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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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gesehen. Sie berichten darüber kurz Folgendes: "Welch ein unerwarteter
Anblick bot sich hier dem entzückten Auge! Ein ungeheuerer, mit zahllosen
schimmernden Eisbergen bedeckter Fjord lag gegen Westen zu unsern Füßen,
mit seinen Verzweigungen hohe begletscherte Felsmassen von bedeutender
Größe, zum Theil wirkliche Inseln umschließend, von schroffen Wänden um¬
gürtet und an seiner Ausmündung von unzähligen kleinen Inseln bedeckt.
Ueber zehn deutsche Meilen weit gegen Westen sahen wir, daß einer der
Hauptarme des Fjords am Fuße eines gegen 2600 Meter hohen Gebirgs-
kammes in südwestlicher Richtung abbog. Gegen Süden trat das einsame
Felskap Parry, dem Andrange des Packeises trotzend, weit in die See und
über ein noch ungelöstes geographisches Problem, aus Baien, Landzungen,
Gebirgszügen, Gletschern zusammengesetzt, hinweg schweifte der Blick zu den
an 15 deutsche Meilen entfernten, wohl weit über 3000 Meter hohen Werner-
Bergen (südwestlich) mit ihren an die Dolomitgebirge Südtirols erinnernden
Formen. -- Nach Osten lag schweigend und starr, bis an den äußersten
Horizont reichend, eine weiße Fläche, durch welche wir in einigen Tagen den
Rückweg nach Europa finden sollten, das Packeis."

Bei Bennet wurde Mittagsrast mit dem Boot gehalten. Hier stauten
sich die Eismassen, so daß erst um Mitternacht das Schiff zu erreichen war.
Die Germania lichtete schon am 9. August Morgens die Anker und
dampfte, wenn auch mühevoll, doch mit solchem Erfolge dem neuentdeckten
Fjorde entgegen, daß schon Nachmittags 3 Uhr Kap Franklin passirt und in
die einsamen, bislang noch von keinem Kiel durchfurchten Gewässer eingelau¬
fen werden konnte. Dahinten lag das Eis mit seinen Gefahren und ewigen
Hindernissen für die Schifffahrt und frei und leicht glitt der Dampfer über
einen sich scheinbar endlos ausdehnenden regungslosen, tiefblauen Meeresarm
dahin, zu beiden Seiten die mächtigen Berge Grönlands, die immer höher
und höher bis zu himmelanstrebenden schneebedeckten Kuppen und Zacken an¬
steigen und umgeben von Eisbergen, weiter und weiter in unbekannte Fernen
hinein! Anfangs steuerte das Schiff längs dem nördlichen User des Fjords, doch
da dieser Arm bald in einem ungeheuren Gletscher zu enden schien, so wurde
nach der Südseite des Fjords hinübergesteuert. Längs dieser steilen Küsten
dampfend, gelangte die Germania Morgens 2 Uhr (10. Aug.) in einen engeren
Fjordarm, der an großartiger Naturschönheit mit den romantischsten Alpen¬
gegenden wetteifern konnte. Payer gibt davon folgende treffliche Schilderung:
"Wir waren in einem Kessel angelangt, dessen Ufer Felsen bildeten, wie ich
sie in herrlichern Formen und Farben noch nie gesehen hatte. Die Eigen¬
thümlichkeiten der alpinen Welt: ungeheure Wände, tiefe Erosionsspalten,
wilde Hochspitzen, gewaltige und zerrissene Gletscher, tobende Abflüsse und
Wasserfälle u. s. w., welche bei uns in so ausgezeichneter Weise gewöhnlich


gesehen. Sie berichten darüber kurz Folgendes: „Welch ein unerwarteter
Anblick bot sich hier dem entzückten Auge! Ein ungeheuerer, mit zahllosen
schimmernden Eisbergen bedeckter Fjord lag gegen Westen zu unsern Füßen,
mit seinen Verzweigungen hohe begletscherte Felsmassen von bedeutender
Größe, zum Theil wirkliche Inseln umschließend, von schroffen Wänden um¬
gürtet und an seiner Ausmündung von unzähligen kleinen Inseln bedeckt.
Ueber zehn deutsche Meilen weit gegen Westen sahen wir, daß einer der
Hauptarme des Fjords am Fuße eines gegen 2600 Meter hohen Gebirgs-
kammes in südwestlicher Richtung abbog. Gegen Süden trat das einsame
Felskap Parry, dem Andrange des Packeises trotzend, weit in die See und
über ein noch ungelöstes geographisches Problem, aus Baien, Landzungen,
Gebirgszügen, Gletschern zusammengesetzt, hinweg schweifte der Blick zu den
an 15 deutsche Meilen entfernten, wohl weit über 3000 Meter hohen Werner-
Bergen (südwestlich) mit ihren an die Dolomitgebirge Südtirols erinnernden
Formen. — Nach Osten lag schweigend und starr, bis an den äußersten
Horizont reichend, eine weiße Fläche, durch welche wir in einigen Tagen den
Rückweg nach Europa finden sollten, das Packeis."

