Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Da nun die Prophezeiung im Oriente, von welcher Suetonius spricht,
sich so oder so erfüllt hat und da auch die Wahrsagungen des Nostradamus
und der Pariser Kartenschlägerin eingetroffen sind, so müßte es doch mit
wunderlichen Dingen zugehen, wenn das nicht auch der Fall wäre mit einer
andern Weissagung, welche dem rachebedürftigen französischen Herzen volle
Befriedigung in Aussicht stellt, die Vernichtung Deutschlands und den
Triumph der Franzosen und dann auch den Untergang des Ketzerthums ver¬
kündigt. So will es das unabwendbare Geschick.

Trost und Zuversicht schöpft man an der Seine aus den "Weissa¬
gungen" des Mönches Hermann von Lehnin, dem Vatiemium
ieknillönse. In der Welt wußte man nichts von den einhundert leoninischen
Versen im schlechtesten Mönchslatein, bis Lilienthal in Königsberg sie 1722
im "Gelehrten Preußen" drucken ließ. Als Verfasser wurde ein Mönch,
Hermann im Kloster Lehnin in der Mark angegeben, der um 1234 geschrieben
habe. Er klagt über das Erlöschen des Herrscherstammes der Askanier, welcher
in Lehnin sein Erbbegräbniß hatte; er schildert prophetisch die verwirrten
Zustände, welche während des ganzen Mittelalters in der Mark Branden¬
burg herrschten; er ist übel zu sprechen auf die Fürsten aus dem Hause
Hohenzollern, deren Ende kommen werde mit dem Zwölften. Der ist Friedrich
Wilhelm der Vierte gewesen.

Die Kritik ist darüber einig, daß diese allerdings interessante "Weissagung"
in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts geschrieben worden sei,
über den Verfasser ist man heute noch nicht im Klaren. Bemerkenswerth
bleibt immerhin, daß viele Verse, welche sich auf Ereignisse seit Anfang des
Vongen Jahrhunderts beziehen, bei "richtiger" Auslegung auch richtig zutreffen,
^ind weil dem so sei, müsse auch der vorhergesagte Untergang der Hohenzollern
sich erfüllen. Eine sonst ernsthafte Zeitschrift, (die Revue britannique) hat
sich nun die Mühe gegeben "eine geschichtliche Bestätigung" dieser Prophe¬
zeiungen nachzuweisen. Wir geben einige Proben, um zu zeigen, wie der
Ingrimm gegen Deutschland und die Hohenzollern sich bei jeder Gelegenheit
Luft macht.

Friedrich des Zweiten Vater, der Mann des Tabackscollegiums, trat nicht
in die Spuren seines prachtliebenden Vorgängers. Hermann von Lehnin hat
das fünfhundert Jahre vorher gewußt; er schreibt Vers 76:


Hui LueesLSor "rit, xatris Kana vsstigia. dörn.

Dazu giebt der Franzose die Erläuterung: "Friedrich Wilhelm des Zweiten
Vater wollte Ludwig den Vierzehnten nachäffen. Er liebte den Pomp; sein
Sohn dagegen war ein nordischer Bär, als Gatte brutal, wollte er seine
Frau umbringen, als wilder Vater seinen Sohn todtschießen lassen; als
Staatsverwalter war er allerdings musterhaft, aber er verfolgte die Katholiken (!)


Grenzboten III. 1874. 45

Da nun die Prophezeiung im Oriente, von welcher Suetonius spricht,
sich so oder so erfüllt hat und da auch die Wahrsagungen des Nostradamus
und der Pariser Kartenschlägerin eingetroffen sind, so müßte es doch mit
wunderlichen Dingen zugehen, wenn das nicht auch der Fall wäre mit einer
andern Weissagung, welche dem rachebedürftigen französischen Herzen volle
Befriedigung in Aussicht stellt, die Vernichtung Deutschlands und den
Triumph der Franzosen und dann auch den Untergang des Ketzerthums ver¬
kündigt. So will es das unabwendbare Geschick.

Trost und Zuversicht schöpft man an der Seine aus den „Weissa¬
gungen" des Mönches Hermann von Lehnin, dem Vatiemium
ieknillönse. In der Welt wußte man nichts von den einhundert leoninischen
Versen im schlechtesten Mönchslatein, bis Lilienthal in Königsberg sie 1722
im „Gelehrten Preußen" drucken ließ. Als Verfasser wurde ein Mönch,
Hermann im Kloster Lehnin in der Mark angegeben, der um 1234 geschrieben
habe. Er klagt über das Erlöschen des Herrscherstammes der Askanier, welcher
in Lehnin sein Erbbegräbniß hatte; er schildert prophetisch die verwirrten
Zustände, welche während des ganzen Mittelalters in der Mark Branden¬
burg herrschten; er ist übel zu sprechen auf die Fürsten aus dem Hause
Hohenzollern, deren Ende kommen werde mit dem Zwölften. Der ist Friedrich
Wilhelm der Vierte gewesen.

