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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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werfen zu können: wir hatten namentlich auf den öffentlichen Scandal hinge¬
wiesen, welcher in der Thatsache begründet war, daß einzelne Wahlkreise in
der ausgesprochenen Absicht, dadurch gewichtige Stimmen für die Erfüllung
ihrer Eisenbahnwünsche zu gewinnen, die höchsten Eisenbahn- und Postbe¬
amten des Staats in die Kammer wählten und diese dadurch in die mißlich¬
sten Collisionen brachten gegenüber den Aussichten, welche sie ihren Wählern
eröffnen mußten und ihren Pflichten als Berather der Regierung.

Selbst dem Handelsblatt des Herrn Sonneman, welches das bisherige
System unserer Verwaltung Jahre lang verherrlicht hatte, scheint endlich ein
Licht über diese Zustände aufgegangen zu sein. Ein scandalöser Auftritt blieb
auch dießmal unserer Abgeordnetenkammer nicht erspart, indem die beiden
Matadore unserer Eisenbahnverwaltung in ihrer Eigenschaft als Abgeordneter
und Regierungsvertreter sich direct in die Haare geriethen, und nur durch
das Dazwischentreten ihres Chefs, des Herrn von Mittnacht eine weitere
Blosstellung des öffentlichen Dienstes vor den Augen des ganzen Landes ab¬
geschnitten wurde.

Um allen Ansinnen gerecht zu werden ging man schließlich nach dem
Grundsatze: eine Hand wäscht die andere, auf die weitestgehenden Eisenbahn¬
wünsche ein. Ein Glück, daß bisher die Contributionsgelder in die Lücken
getreten sind. Die Folgen der neuerdings beschlossenen maßlosen Vermehrung
der Staatsschulden für den Staatscredit und die Steuerlast werden nicht aus¬
bleiben, und doch sind wir erst am Anfang des Endes. Eine neue Serie von
Bahnbauten wird -- und zwar mit absoluter Nothwendigkeit in Bälde aus¬
zuführen sein, um bei der fehlerhaften Anlage des bisherigen Bahnsystems
durch Herstellung directer Linien die Concurrenz der Nachbarstaaren mit
Erfolg bestehen zu können. Uebrigens läßt sich nicht verkennen, daß seit
Herr v. Mittnacht die Leitung des Verkehrsministerium übernommen hat,
die bisherige kleinlich egoistische Auffassung der Verkehrsinteressen, wo es sich
um den Anschluß an die Nachbarstaaten handelte, ihr Ende erreicht hat;
auch die Einwirkung des Reichs auf die Eisenbahnpolitik der süddeutschen
Staaten machte sich in der letzten Zeit, wenn auch nicht immer formell so,
doch in nicht mißzuverstehender Winken geltend. Ihr haben wir namentlich
die rasche Verständigung mit Baden nicht nur über die bisher schwebenden
Anschlußsragen, sondern namentlich bezüglich der Kohlentarife zu verdanken,
indem Baden bis in die neueste Zeit seine prächtige territoriale Lage zum
großen Nachtheil der würde. Industrie in der einseitigsten Weise ausgebeutet
hatte und aus freien Stücken kaum zur Nachgiebigkeit zu bewegen gewesen
wäre. Leider gelang es vor dem Schluß des Landtags in einer Richtung
nicht mehr dem Lande die längst erwartete Ausklärung zu verschaffen. Be¬
kanntlich war in Württemberg erst längere Zeit nach dem Abschluß der


werfen zu können: wir hatten namentlich auf den öffentlichen Scandal hinge¬
wiesen, welcher in der Thatsache begründet war, daß einzelne Wahlkreise in
der ausgesprochenen Absicht, dadurch gewichtige Stimmen für die Erfüllung
ihrer Eisenbahnwünsche zu gewinnen, die höchsten Eisenbahn- und Postbe¬
amten des Staats in die Kammer wählten und diese dadurch in die mißlich¬
sten Collisionen brachten gegenüber den Aussichten, welche sie ihren Wählern
eröffnen mußten und ihren Pflichten als Berather der Regierung.

Selbst dem Handelsblatt des Herrn Sonneman, welches das bisherige
System unserer Verwaltung Jahre lang verherrlicht hatte, scheint endlich ein
Licht über diese Zustände aufgegangen zu sein. Ein scandalöser Auftritt blieb
auch dießmal unserer Abgeordnetenkammer nicht erspart, indem die beiden
Matadore unserer Eisenbahnverwaltung in ihrer Eigenschaft als Abgeordneter
und Regierungsvertreter sich direct in die Haare geriethen, und nur durch
das Dazwischentreten ihres Chefs, des Herrn von Mittnacht eine weitere
Blosstellung des öffentlichen Dienstes vor den Augen des ganzen Landes ab¬
geschnitten wurde.

