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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Gerichtsverfahren und französisches Recht, welches die Rheinländer bewahren
und nicht gegen die altpreußische Gesetzgebung, und noch weniger gegen das
preußische Gerichtsverfahren mit seinen Patrimonial-Gerichten, seinem eximirten
Gerichtsstande, seiner Schriftlichkeit und Heimlichkeit vertauschen wollten.
Diese Anhänglichkeit an die bestehenden ausländischen Institutionen wurde,
wie dies gewöhnlich zu sein pflegt, durch Widerstand von der andern Seite
verstärkt; denn jedem Lande werden seine Institutionen erst dann recht lieb
und theuer, wenn die Gefahr des Verlustes von Außen droht. Eine solche
Gefahr schien vorhanden. Nicht blos der feudalen Partei Altpreußens,
sondern auch freisinnigen Männern war die Gerichtsverfassung der Rheinländer
ein Dorn im Auge und von Stein wurde erklärt: "Die französische Gesetz¬
gebung sei für deutsche Lande eine Schande." Andere gingen noch weiter.
Sie hielten dafür "man müsse Alles aufbieten, daß das französische Gift,
welches das demokratische Treiben befördere, nicht aufkomme." Noch Andere
erklärten "nicht Sitte sei der Besiegten Einrichtungen anzunehmen und nicht
dürfe man ihretwegen die alte Gerichtsbarkeit aufgeben und alle Rechte be¬
seitigen." Auch schien die Regierung anfänglich nicht geneigt,, den Rhein¬
ländern die französische Gesetzgebung zu lassen und versprach bei der Besitz¬
ergreifung nur "daß die Rheinländer milden und gerechten Gesetzen unter¬
worfen sein würden." Dieses Patent brachte den ersten Unmuth in den
Rheinlanden hervor und wurde derselbe noch dadurch vermehrt, als der König
eine Jmmediatcommission ernannte, welche prüfen sollte, ob französisches
Recht und französisches Gerichtsverfahren beizubehalten wären und durch
diese Ernennung deutlich zeigte, daß die Entscheidung über diese Frage noch
ausgesetzt sei. Das Gutachten dieser Commission fiel zwar nach Wunsch der
Rheinländer aus, und blieben ihnen nicht blos Mündlichkeit und Oeffentlich-
keit, sondern auch Geschworenengerichte; allein man suchte letztere seit 1821 zu
beschränken und wurden demzufolge die Staatsverbrechen und die Verbrechen
der Verwaltungs- und Justizbeamten der Beurtheilung der Geschworenengerichte
entzogen.

Fast zu gleicher Zeit gab der König bei Gelegenheit des Fort'schen Pro¬
cesses zu erkennen, wie wenig er von dem rheinländischen Gerichtsverfahren
halte. Der Kaufmann Fort, des Mordes angeklagt und von den Geschwor¬
nen verurtheilt, hatte beim König um Begnadigung gebeten. Der Fall war
zweifelhaft, die Stimmen über Schuld oder Unschuld waren getheilt. In der
Ordnung war, daß der König den Rath gewiegter Juristen, denen er per¬
sönliches Vertrauen schenkte, verlangte; aber statt dessen forderte er von dem
Kammergerichte zu Berlin, also dem ersten Criminal - Gerichtshofe Alt-Preu¬
ßens ein Gutachten nach den Grundsätzen des altpreußischen Rechts und in
Folge dieses Gutachtens entschied sich der König für die Begnadigung. Deut-


Gerichtsverfahren und französisches Recht, welches die Rheinländer bewahren
und nicht gegen die altpreußische Gesetzgebung, und noch weniger gegen das
preußische Gerichtsverfahren mit seinen Patrimonial-Gerichten, seinem eximirten
Gerichtsstande, seiner Schriftlichkeit und Heimlichkeit vertauschen wollten.
Diese Anhänglichkeit an die bestehenden ausländischen Institutionen wurde,
wie dies gewöhnlich zu sein pflegt, durch Widerstand von der andern Seite
verstärkt; denn jedem Lande werden seine Institutionen erst dann recht lieb
und theuer, wenn die Gefahr des Verlustes von Außen droht. Eine solche
Gefahr schien vorhanden. Nicht blos der feudalen Partei Altpreußens,
sondern auch freisinnigen Männern war die Gerichtsverfassung der Rheinländer
ein Dorn im Auge und von Stein wurde erklärt: „Die französische Gesetz¬
gebung sei für deutsche Lande eine Schande." Andere gingen noch weiter.
Sie hielten dafür „man müsse Alles aufbieten, daß das französische Gift,
welches das demokratische Treiben befördere, nicht aufkomme." Noch Andere
erklärten „nicht Sitte sei der Besiegten Einrichtungen anzunehmen und nicht
dürfe man ihretwegen die alte Gerichtsbarkeit aufgeben und alle Rechte be¬
seitigen." Auch schien die Regierung anfänglich nicht geneigt,, den Rhein¬
ländern die französische Gesetzgebung zu lassen und versprach bei der Besitz¬
ergreifung nur „daß die Rheinländer milden und gerechten Gesetzen unter¬
worfen sein würden." Dieses Patent brachte den ersten Unmuth in den
Rheinlanden hervor und wurde derselbe noch dadurch vermehrt, als der König
eine Jmmediatcommission ernannte, welche prüfen sollte, ob französisches
Recht und französisches Gerichtsverfahren beizubehalten wären und durch
diese Ernennung deutlich zeigte, daß die Entscheidung über diese Frage noch
ausgesetzt sei. Das Gutachten dieser Commission fiel zwar nach Wunsch der
Rheinländer aus, und blieben ihnen nicht blos Mündlichkeit und Oeffentlich-
keit, sondern auch Geschworenengerichte; allein man suchte letztere seit 1821 zu
beschränken und wurden demzufolge die Staatsverbrechen und die Verbrechen
der Verwaltungs- und Justizbeamten der Beurtheilung der Geschworenengerichte
entzogen.

Fast zu gleicher Zeit gab der König bei Gelegenheit des Fort'schen Pro¬
cesses zu erkennen, wie wenig er von dem rheinländischen Gerichtsverfahren
halte. Der Kaufmann Fort, des Mordes angeklagt und von den Geschwor¬
nen verurtheilt, hatte beim König um Begnadigung gebeten. Der Fall war
zweifelhaft, die Stimmen über Schuld oder Unschuld waren getheilt. In der
Ordnung war, daß der König den Rath gewiegter Juristen, denen er per¬
sönliches Vertrauen schenkte, verlangte; aber statt dessen forderte er von dem
Kammergerichte zu Berlin, also dem ersten Criminal - Gerichtshofe Alt-Preu¬
ßens ein Gutachten nach den Grundsätzen des altpreußischen Rechts und in
Folge dieses Gutachtens entschied sich der König für die Begnadigung. Deut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/218>, abgerufen am 22.07.2024.