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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Bemühungen Kapitän Koldewey's von Mitte Juli bis Anfang August ge¬
gewidmet. Wir übergehen hier die schwankenden Erfolge dieser Bemühungen,
denen sich Treibeis, Packeis, 'Wind, Nebel aufs äußerste entgegenstemmten.
Vielleicht hätten diese Hindernisse über die Deutschen Seefahrer gesiegt, und
sie, wie die Hansamänner zur Ueberwinterung im Eise von der Küste ge¬
zwungen, wenn Kapitän Koldewey nicht, trotz der Ungeduld und Meinungs¬
verschiedenheit seiner Mannschaft, sich nicht die Erfahrungen des alten Roß
und der tüchtigsten Nordpolfahrer zu Nutzen gemacht, und bei jeder günstigen
Position, die er erreicht hatte, geduldig auf besseren Wind und bessere Locke¬
rung des noch zu durchkreuzenden Eisgürtels gewartet hätte. Ungeduld und
Gewalt, blindes Vorgehen und Vertrauen auf die Kraft seines Schiffes hätte
auch ihm, trotz der ihm zur Verfügung stehenden Dampfkraft, leicht das
Schicksal der Hansamänner bereiten können. Dank dieser weisen Vorsicht,
die überall, und zwar auf der Länge mehrerer Breitegrade, nur da durchzu¬
ringen versuchte, wo sich offnes Wasser oder dünnes Zwischeneis zeigte, und
welche die entscheidenden Versuche erst dann unternahm, als Wind und
Strömung Erfolg verhießen, gelang es. schon am 1. August das Land (die
Pendulum-Jnseln) in Sicht zu bekommen und am 4. August um 6 Uhr Abends
dem Lande schon bis auf 5 deutsche Meilen nahe zu kommen. Um 10 Uhr
Abends wurden die Bergspitzen der Pendulum-Jnseln zugleich mit denen des
Festlandes immer deutlicher sichtbar. Man wird verstehen, mit welchen Blicken
dieses Bild verschlungen wurde. Ein letztes Eisfeld war in nordöstlicher
später in nordwestlicher Richtung zu umdampfen. Um 10^ Uhr bellte die
Luft vollständig auf. Land und Inselgruppe lag klar und bestimmt vor Au¬
gen, und ein gänzlich freies Wasser nach Westen und Norden , so daß der
Kurs direkt auf Griper Roads gesetzt werden konnte. "Wir waren in ge¬
waltiger Aufregung", heißt es im Bericht, "keiner mochte sich schlafen legen.
In stets erneuerter Betrachtung des Landes versunken, verharrten wir trotz der
empfindlichen Kälte fast die ganze Nacht auf Deck. Nach der Karte suchten
wir uns in all den einzelnen Bergen und Berggruppen zu orientiren, oder
mit starren Fingern ein Panorama der Küste zu entwerfen. Man mochte
glauben in einer halben Stunde unter Land sein zu können, und hatte noch
über 16 Seemeilen bis dahin." Freilich grüßen die schneidigen Eisgötter
Grönlands die Ansahrer mit Schneeschauer und Gestöber, daß eine weiße
Schneedecke das Deck überzieht, aber bald wird ein guter Ankerplatz vor einer
kleinen Bai entdeckt, die später der Germania Winterhafen werden sollte, und
"am 5 August, Morgens 5 Uhr ließen wir.unsere Anker zum ersten Mal auf
grönländischen Grund und Boden fallen. Ein dreimaliges kräftiges Hurrah
ertönte und unsere norddeutsche Flagge wehte stolz vom Top des großen


