Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kammer, kurz Alle, die auf Pius VI. Rücksicht zu nehmen, oder bei ihm
etwas zu suchen hatten, sandten diesem Lieblingspaare des unfehlbaren Kirchen¬
oberhauptes die sprechendsten Beweise der hohen Werthschätzung, die dessen
reine Tugenden aller Welt einflößten. So verlieh z. B. König Mctor Ama-
deus III. von Sardinien dem Grafen Ludwig eine Komthurei (1785) die
über 2000 Thaler eintrug, ernannte ihn gleichzeitig zum Kommandeur seines
höchsten Ordens und sandte ihm das reich mit Diamanten besetzte Großkreuz
desselben.

Als Pius VI. im nächsten Jahre (18. Decbr. 1786) den zweiten Sohn
seiner Schwester, Raumald von Braschi-Onesti, zum Cardinal beförderte,
gab ihm das erwünschten Anlaß, auch dessen ältern Bruder Ludwig in dem¬
selben Konsistorium zum Herzog von Nenn zu erheben, nach einer ihm ge¬
hörenden Besitzung am reizenden See dieses Mannes. Um sich seinem Oheim
zu empfehlen, sandten die seitherigen und die mit ihm neu ernannten Car¬
dinäle so wie der römische Adel Raumald Geschenke von über 100,000 Scudi
an Werth, und zwar zu einer Zeit, wo die Bevölkerung Roms wieder ein¬
mal von fürchterlicher Hungersnoth heimgesucht wurde und zugleich die aus¬
getretene Tiber Jammer und Elend über Tausende von Menschen ausgoß.
Daneben erlaubte Pius VI. seinem Neffen den ausgedehntesten Mißbrauch
der abscheulichsten Monopole, so z. B. jedem Privaten verbotenen Auflauf
des Oels und die Alleinausfuhr des Getreides, was die Vertheuerung der
Lebensbedürfnisse zumeist verschuldete, und veranlaßte daß diesem heil. Vater
von den Römern in Pasquillen häufig arg mitgespielt wurde.

Am übelsten und verdientesten freilich anläßlich der berüchtigten Lep¬
rischen Erbschaft. Amanzio Lepri hieß der letzte männliche Nachkomme
eines sehr reichen Mailänders und war durch den Tod seiner älteren Brüder
Erbe des ganzen, über eine Million Scudi betragenden, väterlichen Vermögens.
Da Amanzio früher Priester des Oratoriums geworden, ein Schwachkopf oder
vielmehr mindestens ein halber, wenn nicht ein ganzer Verrückter war, glaubte
er von dem ihm anheimgefallnen großen Reichthum keinen Christus wohlge¬
fälligem Gebrauch machen zu können, als denselben (1783) zur Bereicherung
seines Statthalters und der Nepoten desselben zu verwenden, trotzdem er
eine legitime Erbin hatte -- eine Nichte, Namens Marianne, die zugleich
seine Mündel war.

Von seinem ganzen großen Vermögen behielt sich Amanzio nur eine
jährliche Rente von 500 Scudi vor, die Pius VI. so großmüthig war, auf
eine monatliche dieses Betrags zu erhöhen. Bald zeigte es sich indessen, daß
es in dem Gehirn Amanzio's nicht richtig war. Denn er drang eines Tages
voll Schrecken in die Gemächer des Papstes, diesem erzählend, in der ver-
wichenen Nacht sei der Kämmerer Nardini feurig und unter Kettengerafsel


Kammer, kurz Alle, die auf Pius VI. Rücksicht zu nehmen, oder bei ihm
etwas zu suchen hatten, sandten diesem Lieblingspaare des unfehlbaren Kirchen¬
oberhauptes die sprechendsten Beweise der hohen Werthschätzung, die dessen
reine Tugenden aller Welt einflößten. So verlieh z. B. König Mctor Ama-
deus III. von Sardinien dem Grafen Ludwig eine Komthurei (1785) die
über 2000 Thaler eintrug, ernannte ihn gleichzeitig zum Kommandeur seines
höchsten Ordens und sandte ihm das reich mit Diamanten besetzte Großkreuz
desselben.

