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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Kondensator ähnlich wirkt, daß sie wie ein leckes Faß tropft, der Wind die
Zeltwand gleich einem Segel einwärts bläst und auf deinen Kopf herab¬
drückt, dein Hauch in langen EiSfäden in dem Zeltdach krystallisirt und zu
Geweben wächst, welche sich bei der geringsten Erschütterung ablösen und dir
ins Gesicht fallen; doch mehr als alles quält dich die schneegefüllte Gummi¬
flasche, die zur Gewinnung von Trinkwasser auf den Bauch zu binden, heute
deine Tour war. Diese Flasche erinnert lebhaft an jene Eisjungfrau, welche
ihren Geliebten, indem sie ihn umarmt, erstarren machte. -- Dein Nachbar
fühlt plötzlich ein Krabbeln und Tasten an seinem Kopfe: draußen brummt
etwas. Der Ruf "Ein Bär" weckt dich. -- Es war aber nur ein Fuchs.
Der Sturm fällt das Zelt in mächtigen Stößen heulend an; sein rauher
Hauch dringt durch das Gewebe, durch den Schlafsaal, und wie durch ein Sieb
dringt dichter, feiner Schneestaub herein; der Frost schüttelt dich; du bist ein
unglücklicher Mann, wenn dich dies genirt! Die Flut beginnt; hart neben
dir drängen und schieben sich die gebrochenen Eistafeln, da giebt es ein
Knacken, Aechzen, Seufzen und Quieken, oft wie Kinderstimmen ohne Ende.
Die Lampe hat sich endlich losgerüttelt --- fällt herunter und entleert sich,
aber das Alles rührt dich nicht. Mit einem an Stumpfsinn grenzenden
Gleichmuth mußt du es ertragen, sonst erdrückt dich die Situation. -- Endlich
nach mehrstündigem Harren senkt sich der so sehnlich herbeigewünschte und so
nothwendige Schlaf auf dich herab. Weckt dich nicht etwa eine neue Bären¬
vision deines Nachbars, auch nicht sein Ellenbogen, welcher sich auf deinen
Mund gelegt hat oder dolchartig in deine Hüften eindringt, besteht er nicht
darauf, dir eine höchst merkwürdige Geschichte zu erzählen -- stört dich nichts
von alledem, dann kann es noch die Pflicht -- gegen sich selbst sein, welche
einen Beklagenswerthen nöthigt das Freie zu suchen. Doch über die Körper
der Schlafgenossen giebt es keine Viaducte; er ist also genöthigt, auf dieselben
zu treten, fällt draußen über die ausgespannten Stricke und es gelingt ihm,
den Bau halb zu vernichten. -- Mehrere Nächte hast du auf solche Weise
fast schlaflos zugebracht; es ist 3 Uhr geworden, die Zeit des Aufbruchs ist
gekommen. Anziehen, Kochen, Packen im Finstern u. s. w. verursachen an¬
fänglich viel Zeitverlust, erst Uebung und Präcision ermöglichen den wirk¬
lichen Abmarsch nach einer weitern Stunde. -- Mangel an Achtsamkeit rächt
sich durch bitteren Schaden. Der Wind hat den Deckel des Kochtopfes
entführt, Einem den Handschuh geraubt. Wer seine Stiefel Nachts im Freien
ließ, findet sie voll Schnee und starr wie Eisenblech. Den Frost beseitigt kein
Mittel, sie brechen beim ersten Versuch sie anzuziehen. Das Eis oder der
Schnee in der leidigen Gummiflasche ist erst halb geschmolzen, und wenige
Löffel Wasser sind Alles, worüber die Reisegesellschaft zur Löschung ihres
Durstes zu verfügen hat. -- Es ist eingespannt -- oh! du bist eingespannt.


Kondensator ähnlich wirkt, daß sie wie ein leckes Faß tropft, der Wind die
Zeltwand gleich einem Segel einwärts bläst und auf deinen Kopf herab¬
drückt, dein Hauch in langen EiSfäden in dem Zeltdach krystallisirt und zu
Geweben wächst, welche sich bei der geringsten Erschütterung ablösen und dir
ins Gesicht fallen; doch mehr als alles quält dich die schneegefüllte Gummi¬
flasche, die zur Gewinnung von Trinkwasser auf den Bauch zu binden, heute
deine Tour war. Diese Flasche erinnert lebhaft an jene Eisjungfrau, welche
ihren Geliebten, indem sie ihn umarmt, erstarren machte. — Dein Nachbar
fühlt plötzlich ein Krabbeln und Tasten an seinem Kopfe: draußen brummt
etwas. Der Ruf „Ein Bär" weckt dich. — Es war aber nur ein Fuchs.
Der Sturm fällt das Zelt in mächtigen Stößen heulend an; sein rauher
Hauch dringt durch das Gewebe, durch den Schlafsaal, und wie durch ein Sieb
dringt dichter, feiner Schneestaub herein; der Frost schüttelt dich; du bist ein
unglücklicher Mann, wenn dich dies genirt! Die Flut beginnt; hart neben
dir drängen und schieben sich die gebrochenen Eistafeln, da giebt es ein
Knacken, Aechzen, Seufzen und Quieken, oft wie Kinderstimmen ohne Ende.