(Rnnzbvten III. 1S74, 33

Bemühungen Kapitän Koldewey's von Mitte Juli bis Anfang August ge¬
gewidmet. Wir übergehen hier die schwankenden Erfolge dieser Bemühungen,
denen sich Treibeis, Packeis, 'Wind, Nebel aufs äußerste entgegenstemmten.
Vielleicht hätten diese Hindernisse über die Deutschen Seefahrer gesiegt, und
sie, wie die Hansamänner zur Ueberwinterung im Eise von der Küste ge¬
zwungen, wenn Kapitän Koldewey nicht, trotz der Ungeduld und Meinungs¬
verschiedenheit seiner Mannschaft, sich nicht die Erfahrungen des alten Roß
und der tüchtigsten Nordpolfahrer zu Nutzen gemacht, und bei jeder günstigen
Position, die er erreicht hatte, geduldig auf besseren Wind und bessere Locke¬
rung des noch zu durchkreuzenden Eisgürtels gewartet hätte. Ungeduld und
Gewalt, blindes Vorgehen und Vertrauen auf die Kraft seines Schiffes hätte
auch ihm, trotz der ihm zur Verfügung stehenden Dampfkraft, leicht das
Schicksal der Hansamänner bereiten können. Dank dieser weisen Vorsicht,
die überall, und zwar auf der Länge mehrerer Breitegrade, nur da durchzu¬
ringen versuchte, wo sich offnes Wasser oder dünnes Zwischeneis zeigte, und
welche die entscheidenden Versuche erst dann unternahm, als Wind und
Strömung Erfolg verhießen, gelang es. schon am 1. August das Land (die
Pendulum-Jnseln) in Sicht zu bekommen und am 4. August um 6 Uhr Abends
dem Lande schon bis auf 5 deutsche Meilen nahe zu kommen. Um 10 Uhr
Abends wurden die Bergspitzen der Pendulum-Jnseln zugleich mit denen des
Festlandes immer deutlicher sichtbar. Man wird verstehen, mit welchen Blicken
dieses Bild verschlungen wurde. Ein letztes Eisfeld war in nordöstlicher
später in nordwestlicher Richtung zu umdampfen. Um 10^ Uhr bellte die
Luft vollständig auf. Land und Inselgruppe lag klar und bestimmt vor Au¬
gen, und ein gänzlich freies Wasser nach Westen und Norden , so daß der
Kurs direkt auf Griper Roads gesetzt werden konnte. „Wir waren in ge¬
waltiger Aufregung", heißt es im Bericht, „keiner mochte sich schlafen legen.
In stets erneuerter Betrachtung des Landes versunken, verharrten wir trotz der
empfindlichen Kälte fast die ganze Nacht auf Deck. Nach der Karte suchten
wir uns in all den einzelnen Bergen und Berggruppen zu orientiren, oder
mit starren Fingern ein Panorama der Küste zu entwerfen. Man mochte
glauben in einer halben Stunde unter Land sein zu können, und hatte noch
über 16 Seemeilen bis dahin." Freilich grüßen die schneidigen Eisgötter
Grönlands die Ansahrer mit Schneeschauer und Gestöber, daß eine weiße
Schneedecke das Deck überzieht, aber bald wird ein guter Ankerplatz vor einer
kleinen Bai entdeckt, die später der Germania Winterhafen werden sollte, und
„am 5 August, Morgens 5 Uhr ließen wir.unsere Anker zum ersten Mal auf
grönländischen Grund und Boden fallen. Ein dreimaliges kräftiges Hurrah
ertönte und unsere norddeutsche Flagge wehte stolz vom Top des großen


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[0265] Bemühungen Kapitän Koldewey's von Mitte Juli bis Anfang August ge¬ gewidmet. Wir übergehen hier die schwankenden Erfolge dieser Bemühungen, denen sich Treibeis, Packeis, 'Wind, Nebel aufs äußerste entgegenstemmten. Vielleicht hätten diese Hindernisse über die Deutschen Seefahrer gesiegt, und sie, wie die Hansamänner zur Ueberwinterung im Eise von der Küste ge¬ zwungen, wenn Kapitän Koldewey nicht, trotz der Ungeduld und Meinungs¬ verschiedenheit seiner Mannschaft, sich nicht die Erfahrungen des alten Roß und der tüchtigsten Nordpolfahrer zu Nutzen gemacht, und bei jeder günstigen Position, die er erreicht hatte, geduldig auf besseren Wind und bessere Locke¬ rung des noch zu durchkreuzenden Eisgürtels gewartet hätte. Ungeduld und Gewalt, blindes Vorgehen und Vertrauen auf die Kraft seines Schiffes hätte auch ihm, trotz der ihm zur Verfügung stehenden Dampfkraft, leicht das Schicksal der Hansamänner bereiten können. Dank dieser weisen Vorsicht, die überall, und zwar auf der Länge mehrerer Breitegrade, nur da durchzu¬ ringen versuchte, wo sich offnes Wasser oder dünnes Zwischeneis zeigte, und welche die entscheidenden Versuche erst dann unternahm, als Wind und Strömung Erfolg verhießen, gelang es. schon am 1. August das Land (die Pendulum-Jnseln) in Sicht zu bekommen und am 4. August um 6 Uhr Abends dem Lande schon bis auf 5 deutsche Meilen nahe zu kommen. Um 10 Uhr Abends wurden die Bergspitzen der Pendulum-Jnseln zugleich mit denen des Festlandes immer deutlicher sichtbar. Man wird verstehen, mit welchen Blicken dieses Bild verschlungen wurde. Ein letztes Eisfeld war in nordöstlicher später in nordwestlicher Richtung zu umdampfen. Um 10^ Uhr bellte die Luft vollständig auf. Land und Inselgruppe lag klar und bestimmt vor Au¬ gen, und ein gänzlich freies Wasser nach Westen und Norden , so daß der Kurs direkt auf Griper Roads gesetzt werden konnte. „Wir waren in ge¬ waltiger Aufregung", heißt es im Bericht, „keiner mochte sich schlafen legen. In stets erneuerter Betrachtung des Landes versunken, verharrten wir trotz der empfindlichen Kälte fast die ganze Nacht auf Deck. Nach der Karte suchten wir uns in all den einzelnen Bergen und Berggruppen zu orientiren, oder mit starren Fingern ein Panorama der Küste zu entwerfen. Man mochte glauben in einer halben Stunde unter Land sein zu können, und hatte noch über 16 Seemeilen bis dahin." Freilich grüßen die schneidigen Eisgötter Grönlands die Ansahrer mit Schneeschauer und Gestöber, daß eine weiße Schneedecke das Deck überzieht, aber bald wird ein guter Ankerplatz vor einer kleinen Bai entdeckt, die später der Germania Winterhafen werden sollte, und „am 5 August, Morgens 5 Uhr ließen wir.unsere Anker zum ersten Mal auf grönländischen Grund und Boden fallen. Ein dreimaliges kräftiges Hurrah ertönte und unsere norddeutsche Flagge wehte stolz vom Top des großen (Rnnzbvten III. 1S74, 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/265>, abgerufen am 22.07.2024.