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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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ihnen zu Hülfe, und mit ö bis 6 Knoten wurden alle glacialen Schwierigkeiten Sieg,
reich überwunden. Um 3 Uhr Nachmittags begegnete die Germania einer
Kette von Schollen, die ein unverkennbar oceanisches Ansehen zeigten, auch
hörte man nun deutlich die Brandung des Meeres. Die Freude an Bord
war unbeschreiblich und sie bedachten sich keinen Augenblick, mit sieben Knoten
Fahrt in dieses Eislabyrinth hineinzurennen. Das Schiff stöhnte und ächzte
von der Gewalt des Andranges und der Hintersteven bekam einen Stoß, daß
der Kapitän einen Augenblick für die dort nicht so starke Verbindung der
Balken fürchtete. Doch die Germania hielt sich gut. Durch den gewaltigen
Druck des Windes getrieben, wälzte sie sich hindurch und nach kurzer Zeit
glitt sie hinaus ins freie Wasser, wo die so lang entbehrte Dünung des
Atlantischen Oceans sie begrüßte. Was fragten die kühnen Männer jetzt nach
dem Nebel, der wie eine drohende weiße Mauer dicht geballt wiederum her¬
aufkam? was kümmerten sie die Eisblöcke, denen sie immer noch begegneten,
oder noch zu erwartende Stürme? Sie hatten offenes Wasser, hatten Seeraum
und das ist ja Alles was ein Schiffer nöthig hat. Eine gewaltige See. noch
vom letzten Sturm aufgeregt, kam ihnen entgegen, und setzte die Eisblöcke,
durch die das Schiff hindurch mußte, in gefahrdrohende Bewegung. Aber
Alles ging gut. Noch eine Stunde, und auch das letzte Stück Eis war im
Nebel verschwunden. Unter Südostkurs ging es jetzt ungehindert auf die
Weser zu.

"Nz^ -waten is out," pflegte der alte Scoresby zu sagen, wenn er aus
dem grönländischen Eise kam und sich im offenen Meer befand. "Meine
Wache ist aus" sagte Kapitän Koldewey zu Herrn Sengstake, indem er sich
zur Ruhe begab, mit einem Gefühl der Sicherheit und Behaglichkeit wie seit
langem nicht. Ging es doch der deutschen Heimath entgegen und stand doch
nichts der Hoffnung mehr im Wege, daß sie bald werde erreicht sein. Der
Kapitän wählte den Weg an Island vorbei zwischen den Faröern und
Shetlands - Inseln hindurch, um im Golfstrom und an dessen Zusammenfluß
mit dem Polarstrom noch einige Lothungen und Temperaturmessungen vor¬
nehmen zu können, an denen jedoch das bis zur Weser anhaltende stürmische
Wetter hinderte. -- Am 10. September, in der Nähe Helgolands, lief der
Wind nach Nordwest um und machte es möglich, das Land anzukaufen.
Morgens mit Tagesanbruch erkannten sie, ohne bisher einen Lootsen gesehen
zu haben, Langerooge. und steuerten nun längs dem Südwall der Weser¬
mündung entgegen. Von Schiffen keine Spur! Die Weser schien ausge¬
storben. Wo stecken die Lootsen? Man muß, da sie sich nicht zeigen, ohne
sie einlaufen. Die Außentonne wird ja wohl zu finden sein, da ist ja schon
der Kirchthurm von Wangerooge. Nichts ahnend steuern sie weiter; der
Thurm pelle Südsüdwest, er pelle Südwest zu Süd-Süd-West, aber keine


Grenzvoten III. 1874. 48

ihnen zu Hülfe, und mit ö bis 6 Knoten wurden alle glacialen Schwierigkeiten Sieg,
reich überwunden. Um 3 Uhr Nachmittags begegnete die Germania einer
Kette von Schollen, die ein unverkennbar oceanisches Ansehen zeigten, auch
hörte man nun deutlich die Brandung des Meeres. Die Freude an Bord
war unbeschreiblich und sie bedachten sich keinen Augenblick, mit sieben Knoten
Fahrt in dieses Eislabyrinth hineinzurennen. Das Schiff stöhnte und ächzte
von der Gewalt des Andranges und der Hintersteven bekam einen Stoß, daß
der Kapitän einen Augenblick für die dort nicht so starke Verbindung der
Balken fürchtete. Doch die Germania hielt sich gut. Durch den gewaltigen
Druck des Windes getrieben, wälzte sie sich hindurch und nach kurzer Zeit
glitt sie hinaus ins freie Wasser, wo die so lang entbehrte Dünung des
Atlantischen Oceans sie begrüßte. Was fragten die kühnen Männer jetzt nach
dem Nebel, der wie eine drohende weiße Mauer dicht geballt wiederum her¬
aufkam? was kümmerten sie die Eisblöcke, denen sie immer noch begegneten,
oder noch zu erwartende Stürme? Sie hatten offenes Wasser, hatten Seeraum
und das ist ja Alles was ein Schiffer nöthig hat. Eine gewaltige See. noch
vom letzten Sturm aufgeregt, kam ihnen entgegen, und setzte die Eisblöcke,
durch die das Schiff hindurch mußte, in gefahrdrohende Bewegung. Aber
Alles ging gut. Noch eine Stunde, und auch das letzte Stück Eis war im
Nebel verschwunden. Unter Südostkurs ging es jetzt ungehindert auf die
Weser zu.