Als Pius VI. im nächsten Jahre (18. Decbr. 1786) den zweiten Sohn
seiner Schwester, Raumald von Braschi-Onesti, zum Cardinal beförderte,
gab ihm das erwünschten Anlaß, auch dessen ältern Bruder Ludwig in dem¬
selben Konsistorium zum Herzog von Nenn zu erheben, nach einer ihm ge¬
hörenden Besitzung am reizenden See dieses Mannes. Um sich seinem Oheim
zu empfehlen, sandten die seitherigen und die mit ihm neu ernannten Car¬
dinäle so wie der römische Adel Raumald Geschenke von über 100,000 Scudi
an Werth, und zwar zu einer Zeit, wo die Bevölkerung Roms wieder ein¬
mal von fürchterlicher Hungersnoth heimgesucht wurde und zugleich die aus¬
getretene Tiber Jammer und Elend über Tausende von Menschen ausgoß.
Daneben erlaubte Pius VI. seinem Neffen den ausgedehntesten Mißbrauch
der abscheulichsten Monopole, so z. B. jedem Privaten verbotenen Auflauf
des Oels und die Alleinausfuhr des Getreides, was die Vertheuerung der
Lebensbedürfnisse zumeist verschuldete, und veranlaßte daß diesem heil. Vater
von den Römern in Pasquillen häufig arg mitgespielt wurde.

Am übelsten und verdientesten freilich anläßlich der berüchtigten Lep¬
rischen Erbschaft. Amanzio Lepri hieß der letzte männliche Nachkomme
eines sehr reichen Mailänders und war durch den Tod seiner älteren Brüder
Erbe des ganzen, über eine Million Scudi betragenden, väterlichen Vermögens.
Da Amanzio früher Priester des Oratoriums geworden, ein Schwachkopf oder
vielmehr mindestens ein halber, wenn nicht ein ganzer Verrückter war, glaubte
er von dem ihm anheimgefallnen großen Reichthum keinen Christus wohlge¬
fälligem Gebrauch machen zu können, als denselben (1783) zur Bereicherung
seines Statthalters und der Nepoten desselben zu verwenden, trotzdem er
eine legitime Erbin hatte — eine Nichte, Namens Marianne, die zugleich
seine Mündel war.

