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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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werthvolle Buch, welches seine Aufgabe vor fast drei Jahrhunderten schon ein¬
mal erfüllt hat, nach seiner Auferstehung von den Todten, seine neue Aufgabe
als Musterbuch zu dienen und den Geschmack des Publicums zu bilden, noch¬
mals in recht reichlichem Maße erfüllen!


R. Berg an.


Inder aus Mecklenburg.
1. Der Klageschein.
Von
Hugo Gaedcke.

Zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten oder eigenthümlichen Berech¬
tigungen in dem gesegneten Mecklenburg gehört auch die Ertheilung eines
Klagescheins. Will z. B. ein unglückseliger Schuhmacher den Hauslehrer, die
Wirthschafterin oder eine andere Persönlichkeit auf dem Rittergut Pritzelwitz
wegen einer Forderung gerichtlich zur endlichen Zahlung veranlassen, so ist
diese Klage von ihm bei dem Patrimonialgerichte des Rittergutsbesitzers von
Jtzelwitz auf Pritzelwitz anzustellen. Dieser Herr hat über alle seine Gutsein¬
wohner die Gerichtsherrlichkeit, soweit nicht ausnahmsweise einem Gutsein¬
wohner ein Privilegium hiergegen zusteht.

Hat der Hauslehrer z. B. dasjenige Examen bestanden, welches ihm die
Befugniß zum Predigen giebt, so steht er als tentirter Candidat des Predigt¬
amtes unter der hohen Großherzoglichen Justiz - Canzlei. Für den armen
Schuster und Gläubiger dieses Candidaten ist es nun freilich ein schweres
Stück, darüber klar zu werden, ob sein studirter Schuldner ein simpler Kan¬
didat oder ein tentirter Candidat des Predigtamtes ist. Er muß hierüber
den Staatskalender zu Hilfe ziehen. Dieses officielle Register führt auch die
sämmtlichen Candidaten auf, welche das besagte Tentamen bestanden haben.

Unglücklicher Weise ist es nun aber wieder eine berechtigte mecklenbur¬
gische Eigenthümlichkeit, daß der tentirte Candidat des Predigtamtes sich aus
dieser öffentlichen Liste kann streichen lassen, ohne daß er damit seinen Cha-
racter als tentirter Candidat und seine Ausnahmestellung unter der Gro߬
herzoglichen Justizkanzlei verliert. Ach, es soll Niemand Häring schreien, er
hätte ihn denn beim Schwänze! Der verzweifelte Schuster hat unter sothanem
Umständen nur noch einen Ausweg, um den Fisch zu fangen, er kann sich
nämlich nach der Landesbibliothek verfügen und dort die sämmtlichen Staats¬
kalender, einen nach dem andern, durchsehen, was wiederum ein ganzes Stück


werthvolle Buch, welches seine Aufgabe vor fast drei Jahrhunderten schon ein¬
mal erfüllt hat, nach seiner Auferstehung von den Todten, seine neue Aufgabe
als Musterbuch zu dienen und den Geschmack des Publicums zu bilden, noch¬
mals in recht reichlichem Maße erfüllen!


R. Berg an.


Inder aus Mecklenburg.
1. Der Klageschein.
Von
Hugo Gaedcke.

Zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten oder eigenthümlichen Berech¬
tigungen in dem gesegneten Mecklenburg gehört auch die Ertheilung eines
Klagescheins. Will z. B. ein unglückseliger Schuhmacher den Hauslehrer, die
Wirthschafterin oder eine andere Persönlichkeit auf dem Rittergut Pritzelwitz
wegen einer Forderung gerichtlich zur endlichen Zahlung veranlassen, so ist
diese Klage von ihm bei dem Patrimonialgerichte des Rittergutsbesitzers von
Jtzelwitz auf Pritzelwitz anzustellen. Dieser Herr hat über alle seine Gutsein¬
wohner die Gerichtsherrlichkeit, soweit nicht ausnahmsweise einem Gutsein¬
wohner ein Privilegium hiergegen zusteht.

