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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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großartige Schöpfung böhmischer Fürstenweisheit und deutschen Bürgerfleißes
fast völlig zerstörte, damit der Cultur des Landes überhaupt einen tödtlichen
Schlag versetzte und es auf Jahrzehnte fast gänzlich absperrte gegen Deutsch¬
land. Erst die blutige Reaktion der Habsburger und Jesuiten nach der
Schlacht am Weißen Berge (1620), der freilich vom deutschen Standpunkte
aus ebenso wenig Sympathie entgegengetragen werden kann, bahnte mit der
Vernichtung des tschechischen Uebergewichts auch dem Deutschthum den Weg
und half zur Herstellung der gegenwärtigen Sprachgrenze.

Wie es nach der Beilegung der hussitischen Unruhen in dem kirchlich
und national isolirten Böhmen ausgesehen hat, davon haben gelegentlich
Fremde Bericht gegeben, darunter kein Geringerer als Enea Silvio da Picco-
lomini. später Papst Pius II., welcher das Land als kaiserlicher Gesandter
i. I. 1451 flüchtig besuchte. Keiner aber hat Böhmen und seine Bewohner
in allen Schichten und fast in allen Gegenden genauer kennen gelernt, als
ein armer deutscher Knabe. Johannes Butzbach, 1478 zu Miltenberg
in Franken als Sohn armer Eltern geboren, besuchte zunächst die Schule
seiner Baterstadt und ging dann als zwölfjähriger Knabe mit einem älteren
Schüler auf die Wanderschaft. So kam er nach dem nördlichen Böhmen;
dort entlief er seinem Begleiter, der ihn zu schlecht traktirre, diente erst als
Kellner in einem Gasthause von Karlsbad, dann als Page verschiedenen
böhmischen Edelleuten, die ihn hart, ja barbarisch behandelten, bis er dem
letzten seiner Peiniger 1495 entlief und über Karlsbad und Nürnberg den
Rückweg in seine Heimath fand. Dort lernte er das Schneiderhandwerk und
kam dann als Klosterschneider nach Johannisberg im Rheingau. Aber sein
Drang nach der Wissenschaft führte ihn doch noch nach der berühmten Latein¬
schule zu Deventer in den Niederlanden und endlich fand er Ruhe von seinen
Wanderungen und Muße für seine Studien im Benediktinerkloster Laach bei
Coblenz (1500). Hier hat er i. I. 1506 zu Nutz und Frommen seines
Stiefbruders Philipp Drunck die Geschichte seines mühseligen Wanderlebens
aufgezeichnet unter dem Titel "Hodoporicon" *) (Wanderbüchlein) und hat
damit einen, überaus charakteristischen und interessanten Beitrag zur inneren
Geschichte seiner Zeit gegeben, der mit den bekannten, namentlich durch Frey-
tag's "Bilder aus der deutschen Vergangenheit (III)" auch weiteren Kreisen
zugänglich gewordenen Selbstbiographie des Thomas Platter vollkommen den
Vergleich aushält. In Laach ist er dann i. I. 1526 gestorben, erst 48 Jahre
alt, nachdem er als mönchischer Vertreter des Humanismus eine gewisse Be¬
deutung gewonnen.



*) Aus dem lateinischen Text übersetzt und herausgegeben von I. D. Becker unter dew
Titel: ., Chronica eines sah renden Schülers oder Wanderb nesteln d es Jo saures
Butzbach." Regensburg, Druck und Verlag von G. I. Manz. 18K9.

großartige Schöpfung böhmischer Fürstenweisheit und deutschen Bürgerfleißes
fast völlig zerstörte, damit der Cultur des Landes überhaupt einen tödtlichen
Schlag versetzte und es auf Jahrzehnte fast gänzlich absperrte gegen Deutsch¬
land. Erst die blutige Reaktion der Habsburger und Jesuiten nach der
Schlacht am Weißen Berge (1620), der freilich vom deutschen Standpunkte
aus ebenso wenig Sympathie entgegengetragen werden kann, bahnte mit der
Vernichtung des tschechischen Uebergewichts auch dem Deutschthum den Weg
und half zur Herstellung der gegenwärtigen Sprachgrenze.

