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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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verkommen) weit übertrifft, steht an Kraft und Gefährlichkeit weder dem
Löwen noch dem Tiger nach. Aber die kalte Zone, in der er lebt, hat sein
Blut abgekühlt, er ist bedächtig und mißtrauisch. Die widersprechenden Be¬
richte über seinen Muth erklärt der Umstand, daß sich aus dem Verhalten
eines Bären nie auf das eines anderen schließen läßt, daß somit jeder indi¬
viduell auftritt und von dem jeweiligen Nahrungsbedürfnisfe geleitet wird.
Er lebt vorzugsweise von Seehunden, lauert ihnen an Eisspalten auf und
überfällt die auf Eisflössen sich formenden mit der Hinterlist des Tigers, mit
dem er überhaupt die geräuschlose Annäherung gemein hat. -- Er verfolgt
auch die untertauchenden Robben, denn er ist ein gewaltiger Schwimmer und
nur das Rennthier übertrifft ihn an Schnelligkeit. Ueber zerrissene Felshänge
klettert er mit katzenartiger Gewandtheit; dazu, wie zur Sicherheit, auf glatten
oder geneigten Eisflächen, befähigen ihn die Rauheit seiner Sohlen, seine
Klauen und die Behaarung seiner Tatzen. Einem getödteten Eisbären zog
Payer die Felle von den Hinterfüßen ab, säuberte sie mühsam vom Fett, rieb
sie mit Alaun ein und zog sie selbst an, -- es waren prächtige warme
Strümpfe, denn der Bär hatte gute Sohlen, leider gingen sie im Winter bet
einem Brande im Schiffe zu Grunde. -- Da sich die Seehunde vorzugsweise
im Packeise oder an dessen äußeren Kanten aufzuhalten pflegen, so ist auch
der Bär während des Sommers daselbst ein gewöhnlicher Gast. Er folgt
den Robbenschlägern Schritt auf Schritt, um die abgehäuteten Thiere zu ver¬
zehren, oder schwimmt im Ueberflusse schwelgend auf der Riesenleiche eines
Wales einher. Der Bär tödtet seine Beute, bevor er von ihr frißt, doch
liebt er es, vorher mit ihr zu spielen. -- Den übermäßigen Genuß fetter
Robben pflegt der Bär durch jene nahrhaften Enteneier zu unterbrechen, und
wenige Stunden genügen ihm, auf einer kleinen Insel damit völlig aufzu¬
räumen. -- Ist man unbewaffnet, so kann den Bären eine, auffälliges Mi߬
trauen verrathende Bewegung beunruhigen, seine Gewaltthätigkeit heraus¬
fordern. Doppelt bedenklich aber ist es, ihm in der Dunkelheit zu begegnen
und von ihm dann für einen Seehund gehalten zu werden, ein Mißverständniß,
das sich erst aufklärt, wenn es zu spät ist. Ist man bewaffnet, so flößt dem
Thiere die Ruhe seines Gegners und die Politik der freien Hand Wohlgefallen
und Achtung ein. Doch der Bär verdient auch unser Mitleid. Sein Leben
bildet eine Kette von Nahrungssorgen, obgleich er gegen die Kälte durch eine
mehrere Zoll dicke Fettschicht geschützt ist. Einst fanden wir in dem Magen
eines solchen -- welcher dem Belagerungscorps angehört hatte, das unser
eingefrorenes Schiff im Winter und Frühjahr unausgesetzt beobachtete und
uns zur höchsten Vorsicht zwang -- nichts als einen von unseren Schneidern
weggeworfenen Flanelllappen, und bei vielen anderen war derselbe ganz leer-
Zuweilen enthielten die Magen von getödteten Bären nur eine Menge


verkommen) weit übertrifft, steht an Kraft und Gefährlichkeit weder dem
Löwen noch dem Tiger nach. Aber die kalte Zone, in der er lebt, hat sein
Blut abgekühlt, er ist bedächtig und mißtrauisch. Die widersprechenden Be¬
richte über seinen Muth erklärt der Umstand, daß sich aus dem Verhalten
eines Bären nie auf das eines anderen schließen läßt, daß somit jeder indi¬
viduell auftritt und von dem jeweiligen Nahrungsbedürfnisfe geleitet wird.
