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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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das dringendste Bedürfniß: da der heillose Zustand unserer für Protestanten
wie Katholiken rein kirchlichen Ehegesetzgebung und Ehegerichtsbarkeit, anderer¬
seits die Mangelhaftigkeit der über die Nothcivilehe und die materiellen
Collisionsfälle zwischen Staats- und Kirchengesetzgebung geltenden staatlichen
Normen täglich neue Nothzustände und für den Richter kaum lösbare
Probleme zu Tage fördert, deren Quelle wesentlich in der provocirenden
Nichtachtung der Staatsgesetze von Seiten eines Theils der katholischen
Kleriker zu suchen ist, an deren Lösung auf dem Boden des Particularrechts
aber in den letzten Jahren nicht mehr zu denken war. Eoendeßhaib konnte
aber auch der Volk-Hinschius'sche Antrag -- von seiner politischen Tendenz
abgesehen -- nicht befriedigen. Denn soll die bisherige Nothlage beseitigt
werden, so bedarf es vor allem neben der gesetzlichen Regelung des Civil-
trauungsakts der Erlassung eines Reichsgesetzes über die Voraussetzungen
einer staatlich giltigen Ehe, über die Fälle der Scheidung und der Nichtigkeit:
und die württembergische Regierung wird sich, nachdem der Volk-Hinschius'sche
Initiativantrag mit vollem Recht vom Bundesrath abgelehnt worden, durch
ihren Antrag auf Erlassung eines erschöpfenden Civilehegesetzes durch das
Reich ein um so größeres Verdienst erwerben, wenn es zugleich gelingen sollte,
den in Aussicht gestellten Entwurf schon dem nächsten Reichstag vorzulegen.

Die Zusammensetzung der Kommission für die Ausarbeitung eines
deutschen Civilgesetzbuchs berechtigt zu den besten Erwartungen. Aufgefallen
ist bei uns die Gleichgiltigkeit, mit welcher die Berliner Presse bisher diese
Constituirung aufgenommen hat, und wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn
wir den Grund hiervon in dem neuerdings in Preußen stärker hervor¬
getretenen Gegensatz der landrechtlichen Juristen zu den Vertretern des gemeinen
Rechts suchen. Daß das landrechtliche Element in der Kommission numerisch
so wenig hervortritt, dürfte übrigens manchen ängstlichen Seelen in den
Mittel- und Kleinstaaten, welche ein Aufgehen unserer bisherigen Rechts¬
entwicklung in der landrechtlichen Doctrin mit Gewißheit voraussehen zu
Müssen glaubten, zur Beruhigung dienen. --

Auf kirchlichem Gebiet hat sich bei uns in den letzten Monaten nur we¬
nig geändert. Hat auch Bischof Hefele erst in den letzten Tagen -- indem er
dem im Landkapitel Ellwangen mit großer Majorität zum Decan gewählten
Stadtpfarrer Dr. Schwarz -- bis vor kurzem noch Angehöriger des Jesui¬
tenordens und das Haupt unserer klericalen Ultras -- zur großen Verwun¬
derung der Ultramontanen und zur Erleichterung unserer Staatsregierung
die Bestätigung versagte, den ernsten Willen an den Tag gelegt, eine Ultra"
Wontane Nebenregierung nicht zu dulden, so nimmt doch auch bei uns die
klerieale Agitation in der Presse, welche so eben im Kissinger Attentat ihre
reifste Frucht zu Tage gefördert hat, ihren ungestörten Fortgang. Nachdem


das dringendste Bedürfniß: da der heillose Zustand unserer für Protestanten
wie Katholiken rein kirchlichen Ehegesetzgebung und Ehegerichtsbarkeit, anderer¬
seits die Mangelhaftigkeit der über die Nothcivilehe und die materiellen
Collisionsfälle zwischen Staats- und Kirchengesetzgebung geltenden staatlichen
Normen täglich neue Nothzustände und für den Richter kaum lösbare
Probleme zu Tage fördert, deren Quelle wesentlich in der provocirenden
Nichtachtung der Staatsgesetze von Seiten eines Theils der katholischen
Kleriker zu suchen ist, an deren Lösung auf dem Boden des Particularrechts
aber in den letzten Jahren nicht mehr zu denken war. Eoendeßhaib konnte
aber auch der Volk-Hinschius'sche Antrag — von seiner politischen Tendenz
abgesehen — nicht befriedigen. Denn soll die bisherige Nothlage beseitigt
werden, so bedarf es vor allem neben der gesetzlichen Regelung des Civil-
trauungsakts der Erlassung eines Reichsgesetzes über die Voraussetzungen
einer staatlich giltigen Ehe, über die Fälle der Scheidung und der Nichtigkeit:
und die württembergische Regierung wird sich, nachdem der Volk-Hinschius'sche
Initiativantrag mit vollem Recht vom Bundesrath abgelehnt worden, durch
ihren Antrag auf Erlassung eines erschöpfenden Civilehegesetzes durch das
Reich ein um so größeres Verdienst erwerben, wenn es zugleich gelingen sollte,
den in Aussicht gestellten Entwurf schon dem nächsten Reichstag vorzulegen.