Von seinem ganzen großen Vermögen behielt sich Amanzio nur eine
jährliche Rente von 500 Scudi vor, die Pius VI. so großmüthig war, auf
eine monatliche dieses Betrags zu erhöhen. Bald zeigte es sich indessen, daß
es in dem Gehirn Amanzio's nicht richtig war. Denn er drang eines Tages
voll Schrecken in die Gemächer des Papstes, diesem erzählend, in der ver-
wichenen Nacht sei der Kämmerer Nardini feurig und unter Kettengerafsel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132086"/>
          <p xml:id="ID_1398" prev="#ID_1397"> Kammer, kurz Alle, die auf Pius VI. Rücksicht zu nehmen, oder bei ihm<lb/>
etwas zu suchen hatten, sandten diesem Lieblingspaare des unfehlbaren Kirchen¬<lb/>
oberhauptes die sprechendsten Beweise der hohen Werthschätzung, die dessen<lb/>
reine Tugenden aller Welt einflößten. So verlieh z. B. König Mctor Ama-<lb/>
deus III. von Sardinien dem Grafen Ludwig eine Komthurei (1785) die<lb/>
über 2000 Thaler eintrug, ernannte ihn gleichzeitig zum Kommandeur seines<lb/>
höchsten Ordens und sandte ihm das reich mit Diamanten besetzte Großkreuz<lb/>
desselben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1399"> Als Pius VI. im nächsten Jahre (18. Decbr. 1786) den zweiten Sohn<lb/>
seiner Schwester, Raumald von Braschi-Onesti, zum Cardinal beförderte,<lb/>
gab ihm das erwünschten Anlaß, auch dessen ältern Bruder Ludwig in dem¬<lb/>
selben Konsistorium zum Herzog von Nenn zu erheben, nach einer ihm ge¬<lb/>
hörenden Besitzung am reizenden See dieses Mannes. Um sich seinem Oheim<lb/>
zu empfehlen, sandten die seitherigen und die mit ihm neu ernannten Car¬<lb/>
dinäle so wie der römische Adel Raumald Geschenke von über 100,000 Scudi<lb/>
an Werth, und zwar zu einer Zeit, wo die Bevölkerung Roms wieder ein¬<lb/>
mal von fürchterlicher Hungersnoth heimgesucht wurde und zugleich die aus¬<lb/>
getretene Tiber Jammer und Elend über Tausende von Menschen ausgoß.<lb/>
Daneben erlaubte Pius VI. seinem Neffen den ausgedehntesten Mißbrauch<lb/>
der abscheulichsten Monopole, so z. B. jedem Privaten verbotenen Auflauf<lb/>
des Oels und die Alleinausfuhr des Getreides, was die Vertheuerung der<lb/>
Lebensbedürfnisse zumeist verschuldete, und veranlaßte daß diesem heil. Vater<lb/>
von den Römern in Pasquillen häufig arg mitgespielt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1400"> Am übelsten und verdientesten freilich anläßlich der berüchtigten Lep¬<lb/>
rischen Erbschaft. Amanzio Lepri hieß der letzte männliche Nachkomme<lb/>
eines sehr reichen Mailänders und war durch den Tod seiner älteren Brüder<lb/>
Erbe des ganzen, über eine Million Scudi betragenden, väterlichen Vermögens.<lb/>
Da Amanzio früher Priester des Oratoriums geworden, ein Schwachkopf oder<lb/>
vielmehr mindestens ein halber, wenn nicht ein ganzer Verrückter war, glaubte<lb/>
er von dem ihm anheimgefallnen großen Reichthum keinen Christus wohlge¬<lb/>
fälligem Gebrauch machen zu können, als denselben (1783) zur Bereicherung<lb/>
seines Statthalters und der Nepoten desselben zu verwenden, trotzdem er<lb/>
eine legitime Erbin hatte &#x2014; eine Nichte, Namens Marianne, die zugleich<lb/>
seine Mündel war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1401" next="#ID_1402"> Von seinem ganzen großen Vermögen behielt sich Amanzio nur eine<lb/>
jährliche Rente von 500 Scudi vor, die Pius VI. so großmüthig war, auf<lb/>
eine monatliche dieses Betrags zu erhöhen. Bald zeigte es sich indessen, daß<lb/>
es in dem Gehirn Amanzio's nicht richtig war. Denn er drang eines Tages<lb/>
voll Schrecken in die Gemächer des Papstes, diesem erzählend, in der ver-<lb/>
wichenen Nacht sei der Kämmerer Nardini feurig und unter Kettengerafsel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] Kammer, kurz Alle, die auf Pius VI. Rücksicht zu nehmen, oder bei ihm etwas zu suchen hatten, sandten diesem Lieblingspaare des unfehlbaren Kirchen¬ oberhauptes die sprechendsten Beweise der hohen Werthschätzung, die dessen reine Tugenden aller Welt einflößten. So verlieh z. B. König Mctor Ama- deus III. von Sardinien dem Grafen Ludwig eine Komthurei (1785) die über 2000 Thaler eintrug, ernannte ihn gleichzeitig zum Kommandeur seines höchsten Ordens und sandte ihm das reich mit Diamanten besetzte Großkreuz desselben. Als Pius VI. im nächsten Jahre (18. Decbr. 1786) den zweiten Sohn seiner Schwester, Raumald von Braschi-Onesti, zum Cardinal beförderte, gab ihm das erwünschten Anlaß, auch dessen ältern Bruder Ludwig in dem¬ selben Konsistorium zum Herzog von Nenn zu erheben, nach einer ihm ge¬ hörenden Besitzung am reizenden See dieses Mannes. Um sich seinem Oheim zu empfehlen, sandten die seitherigen und die mit ihm neu ernannten Car¬ dinäle so wie der römische Adel Raumald Geschenke von über 100,000 Scudi an Werth, und zwar zu einer Zeit, wo die Bevölkerung Roms wieder ein¬ mal von fürchterlicher Hungersnoth heimgesucht wurde und zugleich die aus¬ getretene Tiber Jammer und Elend über Tausende von Menschen ausgoß. Daneben erlaubte Pius VI. seinem Neffen den ausgedehntesten Mißbrauch der abscheulichsten Monopole, so z. B. jedem Privaten verbotenen Auflauf des Oels und die Alleinausfuhr des Getreides, was die Vertheuerung der Lebensbedürfnisse zumeist verschuldete, und veranlaßte daß diesem heil. Vater von den Römern in Pasquillen häufig arg mitgespielt wurde. Am übelsten und verdientesten freilich anläßlich der berüchtigten Lep¬ rischen Erbschaft. Amanzio Lepri hieß der letzte männliche Nachkomme eines sehr reichen Mailänders und war durch den Tod seiner älteren Brüder Erbe des ganzen, über eine Million Scudi betragenden, väterlichen Vermögens. Da Amanzio früher Priester des Oratoriums geworden, ein Schwachkopf oder vielmehr mindestens ein halber, wenn nicht ein ganzer Verrückter war, glaubte er von dem ihm anheimgefallnen großen Reichthum keinen Christus wohlge¬ fälligem Gebrauch machen zu können, als denselben (1783) zur Bereicherung seines Statthalters und der Nepoten desselben zu verwenden, trotzdem er eine legitime Erbin hatte — eine Nichte, Namens Marianne, die zugleich seine Mündel war. Von seinem ganzen großen Vermögen behielt sich Amanzio nur eine jährliche Rente von 500 Scudi vor, die Pius VI. so großmüthig war, auf eine monatliche dieses Betrags zu erhöhen. Bald zeigte es sich indessen, daß es in dem Gehirn Amanzio's nicht richtig war. Denn er drang eines Tages voll Schrecken in die Gemächer des Papstes, diesem erzählend, in der ver- wichenen Nacht sei der Kämmerer Nardini feurig und unter Kettengerafsel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/392>, abgerufen am 22.07.2024.