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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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keine leichte Aufgabe sein, die verschiedenen Farben und Lichter in ihrer ganzen
Natürlichkeit wiederzugeben. Dieses zarte Roth, von der Sonne dem Eise
angehaucht, an der Schattenseite der Klötze das weichste Blau und Violett
und dazwischen die tiefsten kalten Schatten -- das sind Effecte, die in solcher
Schönheit nur die Mitternachtssonne der Eisregion hervorbringen kann.
Man muß dergleichen mit eigenen Augen sehen, um dessen eigenthümliche
Schönheit bewundern, man muß es lange und aufmerksam betrachten, um
dessen Erhabenheit empfinden zu können."

"Das Geräusch auf dem Schiffe war längst verstummt, man hätte sich
der Nachtruhe hingegeben. Wir aber fühlten keine Müdigkeit und trieben
uns in stillem Genusse der Natur auf der Scholle umher. Wenn man sich
dann hinter einigen großen Eisblöcken auf das Eis niederließ und der einzige
Zeuge menschlichen Daseins, das Schiff, von den Blicken nicht erreicht werden
konnte, wenn man sich so ganz einsam den äußern Eindrücken und seinen
Gedanken überlassen durfte, dann übermannte einen wohl das Gefühl grenzen¬
loser Oede und Verlassenheit. Es ist aber auch etwas Wunderbares, diese
lautlose Ruhe in der Natur: nirgends Bewegung, nirgends Leben. Nur von
Zeit zu Zeit wird die Stille unterbrochen durch ein leises Donnern und
Krachen, gefolgt von einem Plätschern im Wasser: ein Stück Eis hat sich
von oben losgethaut und durch das Wasser von unten unterhöhlt. Nur ver¬
einzelt sehen wir eine der eisgrauen Mallemucken geräuschlosen Fluges, un¬
heimlich über das Wasser zwischen den Eisinseln hingleiten -- nur selten
fliegt eine Elfenbeinmöve in eiliger Fahrt über uns weg, ihr weißes Ge¬
fieder vom Wiederschein des Eises mit dem durchsichtigsten Blau überstrahlt ---
dann starrt das Auge wieder gedankenlos und doch so voll von Empfindung
auf das unendliche Meer der Eisinseln. -- Hin und wieder wird das Ohr
aufmerksam auf ein plötzliches Rauschen im Wasser, gefolgt von stöhnendem
Blasen: es ist eine Schaar von Narwalen, die Athem zu holen an die Ober¬
fläche kommen, sechs bis achtmal auftauchend und leichte Wellen gegen die
Eisschollen treibend -- sie verschwinden wieder hinab in die Tiefe, und nach
wie vor herrscht feierliche Stille in der Natur. -- Die Stunden der Nacht
rinnen dahin, die Sonne steht schon wieder ansehnlich hoch an dem jetzt
klaren Himmel -- die Vernunft treibt zur Ruhe -- wir können uns nicht
losreißen -- aber es muß sein, wer weiß, was morgen kommt -- noch ein
langer Blick ringsumher, und dorthin, wo die theure Heimath liegt, und
hinein geht es in das dumpfige Schiff."

Die erste Hauptaufgabe der ganzen Unternehmung, die eonZitio siue
<zuÄ non, welche Petermann in Uebereinstimmung mit dem bremer Comite der
zweiten Nordpolfahrt vorgeschrieben hatte, war die Erreichung der Ost-
küste von Grönland. Der Erreichung dieser Ausgabe waren die unablässigen


keine leichte Aufgabe sein, die verschiedenen Farben und Lichter in ihrer ganzen
Natürlichkeit wiederzugeben. Dieses zarte Roth, von der Sonne dem Eise
angehaucht, an der Schattenseite der Klötze das weichste Blau und Violett
und dazwischen die tiefsten kalten Schatten — das sind Effecte, die in solcher
Schönheit nur die Mitternachtssonne der Eisregion hervorbringen kann.
Man muß dergleichen mit eigenen Augen sehen, um dessen eigenthümliche
Schönheit bewundern, man muß es lange und aufmerksam betrachten, um
dessen Erhabenheit empfinden zu können."

