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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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"was eben nur von dem Reich geordnet werden kann, weil es gemeinsam
geordnet werden muß."

Hiernach verbleibt denn für letzteres im Grunde nur die Einrichtung des
als höchste Instanz in Aussicht genommenen deutschen Reichsgerichts und die
Anstellung eines kaiserlichen Reichsanwalts. Das Uebrige wird, da die unter¬
geordneten Gerichtsbehörden Landesgerichte sein sollen, den Bundesstaaten,
jedem zu seinem Theil, überlassen. Die Bestimmung der Zahl und der
Bezirke der Gerichte höherer und niederer Instanz, die Auswahl des Personals
dieser Behörden, der Staatsanwälte, Gerichtsvollzieher, Festsetzung der Be¬
soldungen, Aufsicht über die Justizbeamten, die Anwälte und Notare, Auf¬
stellung der Geschäftsordnung bei den Gerichten :c., Alles dies liegt den
Landesjustizverwaltungen ob.

Angesichts der wesentlich verschiedenen Umstände, unter welchen man sich
in den einzelnen Ländern anschicken wird, den durch das künftige Organisations¬
gesetz zu überliefernden Rahmen auszufüllen, würde an und für sich auf eine
gleichmäßige Lösung dieser Aufgabe in allen Theilen des Reiches nicht zu
hoffen sein. Während den größeren Staaten ihre Ausdehnung und Bevölkerungs-
Zahl die ungehinderte Ausführung des Gesetzes ermöglicht, sind die kleinsten
nur eben in der Lage, einige Amtsgerichte zu organisiren. Die Bildung von
Landgerichten -- die, wie es heißt, 160,000--230.000 Seelen umfassen sollen
wird auch die weniger kleinen in Verlegenheit setzen und zur selbständigen
Gestaltung auch nur eines Oberlandesgerichts mit etwa 1 -- 2 Millionen
Seelen, ist außer den 4 Königreichen, Baden und Hessen kein einziger von den
Bundesstaaten im Stande.

Man würde es aber als einen entschiedenen, folgenschweren Fehler be¬
zeichnen müssen, wenn Einrichtungen ins Leben treten, die sich mit denen in
den größeren Staaten in allzugrellen Contrast setzen. Freilich ließe sich nach
der Haltung, welche die Motive des Organisationsgesetzes zu dieser Frage
einnehmen, kaum etwas dagegen erinnern, wenn jeder kleinere Staat sich den
Luxus eines eignen Oberlandesgerichts erlauben wollte, und der vorliegende
Entwurf, indem er im Gegensatz zu dem ursprünglich ausgearbeiteten, die
Berufung gegen die Entscheidungen der Land- und Handelsgerichte wieder
hergestellt, dafür aber die Spruchcollegien jener Untergeriehte statt mit 5 nur
Mit Z Richtern besetzen will, scheint dies sogar zu begünstigen.

Ganz ohne Rücksicht auf die Kostspieligkeit solcher Gerichtshöfe und den
immerhin zu befürchtenden Mangel hinreichender Beschäftigung würden die¬
selben jedoch dem Sinne des Gesetzes wenig entsprechen. Wenn es in § 93
und 94 des Entwurfs heißt, daß die Oberlandesgerichte mit einem Präsidenten
und der erforderlichen Zahl von Senatspräsidenten und Räthen besetzt und
daß bei denselben Civil- und Strafsenate gebildet werden sollen, so setzt dies


„was eben nur von dem Reich geordnet werden kann, weil es gemeinsam
geordnet werden muß."

Hiernach verbleibt denn für letzteres im Grunde nur die Einrichtung des
als höchste Instanz in Aussicht genommenen deutschen Reichsgerichts und die
Anstellung eines kaiserlichen Reichsanwalts. Das Uebrige wird, da die unter¬
geordneten Gerichtsbehörden Landesgerichte sein sollen, den Bundesstaaten,
jedem zu seinem Theil, überlassen. Die Bestimmung der Zahl und der
Bezirke der Gerichte höherer und niederer Instanz, die Auswahl des Personals
dieser Behörden, der Staatsanwälte, Gerichtsvollzieher, Festsetzung der Be¬
soldungen, Aufsicht über die Justizbeamten, die Anwälte und Notare, Auf¬
stellung der Geschäftsordnung bei den Gerichten :c., Alles dies liegt den
Landesjustizverwaltungen ob.

Angesichts der wesentlich verschiedenen Umstände, unter welchen man sich
in den einzelnen Ländern anschicken wird, den durch das künftige Organisations¬
gesetz zu überliefernden Rahmen auszufüllen, würde an und für sich auf eine
gleichmäßige Lösung dieser Aufgabe in allen Theilen des Reiches nicht zu
hoffen sein. Während den größeren Staaten ihre Ausdehnung und Bevölkerungs-
Zahl die ungehinderte Ausführung des Gesetzes ermöglicht, sind die kleinsten
nur eben in der Lage, einige Amtsgerichte zu organisiren. Die Bildung von
Landgerichten — die, wie es heißt, 160,000—230.000 Seelen umfassen sollen
wird auch die weniger kleinen in Verlegenheit setzen und zur selbständigen
Gestaltung auch nur eines Oberlandesgerichts mit etwa 1 — 2 Millionen
Seelen, ist außer den 4 Königreichen, Baden und Hessen kein einziger von den
Bundesstaaten im Stande.