„Nz^ -waten is out," pflegte der alte Scoresby zu sagen, wenn er aus
dem grönländischen Eise kam und sich im offenen Meer befand. „Meine
Wache ist aus" sagte Kapitän Koldewey zu Herrn Sengstake, indem er sich
zur Ruhe begab, mit einem Gefühl der Sicherheit und Behaglichkeit wie seit
langem nicht. Ging es doch der deutschen Heimath entgegen und stand doch
nichts der Hoffnung mehr im Wege, daß sie bald werde erreicht sein. Der
Kapitän wählte den Weg an Island vorbei zwischen den Faröern und
Shetlands - Inseln hindurch, um im Golfstrom und an dessen Zusammenfluß
mit dem Polarstrom noch einige Lothungen und Temperaturmessungen vor¬
nehmen zu können, an denen jedoch das bis zur Weser anhaltende stürmische
Wetter hinderte. — Am 10. September, in der Nähe Helgolands, lief der
Wind nach Nordwest um und machte es möglich, das Land anzukaufen.
Morgens mit Tagesanbruch erkannten sie, ohne bisher einen Lootsen gesehen
zu haben, Langerooge. und steuerten nun längs dem Südwall der Weser¬
mündung entgegen. Von Schiffen keine Spur! Die Weser schien ausge¬
storben. Wo stecken die Lootsen? Man muß, da sie sich nicht zeigen, ohne
sie einlaufen. Die Außentonne wird ja wohl zu finden sein, da ist ja schon
der Kirchthurm von Wangerooge. Nichts ahnend steuern sie weiter; der
Thurm pelle Südsüdwest, er pelle Südwest zu Süd-Süd-West, aber keine


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[0385] ihnen zu Hülfe, und mit ö bis 6 Knoten wurden alle glacialen Schwierigkeiten Sieg, reich überwunden. Um 3 Uhr Nachmittags begegnete die Germania einer Kette von Schollen, die ein unverkennbar oceanisches Ansehen zeigten, auch hörte man nun deutlich die Brandung des Meeres. Die Freude an Bord war unbeschreiblich und sie bedachten sich keinen Augenblick, mit sieben Knoten Fahrt in dieses Eislabyrinth hineinzurennen. Das Schiff stöhnte und ächzte von der Gewalt des Andranges und der Hintersteven bekam einen Stoß, daß der Kapitän einen Augenblick für die dort nicht so starke Verbindung der Balken fürchtete. Doch die Germania hielt sich gut. Durch den gewaltigen Druck des Windes getrieben, wälzte sie sich hindurch und nach kurzer Zeit glitt sie hinaus ins freie Wasser, wo die so lang entbehrte Dünung des Atlantischen Oceans sie begrüßte. Was fragten die kühnen Männer jetzt nach dem Nebel, der wie eine drohende weiße Mauer dicht geballt wiederum her¬ aufkam? was kümmerten sie die Eisblöcke, denen sie immer noch begegneten, oder noch zu erwartende Stürme? Sie hatten offenes Wasser, hatten Seeraum und das ist ja Alles was ein Schiffer nöthig hat. Eine gewaltige See. noch vom letzten Sturm aufgeregt, kam ihnen entgegen, und setzte die Eisblöcke, durch die das Schiff hindurch mußte, in gefahrdrohende Bewegung. Aber Alles ging gut. Noch eine Stunde, und auch das letzte Stück Eis war im Nebel verschwunden. Unter Südostkurs ging es jetzt ungehindert auf die Weser zu. „Nz^ -waten is out," pflegte der alte Scoresby zu sagen, wenn er aus dem grönländischen Eise kam und sich im offenen Meer befand. „Meine Wache ist aus" sagte Kapitän Koldewey zu Herrn Sengstake, indem er sich zur Ruhe begab, mit einem Gefühl der Sicherheit und Behaglichkeit wie seit langem nicht. Ging es doch der deutschen Heimath entgegen und stand doch nichts der Hoffnung mehr im Wege, daß sie bald werde erreicht sein. Der Kapitän wählte den Weg an Island vorbei zwischen den Faröern und Shetlands - Inseln hindurch, um im Golfstrom und an dessen Zusammenfluß mit dem Polarstrom noch einige Lothungen und Temperaturmessungen vor¬ nehmen zu können, an denen jedoch das bis zur Weser anhaltende stürmische Wetter hinderte. — Am 10. September, in der Nähe Helgolands, lief der Wind nach Nordwest um und machte es möglich, das Land anzukaufen. Morgens mit Tagesanbruch erkannten sie, ohne bisher einen Lootsen gesehen zu haben, Langerooge. und steuerten nun längs dem Südwall der Weser¬ mündung entgegen. Von Schiffen keine Spur! Die Weser schien ausge¬ storben. Wo stecken die Lootsen? Man muß, da sie sich nicht zeigen, ohne sie einlaufen. Die Außentonne wird ja wohl zu finden sein, da ist ja schon der Kirchthurm von Wangerooge. Nichts ahnend steuern sie weiter; der Thurm pelle Südsüdwest, er pelle Südwest zu Süd-Süd-West, aber keine Grenzvoten III. 1874. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/385>, abgerufen am 22.07.2024.