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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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verschenkt. Gegen barbarische Behandlung , ja gegen Todesdrohungen fand
der unglückliche Diener nicht den mindesten Rechtsschutz. Als Butzbach einmal
fälschlicherweise des Diebstahls von Mandeln und Feigen beschuldigt wurde,
da ließ ihn sein Herr nackt ausziehen "und dann von vier Bauern so lange
mit Ruthen peitschen, bis überall das Blut aus der Haut hervorspritzte".
Als er beim Reiten ungeschickt sich bewies, hieb ihn sein Herr mit der Peitsche
"jämmerlich" durch. Selbst mit dem Tode wurde er bedroht und er erlebte
auch wirklich einmal die Hinrichtung eines Dieners auf den Befehl seines
Herrn. Und dabei wurden diese herrschaftlichen Bedienten immer noch besser
behandelt, als die gewöhnlichen Knechte. "Man läßt ihnen bessere Tage zu¬
kommen als den Knechten; will man anders das "gute Tage" nennen, wenn
man einem Herrn mit Furcht und Schrecken dienen muß, keinen Augenblick
für sich frei hat zur Erholung, wornach man doch als junger Mensch so
sehr verlangt, wenn man fast bei jedem Worte des Herrn zitternd seine Knie
beugen, dessen Jähzorn bisweilen mit aller Gelassenheit ertragen, harte oder
schimpfliche Befehle und selbst Schläge über sich ergehen lassen muß."

Daß die Behandlung der Unterthanen, d. h. der Bauern ebenfalls im
höchsten Maße willkürlich war, ist so selbstverständlich, daß Butzbach davon
kaum spricht. Sie war damals freilich nirgends besser. Der Bauer war leib¬
eigen oder hörig, an die Scholle gefesselt, unter der Gerichtsbarkeit seines Guts¬
herrn jeder Nichtswürdigkeit preisgegeben. Trotzdem gedieh unter dem Land¬
volke in dem Lande, das "an allen Lebensbedürfnissen Ueberfluß" hatte, oft
ein gewisser Wohlstand. So kannte Butzbach einen Müller, der außer seinem
Müllergeschäfte "täglich fünfzehn vierspännige Pflüge mit je zwei Knechten
auf seinen Ländereien gehen hatte". Die Dörfer waren freilich über die Maßen
schmutzig. Die Häuser bestanden, wie noch jetzt, aus übereinandergelegten
Baumstämmen; ihr Hauptraum enthielt vor allem einen colossalen Ofen,
(ohne Rauchfang), der am Morgen mit Holz geheizt wurde, dabei übrigens
so rauchte, daß kein Mensch im Hause es auszuhalten vermochte, aber
dann auch den ganzen Tag aushielt. Zur Beleuchtung dienten Kien-
spähne. Sehr viel hielt der böhmische Bauer auf die Pflege seines Leibes.
"Das gewöhnliche Volk hat selten bei der Mittags- und Abendmahlzeit
weniger als vier Gerichte, zur Sommerzeit überdies noch Morgens als Früh¬
stück Klöße mit buttergebackenen Eiern und Käse; obendrein nehmen sie
außer dem Mittagsmahl noch des Nachmittags als Vesperbrod sowie zum
Nachtessen Käse und Brod mit Milch." Ganz unglaublich erschien Butzbach
die Menge von "Blatz" (Weißbrod), die ein böhmischer Bauer zu vertilgen
vermochte, wenn er etwa in einem städtischen Wirthshause zur Jahrmarkts¬
zeit sich gütlich that. Dagegen fand er, daß die Böhmen im Trinken mäßi¬
ger seien als zumal die Norddeutschen, obwohl er ihr Bier als ganz vorzüg-


Grenzboten III. 1874. 58

verschenkt. Gegen barbarische Behandlung , ja gegen Todesdrohungen fand
der unglückliche Diener nicht den mindesten Rechtsschutz. Als Butzbach einmal
fälschlicherweise des Diebstahls von Mandeln und Feigen beschuldigt wurde,
da ließ ihn sein Herr nackt ausziehen „und dann von vier Bauern so lange
mit Ruthen peitschen, bis überall das Blut aus der Haut hervorspritzte".
Als er beim Reiten ungeschickt sich bewies, hieb ihn sein Herr mit der Peitsche
„jämmerlich" durch. Selbst mit dem Tode wurde er bedroht und er erlebte
auch wirklich einmal die Hinrichtung eines Dieners auf den Befehl seines
Herrn. Und dabei wurden diese herrschaftlichen Bedienten immer noch besser
behandelt, als die gewöhnlichen Knechte. „Man läßt ihnen bessere Tage zu¬
kommen als den Knechten; will man anders das „gute Tage" nennen, wenn
man einem Herrn mit Furcht und Schrecken dienen muß, keinen Augenblick
für sich frei hat zur Erholung, wornach man doch als junger Mensch so
sehr verlangt, wenn man fast bei jedem Worte des Herrn zitternd seine Knie
beugen, dessen Jähzorn bisweilen mit aller Gelassenheit ertragen, harte oder
schimpfliche Befehle und selbst Schläge über sich ergehen lassen muß."