Die Kritik ist darüber einig, daß diese allerdings interessante „Weissagung"
in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts geschrieben worden sei,
über den Verfasser ist man heute noch nicht im Klaren. Bemerkenswerth
bleibt immerhin, daß viele Verse, welche sich auf Ereignisse seit Anfang des
Vongen Jahrhunderts beziehen, bei „richtiger" Auslegung auch richtig zutreffen,
^ind weil dem so sei, müsse auch der vorhergesagte Untergang der Hohenzollern
sich erfüllen. Eine sonst ernsthafte Zeitschrift, (die Revue britannique) hat
sich nun die Mühe gegeben „eine geschichtliche Bestätigung" dieser Prophe¬
zeiungen nachzuweisen. Wir geben einige Proben, um zu zeigen, wie der
Ingrimm gegen Deutschland und die Hohenzollern sich bei jeder Gelegenheit
Luft macht.

Friedrich des Zweiten Vater, der Mann des Tabackscollegiums, trat nicht
in die Spuren seines prachtliebenden Vorgängers. Hermann von Lehnin hat
das fünfhundert Jahre vorher gewußt; er schreibt Vers 76:


Hui LueesLSor «rit, xatris Kana vsstigia. dörn.

Dazu giebt der Franzose die Erläuterung: „Friedrich Wilhelm des Zweiten
Vater wollte Ludwig den Vierzehnten nachäffen. Er liebte den Pomp; sein
Sohn dagegen war ein nordischer Bär, als Gatte brutal, wollte er seine
Frau umbringen, als wilder Vater seinen Sohn todtschießen lassen; als
Staatsverwalter war er allerdings musterhaft, aber er verfolgte die Katholiken (!)