Die Zusammensetzung der Kommission für die Ausarbeitung eines
deutschen Civilgesetzbuchs berechtigt zu den besten Erwartungen. Aufgefallen
ist bei uns die Gleichgiltigkeit, mit welcher die Berliner Presse bisher diese
Constituirung aufgenommen hat, und wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn
wir den Grund hiervon in dem neuerdings in Preußen stärker hervor¬
getretenen Gegensatz der landrechtlichen Juristen zu den Vertretern des gemeinen
Rechts suchen. Daß das landrechtliche Element in der Kommission numerisch
so wenig hervortritt, dürfte übrigens manchen ängstlichen Seelen in den
Mittel- und Kleinstaaten, welche ein Aufgehen unserer bisherigen Rechts¬
entwicklung in der landrechtlichen Doctrin mit Gewißheit voraussehen zu
Müssen glaubten, zur Beruhigung dienen. —

Auf kirchlichem Gebiet hat sich bei uns in den letzten Monaten nur we¬
nig geändert. Hat auch Bischof Hefele erst in den letzten Tagen — indem er
dem im Landkapitel Ellwangen mit großer Majorität zum Decan gewählten
Stadtpfarrer Dr. Schwarz — bis vor kurzem noch Angehöriger des Jesui¬
tenordens und das Haupt unserer klericalen Ultras — zur großen Verwun¬
derung der Ultramontanen und zur Erleichterung unserer Staatsregierung
die Bestätigung versagte, den ernsten Willen an den Tag gelegt, eine Ultra«
Wontane Nebenregierung nicht zu dulden, so nimmt doch auch bei uns die
klerieale Agitation in der Presse, welche so eben im Kissinger Attentat ihre
reifste Frucht zu Tage gefördert hat, ihren ungestörten Fortgang. Nachdem


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[0227] das dringendste Bedürfniß: da der heillose Zustand unserer für Protestanten wie Katholiken rein kirchlichen Ehegesetzgebung und Ehegerichtsbarkeit, anderer¬ seits die Mangelhaftigkeit der über die Nothcivilehe und die materiellen Collisionsfälle zwischen Staats- und Kirchengesetzgebung geltenden staatlichen Normen täglich neue Nothzustände und für den Richter kaum lösbare Probleme zu Tage fördert, deren Quelle wesentlich in der provocirenden Nichtachtung der Staatsgesetze von Seiten eines Theils der katholischen Kleriker zu suchen ist, an deren Lösung auf dem Boden des Particularrechts aber in den letzten Jahren nicht mehr zu denken war. Eoendeßhaib konnte aber auch der Volk-Hinschius'sche Antrag — von seiner politischen Tendenz abgesehen — nicht befriedigen. Denn soll die bisherige Nothlage beseitigt werden, so bedarf es vor allem neben der gesetzlichen Regelung des Civil- trauungsakts der Erlassung eines Reichsgesetzes über die Voraussetzungen einer staatlich giltigen Ehe, über die Fälle der Scheidung und der Nichtigkeit: und die württembergische Regierung wird sich, nachdem der Volk-Hinschius'sche Initiativantrag mit vollem Recht vom Bundesrath abgelehnt worden, durch ihren Antrag auf Erlassung eines erschöpfenden Civilehegesetzes durch das Reich ein um so größeres Verdienst erwerben, wenn es zugleich gelingen sollte, den in Aussicht gestellten Entwurf schon dem nächsten Reichstag vorzulegen. Die Zusammensetzung der Kommission für die Ausarbeitung eines deutschen Civilgesetzbuchs berechtigt zu den besten Erwartungen. Aufgefallen ist bei uns die Gleichgiltigkeit, mit welcher die Berliner Presse bisher diese Constituirung aufgenommen hat, und wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir den Grund hiervon in dem neuerdings in Preußen stärker hervor¬ getretenen Gegensatz der landrechtlichen Juristen zu den Vertretern des gemeinen Rechts suchen. Daß das landrechtliche Element in der Kommission numerisch so wenig hervortritt, dürfte übrigens manchen ängstlichen Seelen in den Mittel- und Kleinstaaten, welche ein Aufgehen unserer bisherigen Rechts¬ entwicklung in der landrechtlichen Doctrin mit Gewißheit voraussehen zu Müssen glaubten, zur Beruhigung dienen. — Auf kirchlichem Gebiet hat sich bei uns in den letzten Monaten nur we¬ nig geändert. Hat auch Bischof Hefele erst in den letzten Tagen — indem er dem im Landkapitel Ellwangen mit großer Majorität zum Decan gewählten Stadtpfarrer Dr. Schwarz — bis vor kurzem noch Angehöriger des Jesui¬ tenordens und das Haupt unserer klericalen Ultras — zur großen Verwun¬ derung der Ultramontanen und zur Erleichterung unserer Staatsregierung die Bestätigung versagte, den ernsten Willen an den Tag gelegt, eine Ultra« Wontane Nebenregierung nicht zu dulden, so nimmt doch auch bei uns die klerieale Agitation in der Presse, welche so eben im Kissinger Attentat ihre reifste Frucht zu Tage gefördert hat, ihren ungestörten Fortgang. Nachdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/227>, abgerufen am 25.08.2024.