Daß die Behandlung der Unterthanen, d. h. der Bauern ebenfalls im
höchsten Maße willkürlich war, ist so selbstverständlich, daß Butzbach davon
kaum spricht. Sie war damals freilich nirgends besser. Der Bauer war leib¬
eigen oder hörig, an die Scholle gefesselt, unter der Gerichtsbarkeit seines Guts¬
herrn jeder Nichtswürdigkeit preisgegeben. Trotzdem gedieh unter dem Land¬
volke in dem Lande, das „an allen Lebensbedürfnissen Ueberfluß" hatte, oft
ein gewisser Wohlstand. So kannte Butzbach einen Müller, der außer seinem
Müllergeschäfte „täglich fünfzehn vierspännige Pflüge mit je zwei Knechten
auf seinen Ländereien gehen hatte". Die Dörfer waren freilich über die Maßen
schmutzig. Die Häuser bestanden, wie noch jetzt, aus übereinandergelegten
Baumstämmen; ihr Hauptraum enthielt vor allem einen colossalen Ofen,
(ohne Rauchfang), der am Morgen mit Holz geheizt wurde, dabei übrigens
so rauchte, daß kein Mensch im Hause es auszuhalten vermochte, aber
dann auch den ganzen Tag aushielt. Zur Beleuchtung dienten Kien-
spähne. Sehr viel hielt der böhmische Bauer auf die Pflege seines Leibes.
„Das gewöhnliche Volk hat selten bei der Mittags- und Abendmahlzeit
weniger als vier Gerichte, zur Sommerzeit überdies noch Morgens als Früh¬
stück Klöße mit buttergebackenen Eiern und Käse; obendrein nehmen sie
außer dem Mittagsmahl noch des Nachmittags als Vesperbrod sowie zum
Nachtessen Käse und Brod mit Milch." Ganz unglaublich erschien Butzbach
die Menge von „Blatz" (Weißbrod), die ein böhmischer Bauer zu vertilgen
vermochte, wenn er etwa in einem städtischen Wirthshause zur Jahrmarkts¬
zeit sich gütlich that. Dagegen fand er, daß die Böhmen im Trinken mäßi¬
ger seien als zumal die Norddeutschen, obwohl er ihr Bier als ganz vorzüg-


Grenzboten III. 1874. 58
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[0465] verschenkt. Gegen barbarische Behandlung , ja gegen Todesdrohungen fand der unglückliche Diener nicht den mindesten Rechtsschutz. Als Butzbach einmal fälschlicherweise des Diebstahls von Mandeln und Feigen beschuldigt wurde, da ließ ihn sein Herr nackt ausziehen „und dann von vier Bauern so lange mit Ruthen peitschen, bis überall das Blut aus der Haut hervorspritzte". Als er beim Reiten ungeschickt sich bewies, hieb ihn sein Herr mit der Peitsche „jämmerlich" durch. Selbst mit dem Tode wurde er bedroht und er erlebte auch wirklich einmal die Hinrichtung eines Dieners auf den Befehl seines Herrn. Und dabei wurden diese herrschaftlichen Bedienten immer noch besser behandelt, als die gewöhnlichen Knechte. „Man läßt ihnen bessere Tage zu¬ kommen als den Knechten; will man anders das „gute Tage" nennen, wenn man einem Herrn mit Furcht und Schrecken dienen muß, keinen Augenblick für sich frei hat zur Erholung, wornach man doch als junger Mensch so sehr verlangt, wenn man fast bei jedem Worte des Herrn zitternd seine Knie beugen, dessen Jähzorn bisweilen mit aller Gelassenheit ertragen, harte oder schimpfliche Befehle und selbst Schläge über sich ergehen lassen muß." Daß die Behandlung der Unterthanen, d. h. der Bauern ebenfalls im höchsten Maße willkürlich war, ist so selbstverständlich, daß Butzbach davon kaum spricht. Sie war damals freilich nirgends besser. Der Bauer war leib¬ eigen oder hörig, an die Scholle gefesselt, unter der Gerichtsbarkeit seines Guts¬ herrn jeder Nichtswürdigkeit preisgegeben. Trotzdem gedieh unter dem Land¬ volke in dem Lande, das „an allen Lebensbedürfnissen Ueberfluß" hatte, oft ein gewisser Wohlstand. So kannte Butzbach einen Müller, der außer seinem Müllergeschäfte „täglich fünfzehn vierspännige Pflüge mit je zwei Knechten auf seinen Ländereien gehen hatte". Die Dörfer waren freilich über die Maßen schmutzig. Die Häuser bestanden, wie noch jetzt, aus übereinandergelegten Baumstämmen; ihr Hauptraum enthielt vor allem einen colossalen Ofen, (ohne Rauchfang), der am Morgen mit Holz geheizt wurde, dabei übrigens so rauchte, daß kein Mensch im Hause es auszuhalten vermochte, aber dann auch den ganzen Tag aushielt. Zur Beleuchtung dienten Kien- spähne. Sehr viel hielt der böhmische Bauer auf die Pflege seines Leibes. „Das gewöhnliche Volk hat selten bei der Mittags- und Abendmahlzeit weniger als vier Gerichte, zur Sommerzeit überdies noch Morgens als Früh¬ stück Klöße mit buttergebackenen Eiern und Käse; obendrein nehmen sie außer dem Mittagsmahl noch des Nachmittags als Vesperbrod sowie zum Nachtessen Käse und Brod mit Milch." Ganz unglaublich erschien Butzbach die Menge von „Blatz" (Weißbrod), die ein böhmischer Bauer zu vertilgen vermochte, wenn er etwa in einem städtischen Wirthshause zur Jahrmarkts¬ zeit sich gütlich that. Dagegen fand er, daß die Böhmen im Trinken mäßi¬ ger seien als zumal die Norddeutschen, obwohl er ihr Bier als ganz vorzüg- Grenzboten III. 1874. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/465>, abgerufen am 22.07.2024.