Wie es nach der Beilegung der hussitischen Unruhen in dem kirchlich
und national isolirten Böhmen ausgesehen hat, davon haben gelegentlich
Fremde Bericht gegeben, darunter kein Geringerer als Enea Silvio da Picco-
lomini. später Papst Pius II., welcher das Land als kaiserlicher Gesandter
i. I. 1451 flüchtig besuchte. Keiner aber hat Böhmen und seine Bewohner
in allen Schichten und fast in allen Gegenden genauer kennen gelernt, als
ein armer deutscher Knabe. Johannes Butzbach, 1478 zu Miltenberg
in Franken als Sohn armer Eltern geboren, besuchte zunächst die Schule
seiner Baterstadt und ging dann als zwölfjähriger Knabe mit einem älteren
Schüler auf die Wanderschaft. So kam er nach dem nördlichen Böhmen;
dort entlief er seinem Begleiter, der ihn zu schlecht traktirre, diente erst als
Kellner in einem Gasthause von Karlsbad, dann als Page verschiedenen
böhmischen Edelleuten, die ihn hart, ja barbarisch behandelten, bis er dem
letzten seiner Peiniger 1495 entlief und über Karlsbad und Nürnberg den
Rückweg in seine Heimath fand. Dort lernte er das Schneiderhandwerk und
kam dann als Klosterschneider nach Johannisberg im Rheingau. Aber sein
Drang nach der Wissenschaft führte ihn doch noch nach der berühmten Latein¬
schule zu Deventer in den Niederlanden und endlich fand er Ruhe von seinen
Wanderungen und Muße für seine Studien im Benediktinerkloster Laach bei
Coblenz (1500). Hier hat er i. I. 1506 zu Nutz und Frommen seines
Stiefbruders Philipp Drunck die Geschichte seines mühseligen Wanderlebens
aufgezeichnet unter dem Titel „Hodoporicon" *) (Wanderbüchlein) und hat
damit einen, überaus charakteristischen und interessanten Beitrag zur inneren
Geschichte seiner Zeit gegeben, der mit den bekannten, namentlich durch Frey-
tag's „Bilder aus der deutschen Vergangenheit (III)" auch weiteren Kreisen
zugänglich gewordenen Selbstbiographie des Thomas Platter vollkommen den
Vergleich aushält. In Laach ist er dann i. I. 1526 gestorben, erst 48 Jahre
alt, nachdem er als mönchischer Vertreter des Humanismus eine gewisse Be¬
deutung gewonnen.



*) Aus dem lateinischen Text übersetzt und herausgegeben von I. D. Becker unter dew
Titel: ., Chronica eines sah renden Schülers oder Wanderb nesteln d es Jo saures
Butzbach." Regensburg, Druck und Verlag von G. I. Manz. 18K9.
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[0462] großartige Schöpfung böhmischer Fürstenweisheit und deutschen Bürgerfleißes fast völlig zerstörte, damit der Cultur des Landes überhaupt einen tödtlichen Schlag versetzte und es auf Jahrzehnte fast gänzlich absperrte gegen Deutsch¬ land. Erst die blutige Reaktion der Habsburger und Jesuiten nach der Schlacht am Weißen Berge (1620), der freilich vom deutschen Standpunkte aus ebenso wenig Sympathie entgegengetragen werden kann, bahnte mit der Vernichtung des tschechischen Uebergewichts auch dem Deutschthum den Weg und half zur Herstellung der gegenwärtigen Sprachgrenze. Wie es nach der Beilegung der hussitischen Unruhen in dem kirchlich und national isolirten Böhmen ausgesehen hat, davon haben gelegentlich Fremde Bericht gegeben, darunter kein Geringerer als Enea Silvio da Picco- lomini. später Papst Pius II., welcher das Land als kaiserlicher Gesandter i. I. 1451 flüchtig besuchte. Keiner aber hat Böhmen und seine Bewohner in allen Schichten und fast in allen Gegenden genauer kennen gelernt, als ein armer deutscher Knabe. Johannes Butzbach, 1478 zu Miltenberg in Franken als Sohn armer Eltern geboren, besuchte zunächst die Schule seiner Baterstadt und ging dann als zwölfjähriger Knabe mit einem älteren Schüler auf die Wanderschaft. So kam er nach dem nördlichen Böhmen; dort entlief er seinem Begleiter, der ihn zu schlecht traktirre, diente erst als Kellner in einem Gasthause von Karlsbad, dann als Page verschiedenen böhmischen Edelleuten, die ihn hart, ja barbarisch behandelten, bis er dem letzten seiner Peiniger 1495 entlief und über Karlsbad und Nürnberg den Rückweg in seine Heimath fand. Dort lernte er das Schneiderhandwerk und kam dann als Klosterschneider nach Johannisberg im Rheingau. Aber sein Drang nach der Wissenschaft führte ihn doch noch nach der berühmten Latein¬ schule zu Deventer in den Niederlanden und endlich fand er Ruhe von seinen Wanderungen und Muße für seine Studien im Benediktinerkloster Laach bei Coblenz (1500). Hier hat er i. I. 1506 zu Nutz und Frommen seines Stiefbruders Philipp Drunck die Geschichte seines mühseligen Wanderlebens aufgezeichnet unter dem Titel „Hodoporicon" *) (Wanderbüchlein) und hat damit einen, überaus charakteristischen und interessanten Beitrag zur inneren Geschichte seiner Zeit gegeben, der mit den bekannten, namentlich durch Frey- tag's „Bilder aus der deutschen Vergangenheit (III)" auch weiteren Kreisen zugänglich gewordenen Selbstbiographie des Thomas Platter vollkommen den Vergleich aushält. In Laach ist er dann i. I. 1526 gestorben, erst 48 Jahre alt, nachdem er als mönchischer Vertreter des Humanismus eine gewisse Be¬ deutung gewonnen. *) Aus dem lateinischen Text übersetzt und herausgegeben von I. D. Becker unter dew Titel: ., Chronica eines sah renden Schülers oder Wanderb nesteln d es Jo saures Butzbach." Regensburg, Druck und Verlag von G. I. Manz. 18K9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/462>, abgerufen am 22.07.2024.