Hat der Hauslehrer z. B. dasjenige Examen bestanden, welches ihm die
Befugniß zum Predigen giebt, so steht er als tentirter Candidat des Predigt¬
amtes unter der hohen Großherzoglichen Justiz - Canzlei. Für den armen
Schuster und Gläubiger dieses Candidaten ist es nun freilich ein schweres
Stück, darüber klar zu werden, ob sein studirter Schuldner ein simpler Kan¬
didat oder ein tentirter Candidat des Predigtamtes ist. Er muß hierüber
den Staatskalender zu Hilfe ziehen. Dieses officielle Register führt auch die
sämmtlichen Candidaten auf, welche das besagte Tentamen bestanden haben.

Unglücklicher Weise ist es nun aber wieder eine berechtigte mecklenbur¬
gische Eigenthümlichkeit, daß der tentirte Candidat des Predigtamtes sich aus
dieser öffentlichen Liste kann streichen lassen, ohne daß er damit seinen Cha-
racter als tentirter Candidat und seine Ausnahmestellung unter der Gro߬
herzoglichen Justizkanzlei verliert. Ach, es soll Niemand Häring schreien, er
hätte ihn denn beim Schwänze! Der verzweifelte Schuster hat unter sothanem
Umständen nur noch einen Ausweg, um den Fisch zu fangen, er kann sich
nämlich nach der Landesbibliothek verfügen und dort die sämmtlichen Staats¬
kalender, einen nach dem andern, durchsehen, was wiederum ein ganzes Stück


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[0438] werthvolle Buch, welches seine Aufgabe vor fast drei Jahrhunderten schon ein¬ mal erfüllt hat, nach seiner Auferstehung von den Todten, seine neue Aufgabe als Musterbuch zu dienen und den Geschmack des Publicums zu bilden, noch¬ mals in recht reichlichem Maße erfüllen! R. Berg an. Inder aus Mecklenburg. 1. Der Klageschein. Von Hugo Gaedcke. Zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten oder eigenthümlichen Berech¬ tigungen in dem gesegneten Mecklenburg gehört auch die Ertheilung eines Klagescheins. Will z. B. ein unglückseliger Schuhmacher den Hauslehrer, die Wirthschafterin oder eine andere Persönlichkeit auf dem Rittergut Pritzelwitz wegen einer Forderung gerichtlich zur endlichen Zahlung veranlassen, so ist diese Klage von ihm bei dem Patrimonialgerichte des Rittergutsbesitzers von Jtzelwitz auf Pritzelwitz anzustellen. Dieser Herr hat über alle seine Gutsein¬ wohner die Gerichtsherrlichkeit, soweit nicht ausnahmsweise einem Gutsein¬ wohner ein Privilegium hiergegen zusteht. Hat der Hauslehrer z. B. dasjenige Examen bestanden, welches ihm die Befugniß zum Predigen giebt, so steht er als tentirter Candidat des Predigt¬ amtes unter der hohen Großherzoglichen Justiz - Canzlei. Für den armen Schuster und Gläubiger dieses Candidaten ist es nun freilich ein schweres Stück, darüber klar zu werden, ob sein studirter Schuldner ein simpler Kan¬ didat oder ein tentirter Candidat des Predigtamtes ist. Er muß hierüber den Staatskalender zu Hilfe ziehen. Dieses officielle Register führt auch die sämmtlichen Candidaten auf, welche das besagte Tentamen bestanden haben. Unglücklicher Weise ist es nun aber wieder eine berechtigte mecklenbur¬ gische Eigenthümlichkeit, daß der tentirte Candidat des Predigtamtes sich aus dieser öffentlichen Liste kann streichen lassen, ohne daß er damit seinen Cha- racter als tentirter Candidat und seine Ausnahmestellung unter der Gro߬ herzoglichen Justizkanzlei verliert. Ach, es soll Niemand Häring schreien, er hätte ihn denn beim Schwänze! Der verzweifelte Schuster hat unter sothanem Umständen nur noch einen Ausweg, um den Fisch zu fangen, er kann sich nämlich nach der Landesbibliothek verfügen und dort die sämmtlichen Staats¬ kalender, einen nach dem andern, durchsehen, was wiederum ein ganzes Stück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/438>, abgerufen am 22.07.2024.