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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nur vermöge der Durchbrechung des Jungeises, mit voller Dampfkraft sich
eine knappe Fahrstraße gebahnt. Jetzt lag ein ungeheueres Eisfeld vor ihnen,
welches sich unabsehbar nach Osten erstreckte und im Westen fast mit dem
Landeise zusammenzuhängen schien. Im äußersten Nordost hinter dem Felde
schien, nach einer kleinen Stelle am Himmel zu urtheilen, freilich noch etwas
Wasser vorhanden zu sein; weiter zu kommen war indeß augenscheinlich nicht
eher möglich, als bis sich das Eisfeld vor ihnen in Bewegung setzte und
vom Landeise trennte. Dieselbe Erfahrung hatten Sabine und Clavering ge¬
macht und in den ?eranium experiments und im Edinburgh Philos-Journ.
1830 ausgesprochen. Sie wurde bestätigt durch die zweijährigen Erfahrungen
der Hansa wie der Germania. Beide Besatzungen haben an der Außenkante
des Eises und im Treibeise selbst bis zu den großen Feldern zwischen den
Breiten von 76 bis 72 Grad eine südwestliche Strömung von durchschnittlich
8 --10 Seemeilen Geschwindigkeit in 24 Stunden gefunden, welche durch den
Wind und das Eistreiben indeß oft beträchtlich oft- oder westwärts abgelenkt
wird. Auch unmittelbar an der Küste ist eine (weit geringere) Fortbewegung
des Eises nach Sütxn, außer bei Südwind im Sommer zu bemerken. Im
Winter ist das Eistreiben in Folge der Nordstürme weit bedeutender. Im
Herbst setzt sich das schwere Packeis an die Küste heran, und was man Land-
Wasser nennt, verschwindet mehr und mehr. Von einem ununterbrochenen
im Sommer freien Landwassec längs der Küste, als Folge des abfließenden
Schmelzwassers, kann keine Rede sein. Sein Vorkommen hängt von den
Winden, der Küstengestaltung, überhaupt von localen Einflüssen ab. -- Im
Inland ist häusig im Tone des Vonvurfs die Frage laut geworden, warum
Kapitän Koldcwey, nachdem im Landeise nicht weiter zu kommen war, nicht
in das Packeis hineingegangen, in demselben nordwärts gearbeitet und auf
höherer Breite versucht hätte, wieder an die Küste zu gelangen. "Diesem ist
zu entgegnen", sagt er selbst, "daß die Erfahrung längst gelehrt hat, wie
Man in einem Strom schweren Eises, im sog. Pack, nie und nirgends, auch
nicht mit dem besten und stärksten Dampfer, eine irgend beträchtliche Strecke
vorwärts kommen kann, ohne die Stütze einer festen Küste zu haben. Wenn
ich an einem nördlichen Punkt die Küste hätte erreichen wollen, so mußte ich
die ganze Eisbarriöre von neuem durchbrechen, an der Kante derselben Nord
aufsteuern und etwa auf 78 Grad wieder in den Pack eindringen. Ein solches
Verfahren Härte sicher nicht den erwünschten Erfolg gehabt und es wäre un¬
verantwortlich gewesen, die mit so großer Mühe erlangte Basis wieder auf¬
zugeben , um einem Phantom nachzujagen."

Es war demnach des Kapitäns sowie Aller Meinung, daß vorläufig ein
weiteres Bordringen nach Norden zu den unmöglichen Dingen gehöre und man
sich aus dem so äußerst gefährlichen und der furchtbaren Pressung der Eis>


nur vermöge der Durchbrechung des Jungeises, mit voller Dampfkraft sich
eine knappe Fahrstraße gebahnt. Jetzt lag ein ungeheueres Eisfeld vor ihnen,
welches sich unabsehbar nach Osten erstreckte und im Westen fast mit dem
Landeise zusammenzuhängen schien. Im äußersten Nordost hinter dem Felde
schien, nach einer kleinen Stelle am Himmel zu urtheilen, freilich noch etwas
Wasser vorhanden zu sein; weiter zu kommen war indeß augenscheinlich nicht
eher möglich, als bis sich das Eisfeld vor ihnen in Bewegung setzte und
vom Landeise trennte. Dieselbe Erfahrung hatten Sabine und Clavering ge¬
macht und in den ?eranium experiments und im Edinburgh Philos-Journ.
1830 ausgesprochen. Sie wurde bestätigt durch die zweijährigen Erfahrungen
der Hansa wie der Germania. Beide Besatzungen haben an der Außenkante
des Eises und im Treibeise selbst bis zu den großen Feldern zwischen den
Breiten von 76 bis 72 Grad eine südwestliche Strömung von durchschnittlich
8 —10 Seemeilen Geschwindigkeit in 24 Stunden gefunden, welche durch den
Wind und das Eistreiben indeß oft beträchtlich oft- oder westwärts abgelenkt
wird. Auch unmittelbar an der Küste ist eine (weit geringere) Fortbewegung
des Eises nach Sütxn, außer bei Südwind im Sommer zu bemerken. Im
Winter ist das Eistreiben in Folge der Nordstürme weit bedeutender. Im
Herbst setzt sich das schwere Packeis an die Küste heran, und was man Land-
Wasser nennt, verschwindet mehr und mehr. Von einem ununterbrochenen
im Sommer freien Landwassec längs der Küste, als Folge des abfließenden
Schmelzwassers, kann keine Rede sein. Sein Vorkommen hängt von den
Winden, der Küstengestaltung, überhaupt von localen Einflüssen ab. — Im
Inland ist häusig im Tone des Vonvurfs die Frage laut geworden, warum
Kapitän Koldcwey, nachdem im Landeise nicht weiter zu kommen war, nicht
in das Packeis hineingegangen, in demselben nordwärts gearbeitet und auf
höherer Breite versucht hätte, wieder an die Küste zu gelangen. „Diesem ist
zu entgegnen", sagt er selbst, „daß die Erfahrung längst gelehrt hat, wie
Man in einem Strom schweren Eises, im sog. Pack, nie und nirgends, auch
nicht mit dem besten und stärksten Dampfer, eine irgend beträchtliche Strecke
vorwärts kommen kann, ohne die Stütze einer festen Küste zu haben. Wenn
ich an einem nördlichen Punkt die Küste hätte erreichen wollen, so mußte ich
die ganze Eisbarriöre von neuem durchbrechen, an der Kante derselben Nord
aufsteuern und etwa auf 78 Grad wieder in den Pack eindringen. Ein solches
Verfahren Härte sicher nicht den erwünschten Erfolg gehabt und es wäre un¬
verantwortlich gewesen, die mit so großer Mühe erlangte Basis wieder auf¬
zugeben , um einem Phantom nachzujagen."

