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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Handels bestimmter Häusercomplexe (sog. "Höfe"), von denen nicht wenige mit
manchem adlichen, ja fürstlichen Pallast an Größe und auch wohl an Reich¬
thum der Architektonik sich messen konnten.

Leipzig gehört nicht zu den bevorzugten deutschen Städten, die, wie
Nürnberg, Augsburg, Danzig, Hildesheim, Braunschweig, gleichsam Deposi¬
täre jener ältern ächtdeutschen Baukunst sind, die man früher die gothische
nannte, jetzt richtiger die germanische nennt. Dagegen mag es wenige
Städte in Deutschland geben, wo die Periode der spätern, allerdings schon
meist zu dem sog. Rococo verbildeten, immerhin aber in großen, zum Theil
prächtigen Stylverhältnissen sich bewegenden Renaissance so viele und reiche
Spuren hinterlassen hat, und das in einfachen Privatgebäuden! Besonders
ausgezeichnet durch solche Bauten war und ist noch heut, nächst dem Markt,
die Katharinenstraße, die eigentliche Aristokratin unter den Straßen Leipzigs,
aber auch Neumarkt, Petersstraße, Klostergasse u. a. zeigen sporadische Denk¬
mäler jener nach dem Großen und Glänzenden strebenden Baulust des vorigen
Jahrhunderts.

Der Zeit seiner Entstehung nach das erste von jenen Gebäuden ist die
1691 begonnene, 1711 vollends aufgebaute "Feuerkugel"; dem Geschmack und
Reichthum der Architektonik nach das hervorragendste, das von dem damaligen
Bürgermeister Romanus gebaute und lange Zeit nach ihm benannte Haus an
der Ecke der Katharinenstraße und des Brühl. Dieses letztere freilich zu¬
gleich ein warnendes Denkmal, wie schon damals theilweise (was leider heut
im Allgemeinen keine Seltenheit, doch aber gerade in Leipzig glücklicherweise
verhältnißmäßig eine solche ist) wirklicher Wohlstand und nachhaltiges Ver¬
mögen zu solidem Luxus mit aufgeblähtem Schein und schwindelhafter Ueber¬
hebung sich nahe berührten. 1704, ward jenes stattliche Haus fertig; schon
im Januar 1705 aber wanderte Romanus auf den Königstein, mehrfacher
Schwindeleien und selbst der Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt und
schuldig befunden. Schon während der Prachtbau emporstieg, bezeichnete ein
dunkles Gerücht den Grund, worauf er ruhte, den Wohlstand seines Erbauers,
als schwankend. Ein Nachbar des hoffärtigen Bürgermeisters, ein dürftiger
waZistör I,jx8im8ig, der mit mäßigen Mitteln sich ein bescheidenes Häuschen
gegenüber dem Romanus'schen Pallaste gebaut, schrieb damals eine kleine
lateinische Schrift mit dem witzig zweideutigen Titel: as stultitia Rowanorum
in Äkäiüeanäis xalatiis. Damit nicht zufrieden, brachte er auf einem Vorsprung
seines Häuschens das Standbild eines Männchens an, wahrscheinlich sein
eignes, welches warnend mit aufgehobenem Finger nach dem stolzen Bau hinüber¬
droht. Noch heut steht das Warnungszetchen da oben, von Wenigen wohl
bemerkt, von noch Wenigeren nach seiner Bedeutung und Entstehung gekannt.
Zunächst an das Romanus'sche Haus nach ihren Größenverhältnissen und der


Handels bestimmter Häusercomplexe (sog. „Höfe"), von denen nicht wenige mit
manchem adlichen, ja fürstlichen Pallast an Größe und auch wohl an Reich¬
thum der Architektonik sich messen konnten.

Leipzig gehört nicht zu den bevorzugten deutschen Städten, die, wie
Nürnberg, Augsburg, Danzig, Hildesheim, Braunschweig, gleichsam Deposi¬
täre jener ältern ächtdeutschen Baukunst sind, die man früher die gothische
nannte, jetzt richtiger die germanische nennt. Dagegen mag es wenige
Städte in Deutschland geben, wo die Periode der spätern, allerdings schon
meist zu dem sog. Rococo verbildeten, immerhin aber in großen, zum Theil
prächtigen Stylverhältnissen sich bewegenden Renaissance so viele und reiche
Spuren hinterlassen hat, und das in einfachen Privatgebäuden! Besonders
ausgezeichnet durch solche Bauten war und ist noch heut, nächst dem Markt,
die Katharinenstraße, die eigentliche Aristokratin unter den Straßen Leipzigs,
aber auch Neumarkt, Petersstraße, Klostergasse u. a. zeigen sporadische Denk¬
mäler jener nach dem Großen und Glänzenden strebenden Baulust des vorigen
Jahrhunderts.

Der Zeit seiner Entstehung nach das erste von jenen Gebäuden ist die
1691 begonnene, 1711 vollends aufgebaute „Feuerkugel"; dem Geschmack und
Reichthum der Architektonik nach das hervorragendste, das von dem damaligen
Bürgermeister Romanus gebaute und lange Zeit nach ihm benannte Haus an
der Ecke der Katharinenstraße und des Brühl. Dieses letztere freilich zu¬
gleich ein warnendes Denkmal, wie schon damals theilweise (was leider heut
im Allgemeinen keine Seltenheit, doch aber gerade in Leipzig glücklicherweise
verhältnißmäßig eine solche ist) wirklicher Wohlstand und nachhaltiges Ver¬
mögen zu solidem Luxus mit aufgeblähtem Schein und schwindelhafter Ueber¬
hebung sich nahe berührten. 1704, ward jenes stattliche Haus fertig; schon
im Januar 1705 aber wanderte Romanus auf den Königstein, mehrfacher
Schwindeleien und selbst der Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt und
schuldig befunden. Schon während der Prachtbau emporstieg, bezeichnete ein
dunkles Gerücht den Grund, worauf er ruhte, den Wohlstand seines Erbauers,
als schwankend. Ein Nachbar des hoffärtigen Bürgermeisters, ein dürftiger
waZistör I,jx8im8ig, der mit mäßigen Mitteln sich ein bescheidenes Häuschen
gegenüber dem Romanus'schen Pallaste gebaut, schrieb damals eine kleine
lateinische Schrift mit dem witzig zweideutigen Titel: as stultitia Rowanorum
in Äkäiüeanäis xalatiis. Damit nicht zufrieden, brachte er auf einem Vorsprung
seines Häuschens das Standbild eines Männchens an, wahrscheinlich sein
eignes, welches warnend mit aufgehobenem Finger nach dem stolzen Bau hinüber¬
droht. Noch heut steht das Warnungszetchen da oben, von Wenigen wohl
bemerkt, von noch Wenigeren nach seiner Bedeutung und Entstehung gekannt.
Zunächst an das Romanus'sche Haus nach ihren Größenverhältnissen und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/40>, abgerufen am 22.07.2024.