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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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bewohnern und Burgleuten, in den Wäldern und auf dem Lande zubrachte,
wo Gottesdienst nicht gehalten wurde."

Diese letztere Bemerkung beweist doch, daß damals der religiöse Aufschwung
der Hussitenzeit längst ermattet war. Auch ist aus Butzbach's Schilderung
gar nichts zu entnehmen von einer etwaigen sittlichen Reform durch die neue
Kirche; selbst dem deutschen Knaben, der selbst voll Aberglauben steckte und
fest an die Wirksamkeit des Teufels durch Zauberer und Hexen glaubte, war
das massenhafte Auftreten solcher Leute in Böhmen auffällig. So galt ein
"Graf", der bei Maschau (im Saazer Kreise) hauste, "ein böser, gottloser
und unbarmherziger Ketzer", als ein Schwarzkünstler; man traute ihm u. a.
zu, daß er mit Hilfe seiner Kunst den Aufenthaltsort eines^ geflüchteten
Dieners ausfindig gemacht habe. Butzbach selbst trat mehrmals^.mit Hexen
in Verbindung, das eine Mal, um sich vom Fieber heilen zu lassen, ein zweites
Mal, um so seine Flucht aus Böhmen zu bewerkstelligen. Die zuletzt befragte
Hexe wollte ihn "auf einer schwarzen Kuh -- über Wälder und Thäler und
Berge" nach Hause bringen. Man denkt, dabei unwillkürlich an Mephisto-
pheles' Zauberrosse. "Es giebt dort viele von diesem Geschlecht (der Hexen)"
fügt unser Autor hinzu. Auch böse Geister anderer Art trieben ihr Wesen
im Böhmerlande; sie zerstörten z. B. das Schloß eines der Schwarzkunst
kundigen Edelmannes, wahrscheinlich, weil er ihnen nicht zu willen ge¬
wesen war.

Das Alles deutet eher auf eine Verwilderung der religiösen Vorstellungen
hin, als auf eine Klärung durch die neue religiöse Richtung des Hussiten-
thums. Aber auch in anderen Beziehungen muß Böhmen damals den Ein¬
druck eines Barbarenlandes gemacht haben. Nun war auch in Deutschland
der damalige Adel nicht eben durch seine Bildung berühmt, sogar herzlich
roh von Sitten, aber der böhmische Adel erscheint doch ganz besonders bar¬
barisch. Wildes Jagen und Reiten, wüste Zechgelage und rohe Huldigungen
den Frauen gegenüber füllten seine Zeit aus, wenn sie nicht etwa durch den
höfischen Dienst beim König oder auf dem Schlosse eines bedeutenderen Edel¬
mannes oder durch die Geschäfte des Landbaues in Anspruch genommen
wurde. Oft genug hatte sich auf den adlichen Burgen auchZ eine wüste
Mätressenwirthschaft eingenistet oder der vornehme Herr warf seine begehr¬
lichen Blicke auf die jungen Töchter seiner armen Bauern. Ja dem Knaben
Butzbach machte einer seiner Herren sogar die Zumuthung, den Kuppler zu
spielen! Er that es nicht, sondern entfloh. Streitigkeiten schwererer Art
pflegten die Edelleute durch Zweikampf unter sich auszumachen, die zu Pferde
oder zu Fuß ausgefochten wurden. Ueber alle Maßen roh aber erscheint
doch die Behandlung der Untergebenen. Der arme Butzbach wurde zuerst
einfach von einem Edelmann? geraubt, dann wie ein Sklave "n einen andern


bewohnern und Burgleuten, in den Wäldern und auf dem Lande zubrachte,
wo Gottesdienst nicht gehalten wurde."

Diese letztere Bemerkung beweist doch, daß damals der religiöse Aufschwung
der Hussitenzeit längst ermattet war. Auch ist aus Butzbach's Schilderung
gar nichts zu entnehmen von einer etwaigen sittlichen Reform durch die neue
Kirche; selbst dem deutschen Knaben, der selbst voll Aberglauben steckte und
fest an die Wirksamkeit des Teufels durch Zauberer und Hexen glaubte, war
das massenhafte Auftreten solcher Leute in Böhmen auffällig. So galt ein
„Graf", der bei Maschau (im Saazer Kreise) hauste, „ein böser, gottloser
und unbarmherziger Ketzer", als ein Schwarzkünstler; man traute ihm u. a.
zu, daß er mit Hilfe seiner Kunst den Aufenthaltsort eines^ geflüchteten
Dieners ausfindig gemacht habe. Butzbach selbst trat mehrmals^.mit Hexen
in Verbindung, das eine Mal, um sich vom Fieber heilen zu lassen, ein zweites
Mal, um so seine Flucht aus Böhmen zu bewerkstelligen. Die zuletzt befragte
Hexe wollte ihn „auf einer schwarzen Kuh — über Wälder und Thäler und
Berge" nach Hause bringen. Man denkt, dabei unwillkürlich an Mephisto-
pheles' Zauberrosse. „Es giebt dort viele von diesem Geschlecht (der Hexen)"
fügt unser Autor hinzu. Auch böse Geister anderer Art trieben ihr Wesen
im Böhmerlande; sie zerstörten z. B. das Schloß eines der Schwarzkunst
kundigen Edelmannes, wahrscheinlich, weil er ihnen nicht zu willen ge¬
wesen war.

Das Alles deutet eher auf eine Verwilderung der religiösen Vorstellungen
hin, als auf eine Klärung durch die neue religiöse Richtung des Hussiten-
thums. Aber auch in anderen Beziehungen muß Böhmen damals den Ein¬
druck eines Barbarenlandes gemacht haben. Nun war auch in Deutschland
der damalige Adel nicht eben durch seine Bildung berühmt, sogar herzlich
roh von Sitten, aber der böhmische Adel erscheint doch ganz besonders bar¬
barisch. Wildes Jagen und Reiten, wüste Zechgelage und rohe Huldigungen
den Frauen gegenüber füllten seine Zeit aus, wenn sie nicht etwa durch den
höfischen Dienst beim König oder auf dem Schlosse eines bedeutenderen Edel¬
mannes oder durch die Geschäfte des Landbaues in Anspruch genommen
wurde. Oft genug hatte sich auf den adlichen Burgen auchZ eine wüste
Mätressenwirthschaft eingenistet oder der vornehme Herr warf seine begehr¬
lichen Blicke auf die jungen Töchter seiner armen Bauern. Ja dem Knaben
Butzbach machte einer seiner Herren sogar die Zumuthung, den Kuppler zu
spielen! Er that es nicht, sondern entfloh. Streitigkeiten schwererer Art
pflegten die Edelleute durch Zweikampf unter sich auszumachen, die zu Pferde
oder zu Fuß ausgefochten wurden. Ueber alle Maßen roh aber erscheint
doch die Behandlung der Untergebenen. Der arme Butzbach wurde zuerst
einfach von einem Edelmann? geraubt, dann wie ein Sklave «n einen andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/464>, abgerufen am 22.07.2024.