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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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dies zeigt sich eben jetzt, wo es sich um eine Umgestaltung der hessischen Ge¬
meindeordnung von 1834 handelt, welche in dem Verfassungsstreite sich als
ein Hauptstützpunkt erwiesen hatte. Dazu kommt, daß man sich an die Ent¬
scheidung durch Beamte ohne alle Zuziehung von Vertrauensmännern des
Volkes in Dingen, welche die communalständische Vertretung nichts angehen,
gar nicht gewöhnen kann, wie sich überhaupt die preußischen Beamten von
Anfang an in sehr einseitiger Weise informire haben. Die Enttäuschung in
Personen kommt dazu. Es steht fest, daß fast alle Führer im hessischen
Verfassungsstreite, denen man willig und vertrauensvoll Alles zu überlassen
Pflegte, in gewisser Weise schuld sind an jener nicht zum Heile des Landes
erfolgenden Art des Uebergangs in die preußischen Verhältnisse. Daß die¬
selben bei ihrer bezüglichen Handlungsweise in großartiger Weise dupirt wor¬
den sind, wird weniger beachtet, ist auch weniger bekannt. Auf diese Art
fast führerlos, war die liberale Partei allen Attaken ausgesetzt, ohne sich viel
helfen zu können, daher die enorme Gleichgültigkeit. Was insbesondere Kassel
betrifft, so trat nach 1866 der seit Jahren die Liberalen trennende Zwiespalt
immer offener hervor und erregte blos deshalb weniger Aufsehen, weil er
vorwiegend auf dem Gebiete der städtischen Interessen sich zeigte. Diejenige
"Partei", welche während des Verfassungsstreites durch stete und übel ange¬
brachte Friedensliebe so viel verdarb, während durch Entschiedenheit mehr hätte
erreicht werden können, welche serner 1866 nicht schnell genug in das preußi¬
sche Lager übergehen konnte, während bei Vorsicht und Klugheit sich vieles
günstiger bei dem Uebergange hätte gestalten können, war seitdem lange Zeit
in den Angelegenheiten der Stadt Kassel am Ruder und hat durch die künst¬
liche Art und Weise, wie sie, künftigen Generationen voraneilend, das Wachs¬
thum der Stadt mittelst großartiger, durch die vorhandenen Verhältnisse, ins¬
besondere die Aufwandsfähigkeit der Bürger keineswegs angezeigter Anlagen
unnatürlich zu heben suchte, solche Entrüstung hervorgerufen, daß sie bei den
am 6. August d. I. stattgehabten Neuwahlen des Bürgerausschusses schmäh¬
lich unterlag, obwohl ihren Gegnern kein liberales Preßorgan zur Verfügung
stand und sich nur aus Spekulation der kurfürstlich-demokratische "N. Kass.
Anz.". wie früher die volksparteiliche "Hess. Volks-Ztg.", der vernünftigeren
Sache angenommen hatte. Nachdem durch die erwähnte Wendung der Ver.
Hältnisse in Kassel ein guter Anfang zum Obsiege der alten hessischen Vorsicht
und Bedächtigkeit gemacht worden, ist einige Hoffnung auf Wiederkehr grö¬
ßeren Interesses an öffentlichen Dingen zu erhoffen, ohne das Hessen seine
Stelle in der gemeinsamen Arbeit der deutschen Volksstämme nicht aus¬
füllen kann.




dies zeigt sich eben jetzt, wo es sich um eine Umgestaltung der hessischen Ge¬
meindeordnung von 1834 handelt, welche in dem Verfassungsstreite sich als
ein Hauptstützpunkt erwiesen hatte. Dazu kommt, daß man sich an die Ent¬
scheidung durch Beamte ohne alle Zuziehung von Vertrauensmännern des
Volkes in Dingen, welche die communalständische Vertretung nichts angehen,
gar nicht gewöhnen kann, wie sich überhaupt die preußischen Beamten von
Anfang an in sehr einseitiger Weise informire haben. Die Enttäuschung in
Personen kommt dazu. Es steht fest, daß fast alle Führer im hessischen
Verfassungsstreite, denen man willig und vertrauensvoll Alles zu überlassen
Pflegte, in gewisser Weise schuld sind an jener nicht zum Heile des Landes
erfolgenden Art des Uebergangs in die preußischen Verhältnisse. Daß die¬
selben bei ihrer bezüglichen Handlungsweise in großartiger Weise dupirt wor¬
den sind, wird weniger beachtet, ist auch weniger bekannt. Auf diese Art
fast führerlos, war die liberale Partei allen Attaken ausgesetzt, ohne sich viel
helfen zu können, daher die enorme Gleichgültigkeit. Was insbesondere Kassel
betrifft, so trat nach 1866 der seit Jahren die Liberalen trennende Zwiespalt
immer offener hervor und erregte blos deshalb weniger Aufsehen, weil er
vorwiegend auf dem Gebiete der städtischen Interessen sich zeigte. Diejenige
„Partei", welche während des Verfassungsstreites durch stete und übel ange¬
brachte Friedensliebe so viel verdarb, während durch Entschiedenheit mehr hätte
erreicht werden können, welche serner 1866 nicht schnell genug in das preußi¬
sche Lager übergehen konnte, während bei Vorsicht und Klugheit sich vieles
günstiger bei dem Uebergange hätte gestalten können, war seitdem lange Zeit
in den Angelegenheiten der Stadt Kassel am Ruder und hat durch die künst¬
liche Art und Weise, wie sie, künftigen Generationen voraneilend, das Wachs¬
thum der Stadt mittelst großartiger, durch die vorhandenen Verhältnisse, ins¬
besondere die Aufwandsfähigkeit der Bürger keineswegs angezeigter Anlagen
unnatürlich zu heben suchte, solche Entrüstung hervorgerufen, daß sie bei den
am 6. August d. I. stattgehabten Neuwahlen des Bürgerausschusses schmäh¬
lich unterlag, obwohl ihren Gegnern kein liberales Preßorgan zur Verfügung
stand und sich nur aus Spekulation der kurfürstlich-demokratische „N. Kass.
Anz.". wie früher die volksparteiliche „Hess. Volks-Ztg.", der vernünftigeren
Sache angenommen hatte. Nachdem durch die erwähnte Wendung der Ver.
Hältnisse in Kassel ein guter Anfang zum Obsiege der alten hessischen Vorsicht
und Bedächtigkeit gemacht worden, ist einige Hoffnung auf Wiederkehr grö¬
ßeren Interesses an öffentlichen Dingen zu erhoffen, ohne das Hessen seine
Stelle in der gemeinsamen Arbeit der deutschen Volksstämme nicht aus¬
füllen kann.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/487>, abgerufen am 22.07.2024.