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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von de¬
müthiger Selbstgefälligkeit durch alles geht, was ich damals schrieb. Wie
kurzsinnig in menschlichen und göttlichen Dingen ich mich umgedreht habe.
Wie des Thuns auch des zweckmäßigen Denkens und Dichtens so wenig wie
in zeitverderbender Empfindung und Schatten-Leidenschaft gar viel Tage ver¬
than, wie wenig mir davon zu Nutz kommen und da die Hälfte des Lebens
nun vorüber ist, wie mir kein Weg zurückgelegt, sondern vielmehr ich nur
dastehe, wie einer der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt,
wohlthätig abzutrocknen. Die Zeit, daß ich im Treiben der Welt bin, seit
15. October getrau ich noch nicht zu übersehen. Gott helfe weiter und gebe
Lichter, daß wir uns nicht selbst so viel im Wege stehen. Lasse uns vom
Morgen bis Abend das Gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den
Folgen der Dinge, daß man nicht sei, wie Menschen, die den ganzen Tag
über Kopfweh klagen und gegen Kopfweh brauchen und alle Abende zu viel
Wein zu sich nehmen. Möge die Idee des Reinen, die sich bis auf den Bissen
erstreckt, den ich in den Mund nehme, immer lichter in mir werden.

jMom 15.- 21. August. Die ganze Woche mehr gewatet als ge¬
schwommen. Freytags fatalen Druck, daß Batty mir die mancherley Saue-
reyen denen nicht gleich abzuhelfen ist, lebendig machte. Sonst mit Corona
gut gelebt und einiges mit Liebe gezeichnet, wenn's nur anhielte. Auf dem
Troistedter Jagen den 18. einen vergnügten Tag mit Wedeln.)

>Den 22. August Nachmittag nach Kochberg. Rein und gut da gelebt.
Das erste Mal, daß mir's da wohl war, doch kann ich mich noch nicht mit dem
Ort noch der Gegend befreunden. Was es ist weiß ich nicht; ob die fatalen
Erinnerungen? Abends nach Weimar, fand den Herzog, Knebel, Herder und
Grothuisen auf der Wiese. Er ist ein schöner braver Mensch und es thut
einem wohl, ihn zu sehen, sein Landstreicherwesen hat einen guten Schnitt.)

I^Den 26. August ward mir eine Erscheinung über die Conduite der Piks,
womit ich gleich den Anfang zu machen beschloß. Abends kam mit den Fräu¬
lein Wöllwartl)*) auf die Wiese und Knebel und ich gingen mit, es ward gut
geschwätzt.)

sDen 27. August. Es geht, nur muß frisch gewirthschaftet werden.
Die Pesanteur der Leute drückt einen gleich nieder. Ich wills auf den Weg
eine Weile forttreiben. Früh alles abgethan. Mittags zu Lauer. Dann
zu Herdern. dem vorgestern Nacht ein Knabe geboren war. Dann zur Fräu¬
lein Scharbe. Dann mit Boden auf die Tabacks Aecker.)

^Den 31. August früh sechs spazieren nach Tiefurt, viele Gedanken
über die bevorstehende Reise. Sonst muthig und gut. Bewegung ist mir
ewig nöthig.)



') Hofdame der Herzogin Louise,
Grenzbote" III. 1874. 4

halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von de¬
müthiger Selbstgefälligkeit durch alles geht, was ich damals schrieb. Wie
kurzsinnig in menschlichen und göttlichen Dingen ich mich umgedreht habe.
Wie des Thuns auch des zweckmäßigen Denkens und Dichtens so wenig wie
in zeitverderbender Empfindung und Schatten-Leidenschaft gar viel Tage ver¬
than, wie wenig mir davon zu Nutz kommen und da die Hälfte des Lebens
nun vorüber ist, wie mir kein Weg zurückgelegt, sondern vielmehr ich nur
dastehe, wie einer der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt,
wohlthätig abzutrocknen. Die Zeit, daß ich im Treiben der Welt bin, seit
15. October getrau ich noch nicht zu übersehen. Gott helfe weiter und gebe
Lichter, daß wir uns nicht selbst so viel im Wege stehen. Lasse uns vom
Morgen bis Abend das Gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den
Folgen der Dinge, daß man nicht sei, wie Menschen, die den ganzen Tag
über Kopfweh klagen und gegen Kopfweh brauchen und alle Abende zu viel
Wein zu sich nehmen. Möge die Idee des Reinen, die sich bis auf den Bissen
erstreckt, den ich in den Mund nehme, immer lichter in mir werden.

jMom 15.- 21. August. Die ganze Woche mehr gewatet als ge¬
schwommen. Freytags fatalen Druck, daß Batty mir die mancherley Saue-
reyen denen nicht gleich abzuhelfen ist, lebendig machte. Sonst mit Corona
gut gelebt und einiges mit Liebe gezeichnet, wenn's nur anhielte. Auf dem
Troistedter Jagen den 18. einen vergnügten Tag mit Wedeln.)

