Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Labyrinthe enger Wasserstraßen, die sich endlos kreuzen und verwirren,
wir wissen nimmermehr -- Wohin?

So etwa prägt sich der erste Eindruck aus, den wir empfangen, wenn
wir zur Nacht mit dem Schnellzuge von Mestre kommen und von der
stasiolie in die Stadt fahren. Kein Pferd, kein Wagen ist ringsum sichtbar,
nur das dunkle Gewühl der Gondeln, die sich mit schlangenartiger Behendig¬
keit auseinander wirren; aller feste Boden schwindet unter den Füßen, nur
die finstere schmiegsame Fluth ist da. aus der die verwitterten Häuser senkrecht
emporsteigen. Der trübe dunkelfarbige Ton. den sie sogar am hellen Tage
zeigen, steigert sich Nachts zur finstersten Oede. und die lange verworrene
Fahrt hat wirklich etwas stygisch Beklommenes. Denn die Enttäuschung
macht stumm.

Wir fuhren in der Barke der "Luna", wo wir Wohnung nehmen
wollten und das Bild jenes dunklen Weges bleibt mir in unvergeßlicher Er¬
innerung. Wir waren seltsam gemischt: ein deutscher Professor mit langem
vernünftigem Gesicht, und eine mühsame alte Dame, die aus der italienischen
Provinz kam. dazu ein junges Ehepaar, das wohl auf selner Hochzeitsreise
war. Im Anfang ging das Geplauder ganz vergnüglich, aber je länger die
Minuten und je enger die Gassen wurden, um so mehr ward der Druck des
Unbehagens fühlbar. Unverwandt sah ich der jungen holden Frau ins An¬
gesicht, um das die goldenen Locken fielen, aber nur dann und wann glitt
ein Lichtstrahl aus dem nahen Fenster über ihre Gestalt. Welche wunder¬
samen Züge, so schön und edel, wie das Antlitz einer Madonna, und doch
noch ganz übergössen von dem ersten ahnungslosen Zauber der Kinderseele.
Dichter zog sie den Mantel an sich und enger schmiegte sie sich an den
Gatten, die großen glänzenden Augen machten schüchtern die Runde.

"Warum ist Alles hier so schwarz", frug sie mit halblauter Stimme,
"die Mauern und die Gondeln und die Fluth; sieh nur die langen Koffern
an, dort, unter dem Tuche, sie sehen wahrhaftig aus als wären es Särge."

Lächelnd beruhigte sie der Gemahl und löste die kleine weiße Hand, mit
der sie ihn faßte, man sah es, wie ihre Finger sich unruhig bewegten.

Und von neuem spähte sie ringsumher, an den Mauern empor und in
die Fluth hinab. "Nicht wahr. Fiesko und der Mohr, die waren in Genua,
aber es gibt doch auch einen Mohren von Venedig und der Bravo, der mit
dem Dolch hinter der Thüre steht......

Der Professor lächelte grinsend; "ich glaube gar Du fürchtest Dich",
sprach der Gatte mit unerschütterlicher Ruhe "aber Maria!"

Auch der wälschen Matrone aus der Provinz begann es zu grauen, denn
Furcht steckt an, sie rollte bedenklich die schwarzen Augen, es wäre doch fast
besser gewesen, wenn jetzt ihr Mann, den sie sonst gern entbehrte, zur Stelle


einem Labyrinthe enger Wasserstraßen, die sich endlos kreuzen und verwirren,
wir wissen nimmermehr — Wohin?

So etwa prägt sich der erste Eindruck aus, den wir empfangen, wenn
wir zur Nacht mit dem Schnellzuge von Mestre kommen und von der
stasiolie in die Stadt fahren. Kein Pferd, kein Wagen ist ringsum sichtbar,
nur das dunkle Gewühl der Gondeln, die sich mit schlangenartiger Behendig¬
keit auseinander wirren; aller feste Boden schwindet unter den Füßen, nur
die finstere schmiegsame Fluth ist da. aus der die verwitterten Häuser senkrecht
emporsteigen. Der trübe dunkelfarbige Ton. den sie sogar am hellen Tage
zeigen, steigert sich Nachts zur finstersten Oede. und die lange verworrene
Fahrt hat wirklich etwas stygisch Beklommenes. Denn die Enttäuschung
macht stumm.

