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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Preuße F^ox^" bezeichnet und die dort üblichen Worte: "er ist ein
Preuße" enthielten eine fast verächtliche Bezeichnung.

Der Grund dieser Absonderung und Ueberhebung lag vorzugsweise in
dem verschiedenen Rechte und Gerichtsverfahren. Recht und Sprache sind es,
welche ein Volk äußerlich binden und geistig einen. Das Recht erzeugt nicht
blos gleichen Volkscharakter und gleiche Sitte, sondern gewährt auch das
Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und der Volkseinheit. Dieses Bewußt¬
sein wird beim Volke insbesondere durch die gleiche Gerichtspflege hervor¬
gerufen, denn das materielle Recht ist mehr Eigenthum der Juristen und die
Principien desselben sind zum größeren Theile dem Volke verschlossen, während
die Gerichtspflege, äußerlich erkennbar, bewußtes Eigenthum des Volkes wird.
Von diesem Eigenthums trennt sich dasselbe selbst dann nur ungern, wenn
sein Werth allein durch die Gewohnheit geheiligt ist und es nicht mehr im
Einklange mit den Anforderungen der Gegenwart steht. Wenn nun aber
die Gerichtsverfassung eine solche ist, welche andere Länder als ein Palladium
der Freiheit erachten und vergeblich darnach streben, dann wird das Volk
alle Kräfte zur Bewahrung derselben aufbieten, sich der Vorzüge derselben
bewußt sein und mit einem gewissen Stolze auf die Länder herabsehen, welche
sie entbehren müssen. So war es bei den Rheinländern. Sie hatten wegen
der vielen Reichsritter, die sich alle die hohe Gerichtsbarkeit und das Recht
der Gesetzgebung angeeignet hatten, wegen der Vereinigung der Verwaltung
mit der Justiz und wegen des Hinschleppens der Processe von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt schwer gelitten und wenn auch diese Uebelstände in den geistlichen
Kurfürstenthümern minder hervortraten, so hatten doch auch dort das Ab¬
hängigkeitsverhältniß und die Bestechlichkeit der Richter großen Einfluß auf
die Entscheidung der Processe. -- Diese schlechte Gerichtsverfassung war durch
die französische verdrängt worden, deren Grundprincip die Gleichheit ist. Ein
eximirter Gerichtsstand war der französischen Gerichtspflege unbekannt und
nicht mehr wurde das Recht im Namen kleiner Herrn, sondern in dem der
Krone gesprochen. Schriftlichkeit und Heimlichkeit waren abgeschafft, in allen
bedeutenden Strafsachen erfolgte der Rechtsspruch vom Volke, und die Strafen,
welche die menschliche Gesellschaft entehrten, waren beseitigt. -- Welchen Wider¬
stand auch dieses neue Gerichtsverfahren wegen lokaler Bequemlichkeit und
Gewohnheit, wegen Feindschaft gegen das Ausland und blinder Liebe zu
vaterländischen, verrotteten und verschimmelten Einrichtungen in dem ersten
Augenblicke gefunden haben mochte, so war er doch jedenfalls nur vorüber¬
gehend und in kürzester Zeit war die fremde Gesetzgebung und das fremde
Gerichtsverfahren eingebürgert und in allen Schriften des Volkes wurde der
Vorzug vor dem Verfahren der früheren Zeit anerkannt. Als nun die Rhein-
Provinz mit Preußen vereinigt werden sollte, waren es vornehmlich französisches


Grenzboten III. 1874. 27

Preuße F^ox^" bezeichnet und die dort üblichen Worte: „er ist ein
Preuße" enthielten eine fast verächtliche Bezeichnung.