Man würde es aber als einen entschiedenen, folgenschweren Fehler be¬
zeichnen müssen, wenn Einrichtungen ins Leben treten, die sich mit denen in
den größeren Staaten in allzugrellen Contrast setzen. Freilich ließe sich nach
der Haltung, welche die Motive des Organisationsgesetzes zu dieser Frage
einnehmen, kaum etwas dagegen erinnern, wenn jeder kleinere Staat sich den
Luxus eines eignen Oberlandesgerichts erlauben wollte, und der vorliegende
Entwurf, indem er im Gegensatz zu dem ursprünglich ausgearbeiteten, die
Berufung gegen die Entscheidungen der Land- und Handelsgerichte wieder
hergestellt, dafür aber die Spruchcollegien jener Untergeriehte statt mit 5 nur
Mit Z Richtern besetzen will, scheint dies sogar zu begünstigen.

Ganz ohne Rücksicht auf die Kostspieligkeit solcher Gerichtshöfe und den
immerhin zu befürchtenden Mangel hinreichender Beschäftigung würden die¬
selben jedoch dem Sinne des Gesetzes wenig entsprechen. Wenn es in § 93
und 94 des Entwurfs heißt, daß die Oberlandesgerichte mit einem Präsidenten
und der erforderlichen Zahl von Senatspräsidenten und Räthen besetzt und
daß bei denselben Civil- und Strafsenate gebildet werden sollen, so setzt dies


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[0503] „was eben nur von dem Reich geordnet werden kann, weil es gemeinsam geordnet werden muß." Hiernach verbleibt denn für letzteres im Grunde nur die Einrichtung des als höchste Instanz in Aussicht genommenen deutschen Reichsgerichts und die Anstellung eines kaiserlichen Reichsanwalts. Das Uebrige wird, da die unter¬ geordneten Gerichtsbehörden Landesgerichte sein sollen, den Bundesstaaten, jedem zu seinem Theil, überlassen. Die Bestimmung der Zahl und der Bezirke der Gerichte höherer und niederer Instanz, die Auswahl des Personals dieser Behörden, der Staatsanwälte, Gerichtsvollzieher, Festsetzung der Be¬ soldungen, Aufsicht über die Justizbeamten, die Anwälte und Notare, Auf¬ stellung der Geschäftsordnung bei den Gerichten :c., Alles dies liegt den Landesjustizverwaltungen ob. Angesichts der wesentlich verschiedenen Umstände, unter welchen man sich in den einzelnen Ländern anschicken wird, den durch das künftige Organisations¬ gesetz zu überliefernden Rahmen auszufüllen, würde an und für sich auf eine gleichmäßige Lösung dieser Aufgabe in allen Theilen des Reiches nicht zu hoffen sein. Während den größeren Staaten ihre Ausdehnung und Bevölkerungs- Zahl die ungehinderte Ausführung des Gesetzes ermöglicht, sind die kleinsten nur eben in der Lage, einige Amtsgerichte zu organisiren. Die Bildung von Landgerichten — die, wie es heißt, 160,000—230.000 Seelen umfassen sollen wird auch die weniger kleinen in Verlegenheit setzen und zur selbständigen Gestaltung auch nur eines Oberlandesgerichts mit etwa 1 — 2 Millionen Seelen, ist außer den 4 Königreichen, Baden und Hessen kein einziger von den Bundesstaaten im Stande. Man würde es aber als einen entschiedenen, folgenschweren Fehler be¬ zeichnen müssen, wenn Einrichtungen ins Leben treten, die sich mit denen in den größeren Staaten in allzugrellen Contrast setzen. Freilich ließe sich nach der Haltung, welche die Motive des Organisationsgesetzes zu dieser Frage einnehmen, kaum etwas dagegen erinnern, wenn jeder kleinere Staat sich den Luxus eines eignen Oberlandesgerichts erlauben wollte, und der vorliegende Entwurf, indem er im Gegensatz zu dem ursprünglich ausgearbeiteten, die Berufung gegen die Entscheidungen der Land- und Handelsgerichte wieder hergestellt, dafür aber die Spruchcollegien jener Untergeriehte statt mit 5 nur Mit Z Richtern besetzen will, scheint dies sogar zu begünstigen. Ganz ohne Rücksicht auf die Kostspieligkeit solcher Gerichtshöfe und den immerhin zu befürchtenden Mangel hinreichender Beschäftigung würden die¬ selben jedoch dem Sinne des Gesetzes wenig entsprechen. Wenn es in § 93 und 94 des Entwurfs heißt, daß die Oberlandesgerichte mit einem Präsidenten und der erforderlichen Zahl von Senatspräsidenten und Räthen besetzt und daß bei denselben Civil- und Strafsenate gebildet werden sollen, so setzt dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/503>, abgerufen am 22.07.2024.