Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Römern selbst ausgehenden Anlaß zu ihrem völligen Umsturze abwarten,
ermunterte daher die Demokraten und mit dem besten Erfolg. Schon nach
einigen Tagen (16. Februar) rotteten sich diese zusammen, zogen nach dem
Campo Vaccino, schrien "Freiheit!" und ließen durch zugezogene fünf Notare,
in Gegenwart Murat's und des Generals Cervoni, eine Urkunde ausfertigen,
mittelst welcher das souveräne freie römische Volk seine unveräußerlichen Rechte
wieder zurückforderte, sich von der Herrschaft des Papstes lossagte und fortan
in republikanischer Verfassung leben zu wollen, erklärte. Ungemein charak¬
teristisch ist, daß damals sogar viele Priester in Gegner des heiligen Vaters
sich verwandelt hatten. Denn bei der rasch zunehmenden Entwerthung des
von ihm ausgegebenen Papiergeldes (schon beim Einzug der Franzosen in
Rom für 27,000,000 Scudi, die bald auf den vierten Theil des Nennwerthes
herabgesetzt wurden) war Pius VI. unvermögend, die enormen Zahlungen zu
leisten, zu welchen er sich durch den Frieden von Tolentino verpflichtet hatte.
Er griff daher zu einem Auskunftsmittel, welches dem in ähnlicher Lage von
der französischen Republik angewandten nur zu ähnlich sah. welches er dieser
als so grobes Verbrechen angerechnet hatte. Er zog nämlich den fünften
Theil aller geistlichen Grundbesitzungen, aller Güter der Kirchen und Klöster
ein und verkaufte sie, wie schwer das auch immer hielt, da im Allgemeinen
eine große Scheu vorhanden war. solche zu acquiriren.

Nachdem vom tapfern Corsen Cervoni noch am genannten Tage sieben
Konsuln ernannt worden, zog die jubelnde freudentrunkene Menge Roms
nach dem Capitol und pflanzte hier einen Freiheitsbaum auf; mit glänzendem
Gefolge zog Berthier, gleich einem Triumphator, in die ewige Stadt, wo
ihm eine Lorbeerkrone dargebracht wurde, die er unter der Betheuerung an¬
nahm, daß sie eigentlich Bonaparte gebühre, dessen edle Thaten den neuen
Freistaat vorbereitet hätten, und daß er sie nur für ihn empfange. Sodann
verfügte er sich nach dem Capitol, rief die römische Republik feierlich aus,
erkannte sie im Namen Frankreichs an und apostrophirte die Manen Cato's,
Cicero's u. s. w. Des Papstes Schweizergarde wurde durch 500 Franzosen
ersetzt, die ihn im Vattcan bewachten, und er selbst aufgefordert, feiner welt¬
lichen Herrschaft zu entsagen. Als er sich dessen entschieden weigerte, ward
er'(20. Febr.) nach sieu" abgeführt, wo er drei Monate lang im dortigen
Augustinerkloster blieb, dann (30. Mai) nach der Kartause bei Florenz und
nach Parma. Als er sich von hier aus heimlich entfernte, ward er (27. März
1799) auf Befehl des Directoriums verhaftet, um nach Frankreich verbracht
zu werden, wo er nach fünf Monden, im 82. Lebensjahre, zu Valence im
Drüme-Departement starb (29. Aug. 1799). Die Behandlung des armen
Greises auf diesen Reisen war eine ganz unwürdige; seine Begleiter ließen es
gar sehr an der Achtung fehlen, auf welche sein Unglück und sein Alter ihm


den Römern selbst ausgehenden Anlaß zu ihrem völligen Umsturze abwarten,
ermunterte daher die Demokraten und mit dem besten Erfolg. Schon nach
einigen Tagen (16. Februar) rotteten sich diese zusammen, zogen nach dem
Campo Vaccino, schrien „Freiheit!" und ließen durch zugezogene fünf Notare,
in Gegenwart Murat's und des Generals Cervoni, eine Urkunde ausfertigen,
mittelst welcher das souveräne freie römische Volk seine unveräußerlichen Rechte
wieder zurückforderte, sich von der Herrschaft des Papstes lossagte und fortan
in republikanischer Verfassung leben zu wollen, erklärte. Ungemein charak¬
teristisch ist, daß damals sogar viele Priester in Gegner des heiligen Vaters
sich verwandelt hatten. Denn bei der rasch zunehmenden Entwerthung des
von ihm ausgegebenen Papiergeldes (schon beim Einzug der Franzosen in
Rom für 27,000,000 Scudi, die bald auf den vierten Theil des Nennwerthes
herabgesetzt wurden) war Pius VI. unvermögend, die enormen Zahlungen zu
leisten, zu welchen er sich durch den Frieden von Tolentino verpflichtet hatte.