Grenzboten III. 1874. 45
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132055"/>
          <p xml:id="ID_1298"> Da nun die Prophezeiung im Oriente, von welcher Suetonius spricht,<lb/>
sich so oder so erfüllt hat und da auch die Wahrsagungen des Nostradamus<lb/>
und der Pariser Kartenschlägerin eingetroffen sind, so müßte es doch mit<lb/>
wunderlichen Dingen zugehen, wenn das nicht auch der Fall wäre mit einer<lb/>
andern Weissagung, welche dem rachebedürftigen französischen Herzen volle<lb/>
Befriedigung in Aussicht stellt, die Vernichtung Deutschlands und den<lb/>
Triumph der Franzosen und dann auch den Untergang des Ketzerthums ver¬<lb/>
kündigt.  So will es das unabwendbare Geschick.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1299"> Trost und Zuversicht schöpft man an der Seine aus den &#x201E;Weissa¬<lb/>
gungen" des Mönches Hermann von Lehnin, dem Vatiemium<lb/>
ieknillönse. In der Welt wußte man nichts von den einhundert leoninischen<lb/>
Versen im schlechtesten Mönchslatein, bis Lilienthal in Königsberg sie 1722<lb/>
im &#x201E;Gelehrten Preußen" drucken ließ. Als Verfasser wurde ein Mönch,<lb/>
Hermann im Kloster Lehnin in der Mark angegeben, der um 1234 geschrieben<lb/>
habe. Er klagt über das Erlöschen des Herrscherstammes der Askanier, welcher<lb/>
in Lehnin sein Erbbegräbniß hatte; er schildert prophetisch die verwirrten<lb/>
Zustände, welche während des ganzen Mittelalters in der Mark Branden¬<lb/>
burg herrschten; er ist übel zu sprechen auf die Fürsten aus dem Hause<lb/>
Hohenzollern, deren Ende kommen werde mit dem Zwölften. Der ist Friedrich<lb/>
Wilhelm der Vierte gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300"> Die Kritik ist darüber einig, daß diese allerdings interessante &#x201E;Weissagung"<lb/>
in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts geschrieben worden sei,<lb/>
über den Verfasser ist man heute noch nicht im Klaren. Bemerkenswerth<lb/>
bleibt immerhin, daß viele Verse, welche sich auf Ereignisse seit Anfang des<lb/>
Vongen Jahrhunderts beziehen, bei &#x201E;richtiger" Auslegung auch richtig zutreffen,<lb/>
^ind weil dem so sei, müsse auch der vorhergesagte Untergang der Hohenzollern<lb/>
sich erfüllen. Eine sonst ernsthafte Zeitschrift, (die Revue britannique) hat<lb/>
sich nun die Mühe gegeben &#x201E;eine geschichtliche Bestätigung" dieser Prophe¬<lb/>
zeiungen nachzuweisen. Wir geben einige Proben, um zu zeigen, wie der<lb/>
Ingrimm gegen Deutschland und die Hohenzollern sich bei jeder Gelegenheit<lb/>
Luft macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1301"> Friedrich des Zweiten Vater, der Mann des Tabackscollegiums, trat nicht<lb/>
in die Spuren seines prachtliebenden Vorgängers. Hermann von Lehnin hat<lb/>
das fünfhundert Jahre vorher gewußt; er schreibt Vers 76:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_34" type="poem">
              <l> Hui LueesLSor «rit, xatris Kana vsstigia. dörn.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1302" next="#ID_1303"> Dazu giebt der Franzose die Erläuterung: &#x201E;Friedrich Wilhelm des Zweiten<lb/>
Vater wollte Ludwig den Vierzehnten nachäffen. Er liebte den Pomp; sein<lb/>
Sohn dagegen war ein nordischer Bär, als Gatte brutal, wollte er seine<lb/>
Frau umbringen, als wilder Vater seinen Sohn todtschießen lassen; als<lb/>
Staatsverwalter war er allerdings musterhaft, aber er verfolgte die Katholiken (!)</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1874. 45</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0361] Da nun die Prophezeiung im Oriente, von welcher Suetonius spricht, sich so oder so erfüllt hat und da auch die Wahrsagungen des Nostradamus und der Pariser Kartenschlägerin eingetroffen sind, so müßte es doch mit wunderlichen Dingen zugehen, wenn das nicht auch der Fall wäre mit einer andern Weissagung, welche dem rachebedürftigen französischen Herzen volle Befriedigung in Aussicht stellt, die Vernichtung Deutschlands und den Triumph der Franzosen und dann auch den Untergang des Ketzerthums ver¬ kündigt. So will es das unabwendbare Geschick. Trost und Zuversicht schöpft man an der Seine aus den „Weissa¬ gungen" des Mönches Hermann von Lehnin, dem Vatiemium ieknillönse. In der Welt wußte man nichts von den einhundert leoninischen Versen im schlechtesten Mönchslatein, bis Lilienthal in Königsberg sie 1722 im „Gelehrten Preußen" drucken ließ. Als Verfasser wurde ein Mönch, Hermann im Kloster Lehnin in der Mark angegeben, der um 1234 geschrieben habe. Er klagt über das Erlöschen des Herrscherstammes der Askanier, welcher in Lehnin sein Erbbegräbniß hatte; er schildert prophetisch die verwirrten Zustände, welche während des ganzen Mittelalters in der Mark Branden¬ burg herrschten; er ist übel zu sprechen auf die Fürsten aus dem Hause Hohenzollern, deren Ende kommen werde mit dem Zwölften. Der ist Friedrich Wilhelm der Vierte gewesen. Die Kritik ist darüber einig, daß diese allerdings interessante „Weissagung" in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts geschrieben worden sei, über den Verfasser ist man heute noch nicht im Klaren. Bemerkenswerth bleibt immerhin, daß viele Verse, welche sich auf Ereignisse seit Anfang des Vongen Jahrhunderts beziehen, bei „richtiger" Auslegung auch richtig zutreffen, ^ind weil dem so sei, müsse auch der vorhergesagte Untergang der Hohenzollern sich erfüllen. Eine sonst ernsthafte Zeitschrift, (die Revue britannique) hat sich nun die Mühe gegeben „eine geschichtliche Bestätigung" dieser Prophe¬ zeiungen nachzuweisen. Wir geben einige Proben, um zu zeigen, wie der Ingrimm gegen Deutschland und die Hohenzollern sich bei jeder Gelegenheit Luft macht. Friedrich des Zweiten Vater, der Mann des Tabackscollegiums, trat nicht in die Spuren seines prachtliebenden Vorgängers. Hermann von Lehnin hat das fünfhundert Jahre vorher gewußt; er schreibt Vers 76: Hui LueesLSor «rit, xatris Kana vsstigia. dörn. Dazu giebt der Franzose die Erläuterung: „Friedrich Wilhelm des Zweiten Vater wollte Ludwig den Vierzehnten nachäffen. Er liebte den Pomp; sein Sohn dagegen war ein nordischer Bär, als Gatte brutal, wollte er seine Frau umbringen, als wilder Vater seinen Sohn todtschießen lassen; als Staatsverwalter war er allerdings musterhaft, aber er verfolgte die Katholiken (!) Grenzboten III. 1874. 45

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/361
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/361>, abgerufen am 22.07.2024.