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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Neuß. Jetzt ward ein Reichsheer zusammengebracht, zu dem namentlich die
Städte bereitwillig Zuzug leisteten, weil sie in dem Zwingherrn von Gent und
Lüttich ihren natürlichen Feind sahen. Aber im Moment der Entscheidung
als Karl schon zurückgewichen war, ließ sich der Schwachmüthige Kaiser durch
päpstliche Intervention zu einem Vergleiche bereden (15. Juni 1475). Wieder
war die burgundische Erbin der Hauptpreis des schmählichen Handels; des El-
saßes, der Schweiz, wo bereits, wie wir gleich sehen werden, ein Zusammen¬
stoß erfolgt war, wurde dabei nicht gedacht. Der Kaiser, das Reich gaben
sie preis; von hier war also für die nationale Sache keine Hülfe zu hoffen. --

Wie im Norden die Kölner Wirren, so boten in Oberdeutschland die
Kämpfe zwischen Oesterreich und den Schweizern den ersten Grund zur Ein¬
mischung. Erzherzog Sigismund hatte, um Geld zu den Schweizerkriegen zu
gewinnen, den Oberelsaß und einen Theil seiner rechtsrheinischen Besitzungen
an Herzog Karl pfandweise überlassen. Dieser setzte über die Pfandlande seinen
Rath Peter von Hagenbach, Edlen aus dem Sundgau, einen Mann von herri¬
schem rücksichtslosem Wesen und ausschweifenden Sitten, der die Rohheit seiner
welschen Söldner rücksichtsloß gewähren ließ. Er griff willkürlich in die Ver¬
fassung der Städte und Lande ein, erhob neue Steuern, erhöhte die Zölle
und bedrohte mit seinen Lustgenossen selbst die Reinheit des Familienlebens.
Ein Zug der tiefsten Empörung gegen das burgundische Wesen ging durch
die obern Lande. Die Sendlinge Ludwig's XI. durchzogen die Städte und schürten
überall. Die Eidgenossen, besonders das mächtige Bern, wurden von allen
Seiten umworben, von Burgund wie von Oesterreich und Frankreich. Zu
nächst schlossen sich die Bischöfe und Städte des Oberelsaß, Straßburg. Colmar,
Schlettstadt, Basel, denen die Gefahr am nächsten war, zu der sogenannten
"niederen Vereinigung" zusammen (147,'Z). Dieser traten auf einem Tage zu
Constanz (April 1474) die Eidgenossen bei, während sie mit Oesterreich eben
daselbst die sogenannte "ewige Richtung," mit Frankreich und Lothringen
die "obere Vereinigung" schlossen. So war denn der große Bund zu Stande
gebracht, an dem des Burgunders Macht zerschellen sollte. Der zweihundertsäh-
rige Groll zwischen Habsburg und den Waldstätten war vor der gemeinsa¬
men, nationalen Gefahr dahingeschmolzen. Die Eidgenossen aber nahmen in
dem Bunde eine wohlberechtigte Ehrenstellung ein, die sie einzig ihrer kriege¬
rischen Tüchtigkeit und dem Ruhm ihrer Thaten verdankten. Sie waren es
auch, die die nationale Aufgabe des Bundes am tiefsten erfaßt hatten, indem
sie erklärten, gegen den Herzog als "den Feind gemeiner deutscher Nation"
zu Felde ziehen zu wollen. Ein Hauch allgemeiner Begeisterung durchflog
die Lande. Man begeisterte sich für den edlen Erzherzog, der den Rath seiner
kriegs- und raublustigen Hofgesellen verachtet und sich den frommen und biderben
Eidgenossen zugewendet habe. Man erwartete von diesem Bündnisse nicht


Neuß. Jetzt ward ein Reichsheer zusammengebracht, zu dem namentlich die
Städte bereitwillig Zuzug leisteten, weil sie in dem Zwingherrn von Gent und
Lüttich ihren natürlichen Feind sahen. Aber im Moment der Entscheidung
als Karl schon zurückgewichen war, ließ sich der Schwachmüthige Kaiser durch
päpstliche Intervention zu einem Vergleiche bereden (15. Juni 1475). Wieder
war die burgundische Erbin der Hauptpreis des schmählichen Handels; des El-
saßes, der Schweiz, wo bereits, wie wir gleich sehen werden, ein Zusammen¬
stoß erfolgt war, wurde dabei nicht gedacht. Der Kaiser, das Reich gaben
sie preis; von hier war also für die nationale Sache keine Hülfe zu hoffen. —

Wie im Norden die Kölner Wirren, so boten in Oberdeutschland die
Kämpfe zwischen Oesterreich und den Schweizern den ersten Grund zur Ein¬
mischung. Erzherzog Sigismund hatte, um Geld zu den Schweizerkriegen zu
gewinnen, den Oberelsaß und einen Theil seiner rechtsrheinischen Besitzungen
an Herzog Karl pfandweise überlassen. Dieser setzte über die Pfandlande seinen
Rath Peter von Hagenbach, Edlen aus dem Sundgau, einen Mann von herri¬
schem rücksichtslosem Wesen und ausschweifenden Sitten, der die Rohheit seiner
welschen Söldner rücksichtsloß gewähren ließ. Er griff willkürlich in die Ver¬
fassung der Städte und Lande ein, erhob neue Steuern, erhöhte die Zölle
und bedrohte mit seinen Lustgenossen selbst die Reinheit des Familienlebens.
Ein Zug der tiefsten Empörung gegen das burgundische Wesen ging durch
die obern Lande. Die Sendlinge Ludwig's XI. durchzogen die Städte und schürten
überall. Die Eidgenossen, besonders das mächtige Bern, wurden von allen
Seiten umworben, von Burgund wie von Oesterreich und Frankreich. Zu
nächst schlossen sich die Bischöfe und Städte des Oberelsaß, Straßburg. Colmar,
Schlettstadt, Basel, denen die Gefahr am nächsten war, zu der sogenannten
„niederen Vereinigung" zusammen (147,'Z). Dieser traten auf einem Tage zu
Constanz (April 1474) die Eidgenossen bei, während sie mit Oesterreich eben
daselbst die sogenannte „ewige Richtung," mit Frankreich und Lothringen
die „obere Vereinigung" schlossen. So war denn der große Bund zu Stande
gebracht, an dem des Burgunders Macht zerschellen sollte. Der zweihundertsäh-
rige Groll zwischen Habsburg und den Waldstätten war vor der gemeinsa¬
men, nationalen Gefahr dahingeschmolzen. Die Eidgenossen aber nahmen in
dem Bunde eine wohlberechtigte Ehrenstellung ein, die sie einzig ihrer kriege¬
rischen Tüchtigkeit und dem Ruhm ihrer Thaten verdankten. Sie waren es
auch, die die nationale Aufgabe des Bundes am tiefsten erfaßt hatten, indem
sie erklärten, gegen den Herzog als „den Feind gemeiner deutscher Nation"
zu Felde ziehen zu wollen. Ein Hauch allgemeiner Begeisterung durchflog
die Lande. Man begeisterte sich für den edlen Erzherzog, der den Rath seiner
kriegs- und raublustigen Hofgesellen verachtet und sich den frommen und biderben
Eidgenossen zugewendet habe. Man erwartete von diesem Bündnisse nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/470>, abgerufen am 22.07.2024.