>Den 22. August Nachmittag nach Kochberg. Rein und gut da gelebt.
Das erste Mal, daß mir's da wohl war, doch kann ich mich noch nicht mit dem
Ort noch der Gegend befreunden. Was es ist weiß ich nicht; ob die fatalen
Erinnerungen? Abends nach Weimar, fand den Herzog, Knebel, Herder und
Grothuisen auf der Wiese. Er ist ein schöner braver Mensch und es thut
einem wohl, ihn zu sehen, sein Landstreicherwesen hat einen guten Schnitt.)

I^Den 26. August ward mir eine Erscheinung über die Conduite der Piks,
womit ich gleich den Anfang zu machen beschloß. Abends kam mit den Fräu¬
lein Wöllwartl)*) auf die Wiese und Knebel und ich gingen mit, es ward gut
geschwätzt.)

sDen 27. August. Es geht, nur muß frisch gewirthschaftet werden.
Die Pesanteur der Leute drückt einen gleich nieder. Ich wills auf den Weg
eine Weile forttreiben. Früh alles abgethan. Mittags zu Lauer. Dann
zu Herdern. dem vorgestern Nacht ein Knabe geboren war. Dann zur Fräu¬
lein Scharbe. Dann mit Boden auf die Tabacks Aecker.)

^Den 31. August früh sechs spazieren nach Tiefurt, viele Gedanken
über die bevorstehende Reise. Sonst muthig und gut. Bewegung ist mir
ewig nöthig.)



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[0033] halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von de¬ müthiger Selbstgefälligkeit durch alles geht, was ich damals schrieb. Wie kurzsinnig in menschlichen und göttlichen Dingen ich mich umgedreht habe. Wie des Thuns auch des zweckmäßigen Denkens und Dichtens so wenig wie in zeitverderbender Empfindung und Schatten-Leidenschaft gar viel Tage ver¬ than, wie wenig mir davon zu Nutz kommen und da die Hälfte des Lebens nun vorüber ist, wie mir kein Weg zurückgelegt, sondern vielmehr ich nur dastehe, wie einer der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt, wohlthätig abzutrocknen. Die Zeit, daß ich im Treiben der Welt bin, seit 15. October getrau ich noch nicht zu übersehen. Gott helfe weiter und gebe Lichter, daß wir uns nicht selbst so viel im Wege stehen. Lasse uns vom Morgen bis Abend das Gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der Dinge, daß man nicht sei, wie Menschen, die den ganzen Tag über Kopfweh klagen und gegen Kopfweh brauchen und alle Abende zu viel Wein zu sich nehmen. Möge die Idee des Reinen, die sich bis auf den Bissen erstreckt, den ich in den Mund nehme, immer lichter in mir werden. jMom 15.- 21. August. Die ganze Woche mehr gewatet als ge¬ schwommen. Freytags fatalen Druck, daß Batty mir die mancherley Saue- reyen denen nicht gleich abzuhelfen ist, lebendig machte. Sonst mit Corona gut gelebt und einiges mit Liebe gezeichnet, wenn's nur anhielte. Auf dem Troistedter Jagen den 18. einen vergnügten Tag mit Wedeln.) >Den 22. August Nachmittag nach Kochberg. Rein und gut da gelebt. Das erste Mal, daß mir's da wohl war, doch kann ich mich noch nicht mit dem Ort noch der Gegend befreunden. Was es ist weiß ich nicht; ob die fatalen Erinnerungen? Abends nach Weimar, fand den Herzog, Knebel, Herder und Grothuisen auf der Wiese. Er ist ein schöner braver Mensch und es thut einem wohl, ihn zu sehen, sein Landstreicherwesen hat einen guten Schnitt.) I^Den 26. August ward mir eine Erscheinung über die Conduite der Piks, womit ich gleich den Anfang zu machen beschloß. Abends kam mit den Fräu¬ lein Wöllwartl)*) auf die Wiese und Knebel und ich gingen mit, es ward gut geschwätzt.) sDen 27. August. Es geht, nur muß frisch gewirthschaftet werden. Die Pesanteur der Leute drückt einen gleich nieder. Ich wills auf den Weg eine Weile forttreiben. Früh alles abgethan. Mittags zu Lauer. Dann zu Herdern. dem vorgestern Nacht ein Knabe geboren war. Dann zur Fräu¬ lein Scharbe. Dann mit Boden auf die Tabacks Aecker.) ^Den 31. August früh sechs spazieren nach Tiefurt, viele Gedanken über die bevorstehende Reise. Sonst muthig und gut. Bewegung ist mir ewig nöthig.) ') Hofdame der Herzogin Louise, Grenzbote» III. 1874. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/33>, abgerufen am 22.07.2024.