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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Kardinal Chiaramonti, Bischof von Jmola, in noch weiteren Kreisen ver¬
breiten und von heiliger Stätte aus verkünden zu lassen. Der wurde nämlich
veranlaßt, in einer am Weihnachtsfeste (1797) gehaltenen Rede*) nachzuweisen,
daß die demokratische Regierungsform mit dem Evangelium im vollsten Ein¬
klang stehe, die Seligkeit fördere, weil sie alle christlichen Tugenden fördere;
daß bürgerliche Gleichheit, wohlgeordnete Freiheit, daß jene Bereinigung von
Liebe und Ruhe, welche das Wesen und die Ehre der Demokratie ausmachten,
deren echte Größe auch aus den Ueberlieferungen der Apostel und Kirchenväter
erhelle, die höchsten menschlichen Tugenden seien. "In der Demokratie bemüht
Euch, die höchstmögliche Tugend zu besitzen, und ihr werdet wahre Demo¬
kraten sein." Das Charakteristischste und Merkwürdigste war jedoch, daß,
während hier in Mittel-Italien ein Cardinal ein unwürdiges Gaukelspiel
mit den Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie trieb und seinen
Diöcesanen Aenderung ihres altherkömmlichen religiös-politischen Glaubensbe¬
kenntnisses so angelegentlich empfahl, im Süden der Halbinsel ein anderer
Cardinal, der schon erwähnte Ruffo, nur diejenigen für Christen erklärte, die
dem absolutesten und despotischsten Monarchenthum anhingen, mochten sie
übrigens auch die elendesten und verworfensten Subjekte, selbst Diebe und
Mörder sein, und diese Lehre den Calabresen mit den unerhörtesten Grau¬
samkeiten einimpfte!

Pius VI. hatte aber kein Glück mit seinen politisch-literarischen Genie¬
streichen, denn in praktischer Nutzanwendung der Lehren Chiaramonti's ver¬
anstalteten die zahlreichen Freunde, welche die Demokratie in Rom sich bald
erworben, eine Schilderhebung zum Sturze der weltlichen Herrschaft des
Papstes. Joseph Bonaparte war (Mai 1797) vom Direktorium zum Ge¬
sandten beim apostolischen Stuhle ernannt und, da man ihn für politische
Intriguen zu ehrenhaft oder zu ungeschickt hielt, ihm in den Generalen Duphot
und Sherlock zwei in solchen Geschäften sehr gewandte Gehülfen zu dem
Behufe mitgegeben worden, in der ewigen Stadt eine republikanische Partei
zu bilden, und mit ihrer Hülfe diese zu insurgiren und sie dann dem franzö¬
sischen Gebiete zu annectiren. Unter Leitung der beiden Genannten wurde
die Gesandtschaft bald Mittelpunkt der römischen Revolutionäre; jene glühenden
Charaktere, jene leicht fortzureißenden Schwärmer und unsauberen Schichten
der Bevölkerung, die in Wälschlands Städten seit lange zahlreicher als ander-



") Diese Houille Chiaramonti's ha! der berühmte Bischof Gregoire von Blois 1814 in
französischer Uebersetzung herausgegeben; eine deutsche erschien 1810 bei Seidel in Sulzbach;
gleichzeitig wurden auch englische, spanische und portugiesische Ueberhebungen derselben ver¬
öffentlicht. In Paris gab sich die Polizei viel Mühe, das Erscheinen dieser Kcmzelrcde zu
verhindern, zu welchem Behufe sie auch behauptete, dieselbe sei falsch; Bischof Gregoire konnte
aber den Cerberussen der Censur das italienische Original vorlegen. Krüger, Heinrich Gregoire,
Bischof von Blois 352 (Leipz. 1838).

Kardinal Chiaramonti, Bischof von Jmola, in noch weiteren Kreisen ver¬
breiten und von heiliger Stätte aus verkünden zu lassen. Der wurde nämlich
veranlaßt, in einer am Weihnachtsfeste (1797) gehaltenen Rede*) nachzuweisen,
daß die demokratische Regierungsform mit dem Evangelium im vollsten Ein¬
klang stehe, die Seligkeit fördere, weil sie alle christlichen Tugenden fördere;
daß bürgerliche Gleichheit, wohlgeordnete Freiheit, daß jene Bereinigung von
Liebe und Ruhe, welche das Wesen und die Ehre der Demokratie ausmachten,
deren echte Größe auch aus den Ueberlieferungen der Apostel und Kirchenväter
erhelle, die höchsten menschlichen Tugenden seien. „In der Demokratie bemüht
Euch, die höchstmögliche Tugend zu besitzen, und ihr werdet wahre Demo¬
kraten sein." Das Charakteristischste und Merkwürdigste war jedoch, daß,
während hier in Mittel-Italien ein Cardinal ein unwürdiges Gaukelspiel
mit den Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie trieb und seinen
Diöcesanen Aenderung ihres altherkömmlichen religiös-politischen Glaubensbe¬
kenntnisses so angelegentlich empfahl, im Süden der Halbinsel ein anderer
Cardinal, der schon erwähnte Ruffo, nur diejenigen für Christen erklärte, die
dem absolutesten und despotischsten Monarchenthum anhingen, mochten sie
übrigens auch die elendesten und verworfensten Subjekte, selbst Diebe und
Mörder sein, und diese Lehre den Calabresen mit den unerhörtesten Grau¬
samkeiten einimpfte!