Wir fuhren in der Barke der „Luna", wo wir Wohnung nehmen
wollten und das Bild jenes dunklen Weges bleibt mir in unvergeßlicher Er¬
innerung. Wir waren seltsam gemischt: ein deutscher Professor mit langem
vernünftigem Gesicht, und eine mühsame alte Dame, die aus der italienischen
Provinz kam. dazu ein junges Ehepaar, das wohl auf selner Hochzeitsreise
war. Im Anfang ging das Geplauder ganz vergnüglich, aber je länger die
Minuten und je enger die Gassen wurden, um so mehr ward der Druck des
Unbehagens fühlbar. Unverwandt sah ich der jungen holden Frau ins An¬
gesicht, um das die goldenen Locken fielen, aber nur dann und wann glitt
ein Lichtstrahl aus dem nahen Fenster über ihre Gestalt. Welche wunder¬
samen Züge, so schön und edel, wie das Antlitz einer Madonna, und doch
noch ganz übergössen von dem ersten ahnungslosen Zauber der Kinderseele.
Dichter zog sie den Mantel an sich und enger schmiegte sie sich an den
Gatten, die großen glänzenden Augen machten schüchtern die Runde.

„Warum ist Alles hier so schwarz", frug sie mit halblauter Stimme,
„die Mauern und die Gondeln und die Fluth; sieh nur die langen Koffern
an, dort, unter dem Tuche, sie sehen wahrhaftig aus als wären es Särge."

Lächelnd beruhigte sie der Gemahl und löste die kleine weiße Hand, mit
der sie ihn faßte, man sah es, wie ihre Finger sich unruhig bewegten.

Und von neuem spähte sie ringsumher, an den Mauern empor und in
die Fluth hinab. „Nicht wahr. Fiesko und der Mohr, die waren in Genua,
aber es gibt doch auch einen Mohren von Venedig und der Bravo, der mit
dem Dolch hinter der Thüre steht......

Der Professor lächelte grinsend; „ich glaube gar Du fürchtest Dich",
sprach der Gatte mit unerschütterlicher Ruhe „aber Maria!"