Der Grund dieser Absonderung und Ueberhebung lag vorzugsweise in
dem verschiedenen Rechte und Gerichtsverfahren. Recht und Sprache sind es,
welche ein Volk äußerlich binden und geistig einen. Das Recht erzeugt nicht
blos gleichen Volkscharakter und gleiche Sitte, sondern gewährt auch das
Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und der Volkseinheit. Dieses Bewußt¬
sein wird beim Volke insbesondere durch die gleiche Gerichtspflege hervor¬
gerufen, denn das materielle Recht ist mehr Eigenthum der Juristen und die
Principien desselben sind zum größeren Theile dem Volke verschlossen, während
die Gerichtspflege, äußerlich erkennbar, bewußtes Eigenthum des Volkes wird.
Von diesem Eigenthums trennt sich dasselbe selbst dann nur ungern, wenn
sein Werth allein durch die Gewohnheit geheiligt ist und es nicht mehr im
Einklange mit den Anforderungen der Gegenwart steht. Wenn nun aber
die Gerichtsverfassung eine solche ist, welche andere Länder als ein Palladium
der Freiheit erachten und vergeblich darnach streben, dann wird das Volk
alle Kräfte zur Bewahrung derselben aufbieten, sich der Vorzüge derselben
bewußt sein und mit einem gewissen Stolze auf die Länder herabsehen, welche
sie entbehren müssen. So war es bei den Rheinländern. Sie hatten wegen
der vielen Reichsritter, die sich alle die hohe Gerichtsbarkeit und das Recht
der Gesetzgebung angeeignet hatten, wegen der Vereinigung der Verwaltung
mit der Justiz und wegen des Hinschleppens der Processe von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt schwer gelitten und wenn auch diese Uebelstände in den geistlichen
Kurfürstenthümern minder hervortraten, so hatten doch auch dort das Ab¬
hängigkeitsverhältniß und die Bestechlichkeit der Richter großen Einfluß auf
die Entscheidung der Processe. — Diese schlechte Gerichtsverfassung war durch
die französische verdrängt worden, deren Grundprincip die Gleichheit ist. Ein
eximirter Gerichtsstand war der französischen Gerichtspflege unbekannt und
nicht mehr wurde das Recht im Namen kleiner Herrn, sondern in dem der
Krone gesprochen. Schriftlichkeit und Heimlichkeit waren abgeschafft, in allen
bedeutenden Strafsachen erfolgte der Rechtsspruch vom Volke, und die Strafen,
welche die menschliche Gesellschaft entehrten, waren beseitigt. — Welchen Wider¬
stand auch dieses neue Gerichtsverfahren wegen lokaler Bequemlichkeit und
Gewohnheit, wegen Feindschaft gegen das Ausland und blinder Liebe zu
vaterländischen, verrotteten und verschimmelten Einrichtungen in dem ersten
Augenblicke gefunden haben mochte, so war er doch jedenfalls nur vorüber¬
gehend und in kürzester Zeit war die fremde Gesetzgebung und das fremde
Gerichtsverfahren eingebürgert und in allen Schriften des Volkes wurde der
Vorzug vor dem Verfahren der früheren Zeit anerkannt. Als nun die Rhein-
Provinz mit Preußen vereinigt werden sollte, waren es vornehmlich französisches


Grenzboten III. 1874. 27
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[0217] Preuße F^ox^" bezeichnet und die dort üblichen Worte: „er ist ein Preuße" enthielten eine fast verächtliche Bezeichnung. Der Grund dieser Absonderung und Ueberhebung lag vorzugsweise in dem verschiedenen Rechte und Gerichtsverfahren. Recht und Sprache sind es, welche ein Volk äußerlich binden und geistig einen. Das Recht erzeugt nicht blos gleichen Volkscharakter und gleiche Sitte, sondern gewährt auch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und der Volkseinheit. Dieses Bewußt¬ sein wird beim Volke insbesondere durch die gleiche Gerichtspflege hervor¬ gerufen, denn das materielle Recht ist mehr Eigenthum der Juristen und die Principien desselben sind zum größeren Theile dem Volke verschlossen, während die Gerichtspflege, äußerlich erkennbar, bewußtes Eigenthum des Volkes wird. Von diesem Eigenthums trennt sich dasselbe selbst dann nur ungern, wenn sein Werth allein durch die Gewohnheit geheiligt ist und es nicht mehr im Einklange mit den Anforderungen der Gegenwart steht. Wenn nun aber die Gerichtsverfassung eine solche ist, welche andere Länder als ein Palladium der Freiheit erachten und vergeblich darnach streben, dann wird das Volk alle Kräfte zur Bewahrung derselben aufbieten, sich der Vorzüge derselben bewußt sein und mit einem gewissen Stolze auf die Länder herabsehen, welche sie entbehren müssen. So war es bei den Rheinländern. Sie hatten wegen der vielen Reichsritter, die sich alle die hohe Gerichtsbarkeit und das Recht der Gesetzgebung angeeignet hatten, wegen der Vereinigung der Verwaltung mit der Justiz und wegen des Hinschleppens der Processe von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schwer gelitten und wenn auch diese Uebelstände in den geistlichen Kurfürstenthümern minder hervortraten, so hatten doch auch dort das Ab¬ hängigkeitsverhältniß und die Bestechlichkeit der Richter großen Einfluß auf die Entscheidung der Processe. — Diese schlechte Gerichtsverfassung war durch die französische verdrängt worden, deren Grundprincip die Gleichheit ist. Ein eximirter Gerichtsstand war der französischen Gerichtspflege unbekannt und nicht mehr wurde das Recht im Namen kleiner Herrn, sondern in dem der Krone gesprochen. Schriftlichkeit und Heimlichkeit waren abgeschafft, in allen bedeutenden Strafsachen erfolgte der Rechtsspruch vom Volke, und die Strafen, welche die menschliche Gesellschaft entehrten, waren beseitigt. — Welchen Wider¬ stand auch dieses neue Gerichtsverfahren wegen lokaler Bequemlichkeit und Gewohnheit, wegen Feindschaft gegen das Ausland und blinder Liebe zu vaterländischen, verrotteten und verschimmelten Einrichtungen in dem ersten Augenblicke gefunden haben mochte, so war er doch jedenfalls nur vorüber¬ gehend und in kürzester Zeit war die fremde Gesetzgebung und das fremde Gerichtsverfahren eingebürgert und in allen Schriften des Volkes wurde der Vorzug vor dem Verfahren der früheren Zeit anerkannt. Als nun die Rhein- Provinz mit Preußen vereinigt werden sollte, waren es vornehmlich französisches Grenzboten III. 1874. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/217>, abgerufen am 22.07.2024.