Bei Bennet wurde Mittagsrast mit dem Boot gehalten. Hier stauten
sich die Eismassen, so daß erst um Mitternacht das Schiff zu erreichen war.
Die Germania lichtete schon am 9. August Morgens die Anker und
dampfte, wenn auch mühevoll, doch mit solchem Erfolge dem neuentdeckten
Fjorde entgegen, daß schon Nachmittags 3 Uhr Kap Franklin passirt und in
die einsamen, bislang noch von keinem Kiel durchfurchten Gewässer eingelau¬
fen werden konnte. Dahinten lag das Eis mit seinen Gefahren und ewigen
Hindernissen für die Schifffahrt und frei und leicht glitt der Dampfer über
einen sich scheinbar endlos ausdehnenden regungslosen, tiefblauen Meeresarm
dahin, zu beiden Seiten die mächtigen Berge Grönlands, die immer höher
und höher bis zu himmelanstrebenden schneebedeckten Kuppen und Zacken an¬
steigen und umgeben von Eisbergen, weiter und weiter in unbekannte Fernen
hinein! Anfangs steuerte das Schiff längs dem nördlichen User des Fjords, doch
da dieser Arm bald in einem ungeheuren Gletscher zu enden schien, so wurde
nach der Südseite des Fjords hinübergesteuert. Längs dieser steilen Küsten
dampfend, gelangte die Germania Morgens 2 Uhr (10. Aug.) in einen engeren
Fjordarm, der an großartiger Naturschönheit mit den romantischsten Alpen¬
gegenden wetteifern konnte. Payer gibt davon folgende treffliche Schilderung:
„Wir waren in einem Kessel angelangt, dessen Ufer Felsen bildeten, wie ich
sie in herrlichern Formen und Farben noch nie gesehen hatte. Die Eigen¬
thümlichkeiten der alpinen Welt: ungeheure Wände, tiefe Erosionsspalten,
wilde Hochspitzen, gewaltige und zerrissene Gletscher, tobende Abflüsse und
Wasserfälle u. s. w., welche bei uns in so ausgezeichneter Weise gewöhnlich


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[0380] gesehen. Sie berichten darüber kurz Folgendes: „Welch ein unerwarteter Anblick bot sich hier dem entzückten Auge! Ein ungeheuerer, mit zahllosen schimmernden Eisbergen bedeckter Fjord lag gegen Westen zu unsern Füßen, mit seinen Verzweigungen hohe begletscherte Felsmassen von bedeutender Größe, zum Theil wirkliche Inseln umschließend, von schroffen Wänden um¬ gürtet und an seiner Ausmündung von unzähligen kleinen Inseln bedeckt. Ueber zehn deutsche Meilen weit gegen Westen sahen wir, daß einer der Hauptarme des Fjords am Fuße eines gegen 2600 Meter hohen Gebirgs- kammes in südwestlicher Richtung abbog. Gegen Süden trat das einsame Felskap Parry, dem Andrange des Packeises trotzend, weit in die See und über ein noch ungelöstes geographisches Problem, aus Baien, Landzungen, Gebirgszügen, Gletschern zusammengesetzt, hinweg schweifte der Blick zu den an 15 deutsche Meilen entfernten, wohl weit über 3000 Meter hohen Werner- Bergen (südwestlich) mit ihren an die Dolomitgebirge Südtirols erinnernden Formen. — Nach Osten lag schweigend und starr, bis an den äußersten Horizont reichend, eine weiße Fläche, durch welche wir in einigen Tagen den Rückweg nach Europa finden sollten, das Packeis." Bei Bennet wurde Mittagsrast mit dem Boot gehalten. Hier stauten sich die Eismassen, so daß erst um Mitternacht das Schiff zu erreichen war. Die Germania lichtete schon am 9. August Morgens die Anker und dampfte, wenn auch mühevoll, doch mit solchem Erfolge dem neuentdeckten Fjorde entgegen, daß schon Nachmittags 3 Uhr Kap Franklin passirt und in die einsamen, bislang noch von keinem Kiel durchfurchten Gewässer eingelau¬ fen werden konnte. Dahinten lag das Eis mit seinen Gefahren und ewigen Hindernissen für die Schifffahrt und frei und leicht glitt der Dampfer über einen sich scheinbar endlos ausdehnenden regungslosen, tiefblauen Meeresarm dahin, zu beiden Seiten die mächtigen Berge Grönlands, die immer höher und höher bis zu himmelanstrebenden schneebedeckten Kuppen und Zacken an¬ steigen und umgeben von Eisbergen, weiter und weiter in unbekannte Fernen hinein! Anfangs steuerte das Schiff längs dem nördlichen User des Fjords, doch da dieser Arm bald in einem ungeheuren Gletscher zu enden schien, so wurde nach der Südseite des Fjords hinübergesteuert. Längs dieser steilen Küsten dampfend, gelangte die Germania Morgens 2 Uhr (10. Aug.) in einen engeren Fjordarm, der an großartiger Naturschönheit mit den romantischsten Alpen¬ gegenden wetteifern konnte. Payer gibt davon folgende treffliche Schilderung: „Wir waren in einem Kessel angelangt, dessen Ufer Felsen bildeten, wie ich sie in herrlichern Formen und Farben noch nie gesehen hatte. Die Eigen¬ thümlichkeiten der alpinen Welt: ungeheure Wände, tiefe Erosionsspalten, wilde Hochspitzen, gewaltige und zerrissene Gletscher, tobende Abflüsse und Wasserfälle u. s. w., welche bei uns in so ausgezeichneter Weise gewöhnlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/380>, abgerufen am 22.07.2024.