Die Lampe hat sich endlich losgerüttelt —- fällt herunter und entleert sich,
aber das Alles rührt dich nicht. Mit einem an Stumpfsinn grenzenden
Gleichmuth mußt du es ertragen, sonst erdrückt dich die Situation. — Endlich
nach mehrstündigem Harren senkt sich der so sehnlich herbeigewünschte und so
nothwendige Schlaf auf dich herab. Weckt dich nicht etwa eine neue Bären¬
vision deines Nachbars, auch nicht sein Ellenbogen, welcher sich auf deinen
Mund gelegt hat oder dolchartig in deine Hüften eindringt, besteht er nicht
darauf, dir eine höchst merkwürdige Geschichte zu erzählen — stört dich nichts
von alledem, dann kann es noch die Pflicht — gegen sich selbst sein, welche
einen Beklagenswerthen nöthigt das Freie zu suchen. Doch über die Körper
der Schlafgenossen giebt es keine Viaducte; er ist also genöthigt, auf dieselben
zu treten, fällt draußen über die ausgespannten Stricke und es gelingt ihm,
den Bau halb zu vernichten. — Mehrere Nächte hast du auf solche Weise
fast schlaflos zugebracht; es ist 3 Uhr geworden, die Zeit des Aufbruchs ist
gekommen. Anziehen, Kochen, Packen im Finstern u. s. w. verursachen an¬
fänglich viel Zeitverlust, erst Uebung und Präcision ermöglichen den wirk¬
lichen Abmarsch nach einer weitern Stunde. — Mangel an Achtsamkeit rächt
sich durch bitteren Schaden. Der Wind hat den Deckel des Kochtopfes
entführt, Einem den Handschuh geraubt. Wer seine Stiefel Nachts im Freien
ließ, findet sie voll Schnee und starr wie Eisenblech. Den Frost beseitigt kein
Mittel, sie brechen beim ersten Versuch sie anzuziehen. Das Eis oder der
Schnee in der leidigen Gummiflasche ist erst halb geschmolzen, und wenige
Löffel Wasser sind Alles, worüber die Reisegesellschaft zur Löschung ihres
Durstes zu verfügen hat. — Es ist eingespannt — oh! du bist eingespannt.


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[0314] Kondensator ähnlich wirkt, daß sie wie ein leckes Faß tropft, der Wind die Zeltwand gleich einem Segel einwärts bläst und auf deinen Kopf herab¬ drückt, dein Hauch in langen EiSfäden in dem Zeltdach krystallisirt und zu Geweben wächst, welche sich bei der geringsten Erschütterung ablösen und dir ins Gesicht fallen; doch mehr als alles quält dich die schneegefüllte Gummi¬ flasche, die zur Gewinnung von Trinkwasser auf den Bauch zu binden, heute deine Tour war. Diese Flasche erinnert lebhaft an jene Eisjungfrau, welche ihren Geliebten, indem sie ihn umarmt, erstarren machte. — Dein Nachbar fühlt plötzlich ein Krabbeln und Tasten an seinem Kopfe: draußen brummt etwas. Der Ruf „Ein Bär" weckt dich. — Es war aber nur ein Fuchs. Der Sturm fällt das Zelt in mächtigen Stößen heulend an; sein rauher Hauch dringt durch das Gewebe, durch den Schlafsaal, und wie durch ein Sieb dringt dichter, feiner Schneestaub herein; der Frost schüttelt dich; du bist ein unglücklicher Mann, wenn dich dies genirt! Die Flut beginnt; hart neben dir drängen und schieben sich die gebrochenen Eistafeln, da giebt es ein Knacken, Aechzen, Seufzen und Quieken, oft wie Kinderstimmen ohne Ende. Die Lampe hat sich endlich losgerüttelt —- fällt herunter und entleert sich, aber das Alles rührt dich nicht. Mit einem an Stumpfsinn grenzenden Gleichmuth mußt du es ertragen, sonst erdrückt dich die Situation. — Endlich nach mehrstündigem Harren senkt sich der so sehnlich herbeigewünschte und so nothwendige Schlaf auf dich herab. Weckt dich nicht etwa eine neue Bären¬ vision deines Nachbars, auch nicht sein Ellenbogen, welcher sich auf deinen Mund gelegt hat oder dolchartig in deine Hüften eindringt, besteht er nicht darauf, dir eine höchst merkwürdige Geschichte zu erzählen — stört dich nichts von alledem, dann kann es noch die Pflicht — gegen sich selbst sein, welche einen Beklagenswerthen nöthigt das Freie zu suchen. Doch über die Körper der Schlafgenossen giebt es keine Viaducte; er ist also genöthigt, auf dieselben zu treten, fällt draußen über die ausgespannten Stricke und es gelingt ihm, den Bau halb zu vernichten. — Mehrere Nächte hast du auf solche Weise fast schlaflos zugebracht; es ist 3 Uhr geworden, die Zeit des Aufbruchs ist gekommen. Anziehen, Kochen, Packen im Finstern u. s. w. verursachen an¬ fänglich viel Zeitverlust, erst Uebung und Präcision ermöglichen den wirk¬ lichen Abmarsch nach einer weitern Stunde. — Mangel an Achtsamkeit rächt sich durch bitteren Schaden. Der Wind hat den Deckel des Kochtopfes entführt, Einem den Handschuh geraubt. Wer seine Stiefel Nachts im Freien ließ, findet sie voll Schnee und starr wie Eisenblech. Den Frost beseitigt kein Mittel, sie brechen beim ersten Versuch sie anzuziehen. Das Eis oder der Schnee in der leidigen Gummiflasche ist erst halb geschmolzen, und wenige Löffel Wasser sind Alles, worüber die Reisegesellschaft zur Löschung ihres Durstes zu verfügen hat. — Es ist eingespannt — oh! du bist eingespannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/314>, abgerufen am 22.07.2024.