Es war demnach des Kapitäns sowie Aller Meinung, daß vorläufig ein
weiteres Bordringen nach Norden zu den unmöglichen Dingen gehöre und man
sich aus dem so äußerst gefährlichen und der furchtbaren Pressung der Eis>


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[0267] nur vermöge der Durchbrechung des Jungeises, mit voller Dampfkraft sich eine knappe Fahrstraße gebahnt. Jetzt lag ein ungeheueres Eisfeld vor ihnen, welches sich unabsehbar nach Osten erstreckte und im Westen fast mit dem Landeise zusammenzuhängen schien. Im äußersten Nordost hinter dem Felde schien, nach einer kleinen Stelle am Himmel zu urtheilen, freilich noch etwas Wasser vorhanden zu sein; weiter zu kommen war indeß augenscheinlich nicht eher möglich, als bis sich das Eisfeld vor ihnen in Bewegung setzte und vom Landeise trennte. Dieselbe Erfahrung hatten Sabine und Clavering ge¬ macht und in den ?eranium experiments und im Edinburgh Philos-Journ. 1830 ausgesprochen. Sie wurde bestätigt durch die zweijährigen Erfahrungen der Hansa wie der Germania. Beide Besatzungen haben an der Außenkante des Eises und im Treibeise selbst bis zu den großen Feldern zwischen den Breiten von 76 bis 72 Grad eine südwestliche Strömung von durchschnittlich 8 —10 Seemeilen Geschwindigkeit in 24 Stunden gefunden, welche durch den Wind und das Eistreiben indeß oft beträchtlich oft- oder westwärts abgelenkt wird. Auch unmittelbar an der Küste ist eine (weit geringere) Fortbewegung des Eises nach Sütxn, außer bei Südwind im Sommer zu bemerken. Im Winter ist das Eistreiben in Folge der Nordstürme weit bedeutender. Im Herbst setzt sich das schwere Packeis an die Küste heran, und was man Land- Wasser nennt, verschwindet mehr und mehr. Von einem ununterbrochenen im Sommer freien Landwassec längs der Küste, als Folge des abfließenden Schmelzwassers, kann keine Rede sein. Sein Vorkommen hängt von den Winden, der Küstengestaltung, überhaupt von localen Einflüssen ab. — Im Inland ist häusig im Tone des Vonvurfs die Frage laut geworden, warum Kapitän Koldcwey, nachdem im Landeise nicht weiter zu kommen war, nicht in das Packeis hineingegangen, in demselben nordwärts gearbeitet und auf höherer Breite versucht hätte, wieder an die Küste zu gelangen. „Diesem ist zu entgegnen", sagt er selbst, „daß die Erfahrung längst gelehrt hat, wie Man in einem Strom schweren Eises, im sog. Pack, nie und nirgends, auch nicht mit dem besten und stärksten Dampfer, eine irgend beträchtliche Strecke vorwärts kommen kann, ohne die Stütze einer festen Küste zu haben. Wenn ich an einem nördlichen Punkt die Küste hätte erreichen wollen, so mußte ich die ganze Eisbarriöre von neuem durchbrechen, an der Kante derselben Nord aufsteuern und etwa auf 78 Grad wieder in den Pack eindringen. Ein solches Verfahren Härte sicher nicht den erwünschten Erfolg gehabt und es wäre un¬ verantwortlich gewesen, die mit so großer Mühe erlangte Basis wieder auf¬ zugeben , um einem Phantom nachzujagen." Es war demnach des Kapitäns sowie Aller Meinung, daß vorläufig ein weiteres Bordringen nach Norden zu den unmöglichen Dingen gehöre und man sich aus dem so äußerst gefährlichen und der furchtbaren Pressung der Eis>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/267>, abgerufen am 22.07.2024.