Er griff daher zu einem Auskunftsmittel, welches dem in ähnlicher Lage von
der französischen Republik angewandten nur zu ähnlich sah. welches er dieser
als so grobes Verbrechen angerechnet hatte. Er zog nämlich den fünften
Theil aller geistlichen Grundbesitzungen, aller Güter der Kirchen und Klöster
ein und verkaufte sie, wie schwer das auch immer hielt, da im Allgemeinen
eine große Scheu vorhanden war. solche zu acquiriren.

Nachdem vom tapfern Corsen Cervoni noch am genannten Tage sieben
Konsuln ernannt worden, zog die jubelnde freudentrunkene Menge Roms
nach dem Capitol und pflanzte hier einen Freiheitsbaum auf; mit glänzendem
Gefolge zog Berthier, gleich einem Triumphator, in die ewige Stadt, wo
ihm eine Lorbeerkrone dargebracht wurde, die er unter der Betheuerung an¬
nahm, daß sie eigentlich Bonaparte gebühre, dessen edle Thaten den neuen
Freistaat vorbereitet hätten, und daß er sie nur für ihn empfange. Sodann
verfügte er sich nach dem Capitol, rief die römische Republik feierlich aus,
erkannte sie im Namen Frankreichs an und apostrophirte die Manen Cato's,
Cicero's u. s. w. Des Papstes Schweizergarde wurde durch 500 Franzosen
ersetzt, die ihn im Vattcan bewachten, und er selbst aufgefordert, feiner welt¬
lichen Herrschaft zu entsagen. Als er sich dessen entschieden weigerte, ward
er'(20. Febr.) nach sieu« abgeführt, wo er drei Monate lang im dortigen
Augustinerkloster blieb, dann (30. Mai) nach der Kartause bei Florenz und
nach Parma. Als er sich von hier aus heimlich entfernte, ward er (27. März
1799) auf Befehl des Directoriums verhaftet, um nach Frankreich verbracht
zu werden, wo er nach fünf Monden, im 82. Lebensjahre, zu Valence im
Drüme-Departement starb (29. Aug. 1799). Die Behandlung des armen
Greises auf diesen Reisen war eine ganz unwürdige; seine Begleiter ließen es
gar sehr an der Achtung fehlen, auf welche sein Unglück und sein Alter ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132124"/>
          <p xml:id="ID_1483" prev="#ID_1482"> den Römern selbst ausgehenden Anlaß zu ihrem völligen Umsturze abwarten,<lb/>
ermunterte daher die Demokraten und mit dem besten Erfolg. Schon nach<lb/>
einigen Tagen (16. Februar) rotteten sich diese zusammen, zogen nach dem<lb/>
Campo Vaccino, schrien &#x201E;Freiheit!" und ließen durch zugezogene fünf Notare,<lb/>
in Gegenwart Murat's und des Generals Cervoni, eine Urkunde ausfertigen,<lb/>
mittelst welcher das souveräne freie römische Volk seine unveräußerlichen Rechte<lb/>
wieder zurückforderte, sich von der Herrschaft des Papstes lossagte und fortan<lb/>
in republikanischer Verfassung leben zu wollen, erklärte. Ungemein charak¬<lb/>
teristisch ist, daß damals sogar viele Priester in Gegner des heiligen Vaters<lb/>
sich verwandelt hatten. Denn bei der rasch zunehmenden Entwerthung des<lb/>
von ihm ausgegebenen Papiergeldes (schon beim Einzug der Franzosen in<lb/>
Rom für 27,000,000 Scudi, die bald auf den vierten Theil des Nennwerthes<lb/>
herabgesetzt wurden) war Pius VI. unvermögend, die enormen Zahlungen zu<lb/>
leisten, zu welchen er sich durch den Frieden von Tolentino verpflichtet hatte.<lb/>
Er griff daher zu einem Auskunftsmittel, welches dem in ähnlicher Lage von<lb/>
der französischen Republik angewandten nur zu ähnlich sah. welches er dieser<lb/>
als so grobes Verbrechen angerechnet hatte. Er zog nämlich den fünften<lb/>
Theil aller geistlichen Grundbesitzungen, aller Güter der Kirchen und Klöster<lb/>
ein und verkaufte sie, wie schwer das auch immer hielt, da im Allgemeinen<lb/>
eine große Scheu vorhanden war. solche zu acquiriren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1484" next="#ID_1485"> Nachdem vom tapfern Corsen Cervoni noch am genannten Tage sieben<lb/>
Konsuln ernannt worden, zog die jubelnde freudentrunkene Menge Roms<lb/>
nach dem Capitol und pflanzte hier einen Freiheitsbaum auf; mit glänzendem<lb/>
Gefolge zog Berthier, gleich einem Triumphator, in die ewige Stadt, wo<lb/>
ihm eine Lorbeerkrone dargebracht wurde, die er unter der Betheuerung an¬<lb/>
nahm, daß sie eigentlich Bonaparte gebühre, dessen edle Thaten den neuen<lb/>