„Das Geräusch auf dem Schiffe war längst verstummt, man hätte sich
der Nachtruhe hingegeben. Wir aber fühlten keine Müdigkeit und trieben
uns in stillem Genusse der Natur auf der Scholle umher. Wenn man sich
dann hinter einigen großen Eisblöcken auf das Eis niederließ und der einzige
Zeuge menschlichen Daseins, das Schiff, von den Blicken nicht erreicht werden
konnte, wenn man sich so ganz einsam den äußern Eindrücken und seinen
Gedanken überlassen durfte, dann übermannte einen wohl das Gefühl grenzen¬
loser Oede und Verlassenheit. Es ist aber auch etwas Wunderbares, diese
lautlose Ruhe in der Natur: nirgends Bewegung, nirgends Leben. Nur von
Zeit zu Zeit wird die Stille unterbrochen durch ein leises Donnern und
Krachen, gefolgt von einem Plätschern im Wasser: ein Stück Eis hat sich
von oben losgethaut und durch das Wasser von unten unterhöhlt. Nur ver¬
einzelt sehen wir eine der eisgrauen Mallemucken geräuschlosen Fluges, un¬
heimlich über das Wasser zwischen den Eisinseln hingleiten — nur selten
fliegt eine Elfenbeinmöve in eiliger Fahrt über uns weg, ihr weißes Ge¬
fieder vom Wiederschein des Eises mit dem durchsichtigsten Blau überstrahlt —-
dann starrt das Auge wieder gedankenlos und doch so voll von Empfindung
auf das unendliche Meer der Eisinseln. — Hin und wieder wird das Ohr
aufmerksam auf ein plötzliches Rauschen im Wasser, gefolgt von stöhnendem
Blasen: es ist eine Schaar von Narwalen, die Athem zu holen an die Ober¬
fläche kommen, sechs bis achtmal auftauchend und leichte Wellen gegen die
Eisschollen treibend — sie verschwinden wieder hinab in die Tiefe, und nach
wie vor herrscht feierliche Stille in der Natur. — Die Stunden der Nacht
rinnen dahin, die Sonne steht schon wieder ansehnlich hoch an dem jetzt
klaren Himmel — die Vernunft treibt zur Ruhe — wir können uns nicht
losreißen — aber es muß sein, wer weiß, was morgen kommt — noch ein
langer Blick ringsumher, und dorthin, wo die theure Heimath liegt, und
hinein geht es in das dumpfige Schiff."

Die erste Hauptaufgabe der ganzen Unternehmung, die eonZitio siue
<zuÄ non, welche Petermann in Uebereinstimmung mit dem bremer Comite der
zweiten Nordpolfahrt vorgeschrieben hatte, war die Erreichung der Ost-
küste von Grönland. Der Erreichung dieser Ausgabe waren die unablässigen


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[0264] keine leichte Aufgabe sein, die verschiedenen Farben und Lichter in ihrer ganzen Natürlichkeit wiederzugeben. Dieses zarte Roth, von der Sonne dem Eise angehaucht, an der Schattenseite der Klötze das weichste Blau und Violett und dazwischen die tiefsten kalten Schatten — das sind Effecte, die in solcher Schönheit nur die Mitternachtssonne der Eisregion hervorbringen kann. Man muß dergleichen mit eigenen Augen sehen, um dessen eigenthümliche Schönheit bewundern, man muß es lange und aufmerksam betrachten, um dessen Erhabenheit empfinden zu können." „Das Geräusch auf dem Schiffe war längst verstummt, man hätte sich der Nachtruhe hingegeben. Wir aber fühlten keine Müdigkeit und trieben uns in stillem Genusse der Natur auf der Scholle umher. Wenn man sich dann hinter einigen großen Eisblöcken auf das Eis niederließ und der einzige Zeuge menschlichen Daseins, das Schiff, von den Blicken nicht erreicht werden konnte, wenn man sich so ganz einsam den äußern Eindrücken und seinen Gedanken überlassen durfte, dann übermannte einen wohl das Gefühl grenzen¬ loser Oede und Verlassenheit. Es ist aber auch etwas Wunderbares, diese lautlose Ruhe in der Natur: nirgends Bewegung, nirgends Leben. Nur von Zeit zu Zeit wird die Stille unterbrochen durch ein leises Donnern und Krachen, gefolgt von einem Plätschern im Wasser: ein Stück Eis hat sich von oben losgethaut und durch das Wasser von unten unterhöhlt. Nur ver¬ einzelt sehen wir eine der eisgrauen Mallemucken geräuschlosen Fluges, un¬ heimlich über das Wasser zwischen den Eisinseln hingleiten — nur selten fliegt eine Elfenbeinmöve in eiliger Fahrt über uns weg, ihr weißes Ge¬ fieder vom Wiederschein des Eises mit dem durchsichtigsten Blau überstrahlt —- dann starrt das Auge wieder gedankenlos und doch so voll von Empfindung auf das unendliche Meer der Eisinseln. — Hin und wieder wird das Ohr aufmerksam auf ein plötzliches Rauschen im Wasser, gefolgt von stöhnendem Blasen: es ist eine Schaar von Narwalen, die Athem zu holen an die Ober¬ fläche kommen, sechs bis achtmal auftauchend und leichte Wellen gegen die Eisschollen treibend — sie verschwinden wieder hinab in die Tiefe, und nach wie vor herrscht feierliche Stille in der Natur. — Die Stunden der Nacht rinnen dahin, die Sonne steht schon wieder ansehnlich hoch an dem jetzt klaren Himmel — die Vernunft treibt zur Ruhe — wir können uns nicht losreißen — aber es muß sein, wer weiß, was morgen kommt — noch ein langer Blick ringsumher, und dorthin, wo die theure Heimath liegt, und hinein geht es in das dumpfige Schiff." Die erste Hauptaufgabe der ganzen Unternehmung, die eonZitio siue <zuÄ non, welche Petermann in Uebereinstimmung mit dem bremer Comite der zweiten Nordpolfahrt vorgeschrieben hatte, war die Erreichung der Ost- küste von Grönland. Der Erreichung dieser Ausgabe waren die unablässigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/264>, abgerufen am 22.07.2024.