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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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welcher stets am meisten für die Förderung des Gemeinstnns thätig war,
müssen die Anstrengungen noch größer werden.

Bei solch auffallender Lässigkeit der Nationalliberalen kann es nicht
Wunder nehmen, daß partikularistische und reichsfeindliche Elemente, die gün¬
stige Gelegenheit ergreifend, sich in den Vordergrund drängten. Das erstere
war der Adel, das andere die Socialisten und die sog. Agrarier. Der hessische
Adel ist sehr arm und verdient nicht im geringsten wegen seines Grund¬
besitzes politisch besonders berücksichtigt zu werden. Gleichwohl war ihm seit
1831 in der Landesvertretung eine besondere Stellung eingeräumt, bis die
Gesetzgebung von 1848 dieses Vorrecht mehr mit den thatsächlichen Verhält¬
nissen in Einklang brachte. In der Reactionszeit wieder bevorzugt, dankte
er dies der Regierung nicht, verfolgte nur egoistische Zwecke und betheiligte
sich auch am Verfassungskampfe nicht. Bei Herstellung der Verfassung stellte
bekanntlich der Bundestag das seltsame Verlangen, daß dem Adel wieder
Zutritt in die Landesvertretung verschafft würde. Die Ständeversammlung
that dies 1863 mit größtem Widerstreben und vieler Selbstüberwindung.
Seitdem hat sich der Adel in Hessen ungebührlich breit zu machen verstanden.
Er setzte in der Berliner Versammlung der hessischen Vertrauensmänner 1867
in Verbindung mit bäuerlichen Großgrundbesitz eine Vertretung nach Ständen
in dem Communallandtage durch, erhielt hier stets das Präsidium und ver¬
schaffte sich durch geschickte Benutzung der innerhalb der liberalen Abgeordneten
herrschenden Zwistigkeiten sowie durch die ihm günstige Art der Organisirung
der ständischen Verwaltung großen Einfluß auf letztere d. h. auf die Gestaltung
der wichtigsten speciell hessischen Angelegenheiten. Die Herren v. Milchling,
v. d. Malsburg, Graf Berlepsch und Andere dominiren auf Kosten der
Liberalen in dem ständischen Verwaltungsausschusse und wußten durch stete
Verbindung mit bäuerlichen Elementen am 4. Juli 1871 sogar die Wahl
eines der ihrigen, des Herren von Bischoffshausen, zum Landesdirector durch¬
zusetzen. Diese Wahl war liberaler Seits stark bekämpft, weil man glaubte,
daß dieser Herr als langjähriger Regierungsbeamter nicht geeignet sei. der
neuen Selbstverwaltung des Landes vorzustehen. Auf solche Art allmählich
wieder sehr in Scene gesetzt, wagte der Adel bei allen Wahlen der letzten
Jahre in mehreren Bezirken den liberalen Candidaten entgegenzuwirken und
scheute sich zu diesem Zwecke nicht, mit den Agrariern eine Verbindung ein¬
zugehen, welche ihrerseits wieder mit der Partei der rennenden Geistlichen,
den Ultramontanen und dem noch kurfürstlich gesinnten Theile des Adels
zusammenhängen. Die Agrarier sind von Außen importirt. Der - bekannte
Herr Niendorf und seine Genossen fingen mit ihren Ansichten über Hebung
der Landwirthschaft Gimpel in Hessen und wurden ihre Ansichten daselbst
durch bäuerliche Elemente aus eine unglaublich verschrobene Weise ausgelegt.


welcher stets am meisten für die Förderung des Gemeinstnns thätig war,
müssen die Anstrengungen noch größer werden.

Bei solch auffallender Lässigkeit der Nationalliberalen kann es nicht
Wunder nehmen, daß partikularistische und reichsfeindliche Elemente, die gün¬
stige Gelegenheit ergreifend, sich in den Vordergrund drängten. Das erstere
war der Adel, das andere die Socialisten und die sog. Agrarier. Der hessische
Adel ist sehr arm und verdient nicht im geringsten wegen seines Grund¬
besitzes politisch besonders berücksichtigt zu werden. Gleichwohl war ihm seit
1831 in der Landesvertretung eine besondere Stellung eingeräumt, bis die
Gesetzgebung von 1848 dieses Vorrecht mehr mit den thatsächlichen Verhält¬
nissen in Einklang brachte. In der Reactionszeit wieder bevorzugt, dankte
er dies der Regierung nicht, verfolgte nur egoistische Zwecke und betheiligte
sich auch am Verfassungskampfe nicht. Bei Herstellung der Verfassung stellte
bekanntlich der Bundestag das seltsame Verlangen, daß dem Adel wieder
Zutritt in die Landesvertretung verschafft würde. Die Ständeversammlung
that dies 1863 mit größtem Widerstreben und vieler Selbstüberwindung.
Seitdem hat sich der Adel in Hessen ungebührlich breit zu machen verstanden.
Er setzte in der Berliner Versammlung der hessischen Vertrauensmänner 1867
in Verbindung mit bäuerlichen Großgrundbesitz eine Vertretung nach Ständen
in dem Communallandtage durch, erhielt hier stets das Präsidium und ver¬
schaffte sich durch geschickte Benutzung der innerhalb der liberalen Abgeordneten
herrschenden Zwistigkeiten sowie durch die ihm günstige Art der Organisirung
der ständischen Verwaltung großen Einfluß auf letztere d. h. auf die Gestaltung
der wichtigsten speciell hessischen Angelegenheiten. Die Herren v. Milchling,
v. d. Malsburg, Graf Berlepsch und Andere dominiren auf Kosten der
Liberalen in dem ständischen Verwaltungsausschusse und wußten durch stete
Verbindung mit bäuerlichen Elementen am 4. Juli 1871 sogar die Wahl
eines der ihrigen, des Herren von Bischoffshausen, zum Landesdirector durch¬
zusetzen. Diese Wahl war liberaler Seits stark bekämpft, weil man glaubte,
daß dieser Herr als langjähriger Regierungsbeamter nicht geeignet sei. der
neuen Selbstverwaltung des Landes vorzustehen. Auf solche Art allmählich
wieder sehr in Scene gesetzt, wagte der Adel bei allen Wahlen der letzten
Jahre in mehreren Bezirken den liberalen Candidaten entgegenzuwirken und
scheute sich zu diesem Zwecke nicht, mit den Agrariern eine Verbindung ein¬
zugehen, welche ihrerseits wieder mit der Partei der rennenden Geistlichen,
den Ultramontanen und dem noch kurfürstlich gesinnten Theile des Adels
zusammenhängen. Die Agrarier sind von Außen importirt. Der - bekannte
Herr Niendorf und seine Genossen fingen mit ihren Ansichten über Hebung
der Landwirthschaft Gimpel in Hessen und wurden ihre Ansichten daselbst
durch bäuerliche Elemente aus eine unglaublich verschrobene Weise ausgelegt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/485>, abgerufen am 22.07.2024.