerichtsbezirke abzugrenzen und die Justizverwaltung und oberste Aufsicht über das Gerichtswesen u. s. w. zu übernehmen hätte. Unbekümmert um den Widerspruch, welchen er vom Standpunkt des Particularismus gefunden hat, stehen wir nicht an, diesem Vorschlag , wenn auch mit einigen Modificationen, beizustimmen. Berechtigt wäre nach unserer Meinung der Widerspruch, wenn er von Staaten ausginge, die im Stande Grenzboten Hi. 1874. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/505>, abgerufen am 22.07.2024.