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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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außer Kraft traten, als die Eidgenossenschaft das Postwesen centralisirte.
Die Zahl der Post-Verträge, welche Deutschland mit den verschiedenen Staaten
der Erde vereinbart hatte, belief sich vor 1866 aus weit über 100.

Es bedarf nur geringer Mühe, um sich klar zu machen: daß die zahl¬
losen Bestimmungen aller dieser Postverträge in ihren Besonderheiten und
Abweichungen eine bunte Mosaik des postalischen Völkerrechts repräsen-
tirten. auf deren Basis eine gesunde, kraftvolle Verkehrsentwickelung, wenn
überhaupt, so nur höchst mühsam gedeihen konnte. Denn die Post ist
universeller Natur; sie weicht vor keiner Landesgrenze, keinem anders gefärbten
Schlagbaum, keiner Douane zurück; sie kennt nicht die Unterschiede der Na¬
tionalitäten, beachtet die Regungen politischer Eifersucht nicht; ihr innerstes
Wesen ist Freiheit des Verkehrs, ungehemmte Annäherung der Völker, Be¬
seitigung und Hinwegräumung der Schranken des Ideenaustausches. Gerade
die Verwaltungen aber, welchen die Pflege dieses mächtigen Kulturver¬
mittlers vorzugsweise anvertraut war, verstanden in einer nicht weit zurück¬
liegenden Zeit ihre Aufgabe keineswegs; mit kurzsichtiger Politik verschlossen
sie sich vor dem Andringen neuer Ideen; ihre kleinlichen Anschauungen, ihre
Schwerfälligkeit und alten Traditionen, in fiscalischen Geiste großgezogen,
verhinderten lange Zeit den Vollzug überaus nöthiger Reformen.

Erst zu Anfang der scchsziger Jahre weht ein frischer Hauch durch die
Hallen der Postämter Europas und Amerikas; in der Erkenntniß, daß es
unerläßlich sei. den Postverkehr im einheitlichen Sinne für größere Gebiete
zu regeln, die hohen Taxen herabzusetzen und feste Normen zu bestimmen,
nach denen die einzelnen PostVerwaltungen ihre speciellen Aufgaben erfüllen
sollten, trat im Jahre 1863 auf Mr. Blair's Veranlassung zu Paris eine
internationale P ostco n fer euz zusammen. Dieselbe berieth lange Zeit über
gemeinsame Einrichtungen, vertiefte sich aber allzusehr in das Detail der tech¬
nischen Handhaben und vergaß unter diesen theoretischen Erörterungen das
Wichtigste: die Feststellung eines einheitlichen Portos für große Verkehrs¬
gebiete: ein Mangel, der sich in der Folge zeigte und die Conferenz resultatlos
erscheinen ließ, wie sie es praktisch in der That auch war. Und dies negative
Ergebniß erscheint nicht so seltsam, wenn man erwägt, daß selbst noch in un¬
seren Tagen, am 19. December 1872, ein Deputirter zur französischen Natio-
nal-Versammlung, Mr. Caillaux, bei Gelegenheit der Berathung des Gesetzes
wegen Einführung der Korrespondenzkarten in Frankreich die Verwerfung
dieses wichtigen modernen Verkehrsmittels beantragte: "weil der Pvstetat
dadurch ein Deficit von 10 -- 12 Millionen Francs haben müsse!" Diese
retrograden Ideen sind neuerdings von den PostVerwaltungen aller Kultur¬
staaten zum Glück verlassen, aber es bedürfte der Energie eines Mannes mit
weitem Blick, wie Stephan, um alle diese Verwaltungen davon zu über-


außer Kraft traten, als die Eidgenossenschaft das Postwesen centralisirte.
Die Zahl der Post-Verträge, welche Deutschland mit den verschiedenen Staaten
der Erde vereinbart hatte, belief sich vor 1866 aus weit über 100.

Es bedarf nur geringer Mühe, um sich klar zu machen: daß die zahl¬
losen Bestimmungen aller dieser Postverträge in ihren Besonderheiten und
Abweichungen eine bunte Mosaik des postalischen Völkerrechts repräsen-
tirten. auf deren Basis eine gesunde, kraftvolle Verkehrsentwickelung, wenn
überhaupt, so nur höchst mühsam gedeihen konnte. Denn die Post ist
universeller Natur; sie weicht vor keiner Landesgrenze, keinem anders gefärbten
Schlagbaum, keiner Douane zurück; sie kennt nicht die Unterschiede der Na¬
tionalitäten, beachtet die Regungen politischer Eifersucht nicht; ihr innerstes
Wesen ist Freiheit des Verkehrs, ungehemmte Annäherung der Völker, Be¬
seitigung und Hinwegräumung der Schranken des Ideenaustausches. Gerade
die Verwaltungen aber, welchen die Pflege dieses mächtigen Kulturver¬
mittlers vorzugsweise anvertraut war, verstanden in einer nicht weit zurück¬
liegenden Zeit ihre Aufgabe keineswegs; mit kurzsichtiger Politik verschlossen
sie sich vor dem Andringen neuer Ideen; ihre kleinlichen Anschauungen, ihre
Schwerfälligkeit und alten Traditionen, in fiscalischen Geiste großgezogen,
verhinderten lange Zeit den Vollzug überaus nöthiger Reformen.

Erst zu Anfang der scchsziger Jahre weht ein frischer Hauch durch die
Hallen der Postämter Europas und Amerikas; in der Erkenntniß, daß es
unerläßlich sei. den Postverkehr im einheitlichen Sinne für größere Gebiete
zu regeln, die hohen Taxen herabzusetzen und feste Normen zu bestimmen,
nach denen die einzelnen PostVerwaltungen ihre speciellen Aufgaben erfüllen
sollten, trat im Jahre 1863 auf Mr. Blair's Veranlassung zu Paris eine
internationale P ostco n fer euz zusammen. Dieselbe berieth lange Zeit über
gemeinsame Einrichtungen, vertiefte sich aber allzusehr in das Detail der tech¬
nischen Handhaben und vergaß unter diesen theoretischen Erörterungen das
Wichtigste: die Feststellung eines einheitlichen Portos für große Verkehrs¬
gebiete: ein Mangel, der sich in der Folge zeigte und die Conferenz resultatlos
erscheinen ließ, wie sie es praktisch in der That auch war. Und dies negative
Ergebniß erscheint nicht so seltsam, wenn man erwägt, daß selbst noch in un¬
seren Tagen, am 19. December 1872, ein Deputirter zur französischen Natio-
nal-Versammlung, Mr. Caillaux, bei Gelegenheit der Berathung des Gesetzes
wegen Einführung der Korrespondenzkarten in Frankreich die Verwerfung
dieses wichtigen modernen Verkehrsmittels beantragte: „weil der Pvstetat
dadurch ein Deficit von 10 — 12 Millionen Francs haben müsse!" Diese
retrograden Ideen sind neuerdings von den PostVerwaltungen aller Kultur¬
staaten zum Glück verlassen, aber es bedürfte der Energie eines Mannes mit
weitem Blick, wie Stephan, um alle diese Verwaltungen davon zu über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/285>, abgerufen am 22.07.2024.