Um allen Ansinnen gerecht zu werden ging man schließlich nach dem
Grundsatze: eine Hand wäscht die andere, auf die weitestgehenden Eisenbahn¬
wünsche ein. Ein Glück, daß bisher die Contributionsgelder in die Lücken
getreten sind. Die Folgen der neuerdings beschlossenen maßlosen Vermehrung
der Staatsschulden für den Staatscredit und die Steuerlast werden nicht aus¬
bleiben, und doch sind wir erst am Anfang des Endes. Eine neue Serie von
Bahnbauten wird — und zwar mit absoluter Nothwendigkeit in Bälde aus¬
zuführen sein, um bei der fehlerhaften Anlage des bisherigen Bahnsystems
durch Herstellung directer Linien die Concurrenz der Nachbarstaaren mit
Erfolg bestehen zu können. Uebrigens läßt sich nicht verkennen, daß seit
Herr v. Mittnacht die Leitung des Verkehrsministerium übernommen hat,
die bisherige kleinlich egoistische Auffassung der Verkehrsinteressen, wo es sich
um den Anschluß an die Nachbarstaaten handelte, ihr Ende erreicht hat;
auch die Einwirkung des Reichs auf die Eisenbahnpolitik der süddeutschen
Staaten machte sich in der letzten Zeit, wenn auch nicht immer formell so,
doch in nicht mißzuverstehender Winken geltend. Ihr haben wir namentlich
die rasche Verständigung mit Baden nicht nur über die bisher schwebenden
Anschlußsragen, sondern namentlich bezüglich der Kohlentarife zu verdanken,
indem Baden bis in die neueste Zeit seine prächtige territoriale Lage zum
großen Nachtheil der würde. Industrie in der einseitigsten Weise ausgebeutet
hatte und aus freien Stücken kaum zur Nachgiebigkeit zu bewegen gewesen
wäre. Leider gelang es vor dem Schluß des Landtags in einer Richtung
nicht mehr dem Lande die längst erwartete Ausklärung zu verschaffen. Be¬
kanntlich war in Württemberg erst längere Zeit nach dem Abschluß der


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[0231] werfen zu können: wir hatten namentlich auf den öffentlichen Scandal hinge¬ wiesen, welcher in der Thatsache begründet war, daß einzelne Wahlkreise in der ausgesprochenen Absicht, dadurch gewichtige Stimmen für die Erfüllung ihrer Eisenbahnwünsche zu gewinnen, die höchsten Eisenbahn- und Postbe¬ amten des Staats in die Kammer wählten und diese dadurch in die mißlich¬ sten Collisionen brachten gegenüber den Aussichten, welche sie ihren Wählern eröffnen mußten und ihren Pflichten als Berather der Regierung. Selbst dem Handelsblatt des Herrn Sonneman, welches das bisherige System unserer Verwaltung Jahre lang verherrlicht hatte, scheint endlich ein Licht über diese Zustände aufgegangen zu sein. Ein scandalöser Auftritt blieb auch dießmal unserer Abgeordnetenkammer nicht erspart, indem die beiden Matadore unserer Eisenbahnverwaltung in ihrer Eigenschaft als Abgeordneter und Regierungsvertreter sich direct in die Haare geriethen, und nur durch das Dazwischentreten ihres Chefs, des Herrn von Mittnacht eine weitere Blosstellung des öffentlichen Dienstes vor den Augen des ganzen Landes ab¬ geschnitten wurde. Um allen Ansinnen gerecht zu werden ging man schließlich nach dem Grundsatze: eine Hand wäscht die andere, auf die weitestgehenden Eisenbahn¬ wünsche ein. Ein Glück, daß bisher die Contributionsgelder in die Lücken getreten sind. Die Folgen der neuerdings beschlossenen maßlosen Vermehrung der Staatsschulden für den Staatscredit und die Steuerlast werden nicht aus¬ bleiben, und doch sind wir erst am Anfang des Endes. Eine neue Serie von Bahnbauten wird — und zwar mit absoluter Nothwendigkeit in Bälde aus¬ zuführen sein, um bei der fehlerhaften Anlage des bisherigen Bahnsystems durch Herstellung directer Linien die Concurrenz der Nachbarstaaren mit Erfolg bestehen zu können. Uebrigens läßt sich nicht verkennen, daß seit Herr v. Mittnacht die Leitung des Verkehrsministerium übernommen hat, die bisherige kleinlich egoistische Auffassung der Verkehrsinteressen, wo es sich um den Anschluß an die Nachbarstaaten handelte, ihr Ende erreicht hat; auch die Einwirkung des Reichs auf die Eisenbahnpolitik der süddeutschen Staaten machte sich in der letzten Zeit, wenn auch nicht immer formell so, doch in nicht mißzuverstehender Winken geltend. Ihr haben wir namentlich die rasche Verständigung mit Baden nicht nur über die bisher schwebenden Anschlußsragen, sondern namentlich bezüglich der Kohlentarife zu verdanken, indem Baden bis in die neueste Zeit seine prächtige territoriale Lage zum großen Nachtheil der würde. Industrie in der einseitigsten Weise ausgebeutet hatte und aus freien Stücken kaum zur Nachgiebigkeit zu bewegen gewesen wäre. Leider gelang es vor dem Schluß des Landtags in einer Richtung nicht mehr dem Lande die längst erwartete Ausklärung zu verschaffen. Be¬ kanntlich war in Württemberg erst längere Zeit nach dem Abschluß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/231>, abgerufen am 22.07.2024.