Auch der wälschen Matrone aus der Provinz begann es zu grauen, denn
Furcht steckt an, sie rollte bedenklich die schwarzen Augen, es wäre doch fast
besser gewesen, wenn jetzt ihr Mann, den sie sonst gern entbehrte, zur Stelle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288418"/>
          <p xml:id="ID_177" prev="#ID_176"> einem Labyrinthe enger Wasserstraßen, die sich endlos kreuzen und verwirren,<lb/>
wir wissen nimmermehr &#x2014; Wohin?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_178"> So etwa prägt sich der erste Eindruck aus, den wir empfangen, wenn<lb/>
wir zur Nacht mit dem Schnellzuge von Mestre kommen und von der<lb/>
stasiolie in die Stadt fahren. Kein Pferd, kein Wagen ist ringsum sichtbar,<lb/>
nur das dunkle Gewühl der Gondeln, die sich mit schlangenartiger Behendig¬<lb/>
keit auseinander wirren; aller feste Boden schwindet unter den Füßen, nur<lb/>
die finstere schmiegsame Fluth ist da. aus der die verwitterten Häuser senkrecht<lb/>
emporsteigen. Der trübe dunkelfarbige Ton. den sie sogar am hellen Tage<lb/>
zeigen, steigert sich Nachts zur finstersten Oede. und die lange verworrene<lb/>
Fahrt hat wirklich etwas stygisch Beklommenes. Denn die Enttäuschung<lb/>
macht stumm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_179"> Wir fuhren in der Barke der &#x201E;Luna", wo wir Wohnung nehmen<lb/>
wollten und das Bild jenes dunklen Weges bleibt mir in unvergeßlicher Er¬<lb/>
innerung. Wir waren seltsam gemischt: ein deutscher Professor mit langem<lb/>
vernünftigem Gesicht, und eine mühsame alte Dame, die aus der italienischen<lb/>
Provinz kam. dazu ein junges Ehepaar, das wohl auf selner Hochzeitsreise<lb/>
war. Im Anfang ging das Geplauder ganz vergnüglich, aber je länger die<lb/>
Minuten und je enger die Gassen wurden, um so mehr ward der Druck des<lb/>
Unbehagens fühlbar. Unverwandt sah ich der jungen holden Frau ins An¬<lb/>
gesicht, um das die goldenen Locken fielen, aber nur dann und wann glitt<lb/>
ein Lichtstrahl aus dem nahen Fenster über ihre Gestalt. Welche wunder¬<lb/>
samen Züge, so schön und edel, wie das Antlitz einer Madonna, und doch<lb/>
noch ganz übergössen von dem ersten ahnungslosen Zauber der Kinderseele.<lb/>
Dichter zog sie den Mantel an sich und enger schmiegte sie sich an den<lb/>
Gatten, die großen glänzenden Augen machten schüchtern die Runde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_180"> &#x201E;Warum ist Alles hier so schwarz", frug sie mit halblauter Stimme,<lb/>
&#x201E;die Mauern und die Gondeln und die Fluth; sieh nur die langen Koffern<lb/>
an, dort, unter dem Tuche, sie sehen wahrhaftig aus als wären es Särge."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_181"> Lächelnd beruhigte sie der Gemahl und löste die kleine weiße Hand, mit<lb/>
der sie ihn faßte, man sah es, wie ihre Finger sich unruhig bewegten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_182"> Und von neuem spähte sie ringsumher, an den Mauern empor und in<lb/>
die Fluth hinab. &#x201E;Nicht wahr. Fiesko und der Mohr, die waren in Genua,<lb/>
aber es gibt doch auch einen Mohren von Venedig und der Bravo, der mit<lb/>
dem Dolch hinter der Thüre steht......</p><lb/>
          <p xml:id="ID_183"> Der Professor lächelte grinsend; &#x201E;ich glaube gar Du fürchtest Dich",<lb/>
sprach der Gatte mit unerschütterlicher Ruhe &#x201E;aber Maria!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_184" next="#ID_185"> Auch der wälschen Matrone aus der Provinz begann es zu grauen, denn<lb/>
Furcht steckt an, sie rollte bedenklich die schwarzen Augen, es wäre doch fast<lb/>
besser gewesen, wenn jetzt ihr Mann, den sie sonst gern entbehrte, zur Stelle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] einem Labyrinthe enger Wasserstraßen, die sich endlos kreuzen und verwirren, wir wissen nimmermehr — Wohin? So etwa prägt sich der erste Eindruck aus, den wir empfangen, wenn wir zur Nacht mit dem Schnellzuge von Mestre kommen und von der stasiolie in die Stadt fahren. Kein Pferd, kein Wagen ist ringsum sichtbar, nur das dunkle Gewühl der Gondeln, die sich mit schlangenartiger Behendig¬ keit auseinander wirren; aller feste Boden schwindet unter den Füßen, nur die finstere schmiegsame Fluth ist da. aus der die verwitterten Häuser senkrecht emporsteigen. Der trübe dunkelfarbige Ton. den sie sogar am hellen Tage zeigen, steigert sich Nachts zur finstersten Oede. und die lange verworrene Fahrt hat wirklich etwas stygisch Beklommenes. Denn die Enttäuschung macht stumm. Wir fuhren in der Barke der „Luna", wo wir Wohnung nehmen wollten und das Bild jenes dunklen Weges bleibt mir in unvergeßlicher Er¬ innerung. Wir waren seltsam gemischt: ein deutscher Professor mit langem vernünftigem Gesicht, und eine mühsame alte Dame, die aus der italienischen Provinz kam. dazu ein junges Ehepaar, das wohl auf selner Hochzeitsreise war. Im Anfang ging das Geplauder ganz vergnüglich, aber je länger die Minuten und je enger die Gassen wurden, um so mehr ward der Druck des Unbehagens fühlbar. Unverwandt sah ich der jungen holden Frau ins An¬ gesicht, um das die goldenen Locken fielen, aber nur dann und wann glitt ein Lichtstrahl aus dem nahen Fenster über ihre Gestalt. Welche wunder¬ samen Züge, so schön und edel, wie das Antlitz einer Madonna, und doch noch ganz übergössen von dem ersten ahnungslosen Zauber der Kinderseele. Dichter zog sie den Mantel an sich und enger schmiegte sie sich an den Gatten, die großen glänzenden Augen machten schüchtern die Runde. „Warum ist Alles hier so schwarz", frug sie mit halblauter Stimme, „die Mauern und die Gondeln und die Fluth; sieh nur die langen Koffern an, dort, unter dem Tuche, sie sehen wahrhaftig aus als wären es Särge." Lächelnd beruhigte sie der Gemahl und löste die kleine weiße Hand, mit der sie ihn faßte, man sah es, wie ihre Finger sich unruhig bewegten. Und von neuem spähte sie ringsumher, an den Mauern empor und in die Fluth hinab. „Nicht wahr. Fiesko und der Mohr, die waren in Genua, aber es gibt doch auch einen Mohren von Venedig und der Bravo, der mit dem Dolch hinter der Thüre steht...... Der Professor lächelte grinsend; „ich glaube gar Du fürchtest Dich", sprach der Gatte mit unerschütterlicher Ruhe „aber Maria!" Auch der wälschen Matrone aus der Provinz begann es zu grauen, denn Furcht steckt an, sie rollte bedenklich die schwarzen Augen, es wäre doch fast besser gewesen, wenn jetzt ihr Mann, den sie sonst gern entbehrte, zur Stelle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/50>, abgerufen am 22.07.2024.