Er lebt vorzugsweise von Seehunden, lauert ihnen an Eisspalten auf und
überfällt die auf Eisflössen sich formenden mit der Hinterlist des Tigers, mit
dem er überhaupt die geräuschlose Annäherung gemein hat. — Er verfolgt
auch die untertauchenden Robben, denn er ist ein gewaltiger Schwimmer und
nur das Rennthier übertrifft ihn an Schnelligkeit. Ueber zerrissene Felshänge
klettert er mit katzenartiger Gewandtheit; dazu, wie zur Sicherheit, auf glatten
oder geneigten Eisflächen, befähigen ihn die Rauheit seiner Sohlen, seine
Klauen und die Behaarung seiner Tatzen. Einem getödteten Eisbären zog
Payer die Felle von den Hinterfüßen ab, säuberte sie mühsam vom Fett, rieb
sie mit Alaun ein und zog sie selbst an, — es waren prächtige warme
Strümpfe, denn der Bär hatte gute Sohlen, leider gingen sie im Winter bet
einem Brande im Schiffe zu Grunde. — Da sich die Seehunde vorzugsweise
im Packeise oder an dessen äußeren Kanten aufzuhalten pflegen, so ist auch
der Bär während des Sommers daselbst ein gewöhnlicher Gast. Er folgt
den Robbenschlägern Schritt auf Schritt, um die abgehäuteten Thiere zu ver¬
zehren, oder schwimmt im Ueberflusse schwelgend auf der Riesenleiche eines
Wales einher. Der Bär tödtet seine Beute, bevor er von ihr frißt, doch
liebt er es, vorher mit ihr zu spielen. — Den übermäßigen Genuß fetter
Robben pflegt der Bär durch jene nahrhaften Enteneier zu unterbrechen, und
wenige Stunden genügen ihm, auf einer kleinen Insel damit völlig aufzu¬
räumen. — Ist man unbewaffnet, so kann den Bären eine, auffälliges Mi߬
trauen verrathende Bewegung beunruhigen, seine Gewaltthätigkeit heraus¬
fordern. Doppelt bedenklich aber ist es, ihm in der Dunkelheit zu begegnen
und von ihm dann für einen Seehund gehalten zu werden, ein Mißverständniß,
das sich erst aufklärt, wenn es zu spät ist. Ist man bewaffnet, so flößt dem
Thiere die Ruhe seines Gegners und die Politik der freien Hand Wohlgefallen
und Achtung ein. Doch der Bär verdient auch unser Mitleid. Sein Leben
bildet eine Kette von Nahrungssorgen, obgleich er gegen die Kälte durch eine
mehrere Zoll dicke Fettschicht geschützt ist. Einst fanden wir in dem Magen
eines solchen — welcher dem Belagerungscorps angehört hatte, das unser
eingefrorenes Schiff im Winter und Frühjahr unausgesetzt beobachtete und
uns zur höchsten Vorsicht zwang — nichts als einen von unseren Schneidern
weggeworfenen Flanelllappen, und bei vielen anderen war derselbe ganz leer-
Zuweilen enthielten die Magen von getödteten Bären nur eine Menge


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[0348] verkommen) weit übertrifft, steht an Kraft und Gefährlichkeit weder dem Löwen noch dem Tiger nach. Aber die kalte Zone, in der er lebt, hat sein Blut abgekühlt, er ist bedächtig und mißtrauisch. Die widersprechenden Be¬ richte über seinen Muth erklärt der Umstand, daß sich aus dem Verhalten eines Bären nie auf das eines anderen schließen läßt, daß somit jeder indi¬ viduell auftritt und von dem jeweiligen Nahrungsbedürfnisfe geleitet wird. Er lebt vorzugsweise von Seehunden, lauert ihnen an Eisspalten auf und überfällt die auf Eisflössen sich formenden mit der Hinterlist des Tigers, mit dem er überhaupt die geräuschlose Annäherung gemein hat. — Er verfolgt auch die untertauchenden Robben, denn er ist ein gewaltiger Schwimmer und nur das Rennthier übertrifft ihn an Schnelligkeit. Ueber zerrissene Felshänge klettert er mit katzenartiger Gewandtheit; dazu, wie zur Sicherheit, auf glatten oder geneigten Eisflächen, befähigen ihn die Rauheit seiner Sohlen, seine Klauen und die Behaarung seiner Tatzen. Einem getödteten Eisbären zog Payer die Felle von den Hinterfüßen ab, säuberte sie mühsam vom Fett, rieb sie mit Alaun ein und zog sie selbst an, — es waren prächtige warme Strümpfe, denn der Bär hatte gute Sohlen, leider gingen sie im Winter bet einem Brande im Schiffe zu Grunde. — Da sich die Seehunde vorzugsweise im Packeise oder an dessen äußeren Kanten aufzuhalten pflegen, so ist auch der Bär während des Sommers daselbst ein gewöhnlicher Gast. Er folgt den Robbenschlägern Schritt auf Schritt, um die abgehäuteten Thiere zu ver¬ zehren, oder schwimmt im Ueberflusse schwelgend auf der Riesenleiche eines Wales einher. Der Bär tödtet seine Beute, bevor er von ihr frißt, doch liebt er es, vorher mit ihr zu spielen. — Den übermäßigen Genuß fetter Robben pflegt der Bär durch jene nahrhaften Enteneier zu unterbrechen, und wenige Stunden genügen ihm, auf einer kleinen Insel damit völlig aufzu¬ räumen. — Ist man unbewaffnet, so kann den Bären eine, auffälliges Mi߬ trauen verrathende Bewegung beunruhigen, seine Gewaltthätigkeit heraus¬ fordern. Doppelt bedenklich aber ist es, ihm in der Dunkelheit zu begegnen und von ihm dann für einen Seehund gehalten zu werden, ein Mißverständniß, das sich erst aufklärt, wenn es zu spät ist. Ist man bewaffnet, so flößt dem Thiere die Ruhe seines Gegners und die Politik der freien Hand Wohlgefallen und Achtung ein. Doch der Bär verdient auch unser Mitleid. Sein Leben bildet eine Kette von Nahrungssorgen, obgleich er gegen die Kälte durch eine mehrere Zoll dicke Fettschicht geschützt ist. Einst fanden wir in dem Magen eines solchen — welcher dem Belagerungscorps angehört hatte, das unser eingefrorenes Schiff im Winter und Frühjahr unausgesetzt beobachtete und uns zur höchsten Vorsicht zwang — nichts als einen von unseren Schneidern weggeworfenen Flanelllappen, und bei vielen anderen war derselbe ganz leer- Zuweilen enthielten die Magen von getödteten Bären nur eine Menge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/348>, abgerufen am 22.07.2024.