Freistaat vorbereitet hätten, und daß er sie nur für ihn empfange. Sodann<lb/>
verfügte er sich nach dem Capitol, rief die römische Republik feierlich aus,<lb/>
erkannte sie im Namen Frankreichs an und apostrophirte die Manen Cato's,<lb/>
Cicero's u. s. w. Des Papstes Schweizergarde wurde durch 500 Franzosen<lb/>
ersetzt, die ihn im Vattcan bewachten, und er selbst aufgefordert, feiner welt¬<lb/>
lichen Herrschaft zu entsagen. Als er sich dessen entschieden weigerte, ward<lb/>
er'(20. Febr.) nach sieu« abgeführt, wo er drei Monate lang im dortigen<lb/>
Augustinerkloster blieb, dann (30. Mai) nach der Kartause bei Florenz und<lb/>
nach Parma. Als er sich von hier aus heimlich entfernte, ward er (27. März<lb/>
1799) auf Befehl des Directoriums verhaftet, um nach Frankreich verbracht<lb/>
zu werden, wo er nach fünf Monden, im 82. Lebensjahre, zu Valence im<lb/>
Drüme-Departement starb (29. Aug. 1799). Die Behandlung des armen<lb/>
Greises auf diesen Reisen war eine ganz unwürdige; seine Begleiter ließen es<lb/>
gar sehr an der Achtung fehlen, auf welche sein Unglück und sein Alter ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] den Römern selbst ausgehenden Anlaß zu ihrem völligen Umsturze abwarten, ermunterte daher die Demokraten und mit dem besten Erfolg. Schon nach einigen Tagen (16. Februar) rotteten sich diese zusammen, zogen nach dem Campo Vaccino, schrien „Freiheit!" und ließen durch zugezogene fünf Notare, in Gegenwart Murat's und des Generals Cervoni, eine Urkunde ausfertigen, mittelst welcher das souveräne freie römische Volk seine unveräußerlichen Rechte wieder zurückforderte, sich von der Herrschaft des Papstes lossagte und fortan in republikanischer Verfassung leben zu wollen, erklärte. Ungemein charak¬ teristisch ist, daß damals sogar viele Priester in Gegner des heiligen Vaters sich verwandelt hatten. Denn bei der rasch zunehmenden Entwerthung des von ihm ausgegebenen Papiergeldes (schon beim Einzug der Franzosen in Rom für 27,000,000 Scudi, die bald auf den vierten Theil des Nennwerthes herabgesetzt wurden) war Pius VI. unvermögend, die enormen Zahlungen zu leisten, zu welchen er sich durch den Frieden von Tolentino verpflichtet hatte. Er griff daher zu einem Auskunftsmittel, welches dem in ähnlicher Lage von der französischen Republik angewandten nur zu ähnlich sah. welches er dieser als so grobes Verbrechen angerechnet hatte. Er zog nämlich den fünften Theil aller geistlichen Grundbesitzungen, aller Güter der Kirchen und Klöster ein und verkaufte sie, wie schwer das auch immer hielt, da im Allgemeinen eine große Scheu vorhanden war. solche zu acquiriren. Nachdem vom tapfern Corsen Cervoni noch am genannten Tage sieben Konsuln ernannt worden, zog die jubelnde freudentrunkene Menge Roms nach dem Capitol und pflanzte hier einen Freiheitsbaum auf; mit glänzendem Gefolge zog Berthier, gleich einem Triumphator, in die ewige Stadt, wo ihm eine Lorbeerkrone dargebracht wurde, die er unter der Betheuerung an¬ nahm, daß sie eigentlich Bonaparte gebühre, dessen edle Thaten den neuen Freistaat vorbereitet hätten, und daß er sie nur für ihn empfange. Sodann verfügte er sich nach dem Capitol, rief die römische Republik feierlich aus, erkannte sie im Namen Frankreichs an und apostrophirte die Manen Cato's, Cicero's u. s. w. Des Papstes Schweizergarde wurde durch 500 Franzosen ersetzt, die ihn im Vattcan bewachten, und er selbst aufgefordert, feiner welt¬ lichen Herrschaft zu entsagen. Als er sich dessen entschieden weigerte, ward er'(20. Febr.) nach sieu« abgeführt, wo er drei Monate lang im dortigen Augustinerkloster blieb, dann (30. Mai) nach der Kartause bei Florenz und nach Parma. Als er sich von hier aus heimlich entfernte, ward er (27. März 1799) auf Befehl des Directoriums verhaftet, um nach Frankreich verbracht zu werden, wo er nach fünf Monden, im 82. Lebensjahre, zu Valence im Drüme-Departement starb (29. Aug. 1799). Die Behandlung des armen Greises auf diesen Reisen war eine ganz unwürdige; seine Begleiter ließen es gar sehr an der Achtung fehlen, auf welche sein Unglück und sein Alter ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/430>, abgerufen am 22.07.2024.