Pius VI. hatte aber kein Glück mit seinen politisch-literarischen Genie¬
streichen, denn in praktischer Nutzanwendung der Lehren Chiaramonti's ver¬
anstalteten die zahlreichen Freunde, welche die Demokratie in Rom sich bald
erworben, eine Schilderhebung zum Sturze der weltlichen Herrschaft des
Papstes. Joseph Bonaparte war (Mai 1797) vom Direktorium zum Ge¬
sandten beim apostolischen Stuhle ernannt und, da man ihn für politische
Intriguen zu ehrenhaft oder zu ungeschickt hielt, ihm in den Generalen Duphot
und Sherlock zwei in solchen Geschäften sehr gewandte Gehülfen zu dem
Behufe mitgegeben worden, in der ewigen Stadt eine republikanische Partei
zu bilden, und mit ihrer Hülfe diese zu insurgiren und sie dann dem franzö¬
sischen Gebiete zu annectiren. Unter Leitung der beiden Genannten wurde
die Gesandtschaft bald Mittelpunkt der römischen Revolutionäre; jene glühenden
Charaktere, jene leicht fortzureißenden Schwärmer und unsauberen Schichten
der Bevölkerung, die in Wälschlands Städten seit lange zahlreicher als ander-



") Diese Houille Chiaramonti's ha! der berühmte Bischof Gregoire von Blois 1814 in
französischer Uebersetzung herausgegeben; eine deutsche erschien 1810 bei Seidel in Sulzbach;
gleichzeitig wurden auch englische, spanische und portugiesische Ueberhebungen derselben ver¬
öffentlicht. In Paris gab sich die Polizei viel Mühe, das Erscheinen dieser Kcmzelrcde zu
verhindern, zu welchem Behufe sie auch behauptete, dieselbe sei falsch; Bischof Gregoire konnte
aber den Cerberussen der Censur das italienische Original vorlegen. Krüger, Heinrich Gregoire,
Bischof von Blois 352 (Leipz. 1838).
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[0427] Kardinal Chiaramonti, Bischof von Jmola, in noch weiteren Kreisen ver¬ breiten und von heiliger Stätte aus verkünden zu lassen. Der wurde nämlich veranlaßt, in einer am Weihnachtsfeste (1797) gehaltenen Rede*) nachzuweisen, daß die demokratische Regierungsform mit dem Evangelium im vollsten Ein¬ klang stehe, die Seligkeit fördere, weil sie alle christlichen Tugenden fördere; daß bürgerliche Gleichheit, wohlgeordnete Freiheit, daß jene Bereinigung von Liebe und Ruhe, welche das Wesen und die Ehre der Demokratie ausmachten, deren echte Größe auch aus den Ueberlieferungen der Apostel und Kirchenväter erhelle, die höchsten menschlichen Tugenden seien. „In der Demokratie bemüht Euch, die höchstmögliche Tugend zu besitzen, und ihr werdet wahre Demo¬ kraten sein." Das Charakteristischste und Merkwürdigste war jedoch, daß, während hier in Mittel-Italien ein Cardinal ein unwürdiges Gaukelspiel mit den Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie trieb und seinen Diöcesanen Aenderung ihres altherkömmlichen religiös-politischen Glaubensbe¬ kenntnisses so angelegentlich empfahl, im Süden der Halbinsel ein anderer Cardinal, der schon erwähnte Ruffo, nur diejenigen für Christen erklärte, die dem absolutesten und despotischsten Monarchenthum anhingen, mochten sie übrigens auch die elendesten und verworfensten Subjekte, selbst Diebe und Mörder sein, und diese Lehre den Calabresen mit den unerhörtesten Grau¬ samkeiten einimpfte! Pius VI. hatte aber kein Glück mit seinen politisch-literarischen Genie¬ streichen, denn in praktischer Nutzanwendung der Lehren Chiaramonti's ver¬ anstalteten die zahlreichen Freunde, welche die Demokratie in Rom sich bald erworben, eine Schilderhebung zum Sturze der weltlichen Herrschaft des Papstes. Joseph Bonaparte war (Mai 1797) vom Direktorium zum Ge¬ sandten beim apostolischen Stuhle ernannt und, da man ihn für politische Intriguen zu ehrenhaft oder zu ungeschickt hielt, ihm in den Generalen Duphot und Sherlock zwei in solchen Geschäften sehr gewandte Gehülfen zu dem Behufe mitgegeben worden, in der ewigen Stadt eine republikanische Partei zu bilden, und mit ihrer Hülfe diese zu insurgiren und sie dann dem franzö¬ sischen Gebiete zu annectiren. Unter Leitung der beiden Genannten wurde die Gesandtschaft bald Mittelpunkt der römischen Revolutionäre; jene glühenden Charaktere, jene leicht fortzureißenden Schwärmer und unsauberen Schichten der Bevölkerung, die in Wälschlands Städten seit lange zahlreicher als ander- ") Diese Houille Chiaramonti's ha! der berühmte Bischof Gregoire von Blois 1814 in französischer Uebersetzung herausgegeben; eine deutsche erschien 1810 bei Seidel in Sulzbach; gleichzeitig wurden auch englische, spanische und portugiesische Ueberhebungen derselben ver¬ öffentlicht. In Paris gab sich die Polizei viel Mühe, das Erscheinen dieser Kcmzelrcde zu verhindern, zu welchem Behufe sie auch behauptete, dieselbe sei falsch; Bischof Gregoire konnte aber den Cerberussen der Censur das italienische Original vorlegen. Krüger, Heinrich Gregoire, Bischof von Blois 352 (Leipz. 1838).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/427>, abgerufen am 22.07.2024.